Wenn ein UBS-Manager auf Gewürze, Tee und Kaffee umsteigt
Freitag 16. März 2012Herr Dettwiler, wie kommt es, dass ein ehemaliger UBS-Manager heute Kaffee, Tee und Gewürze abpackt und zur Post trägt?
PETER DETTWILER: Ich habe meine Karriere nie geplant, sondern habe immer vielversprechende Gelegenheiten ergriffen. Nach dem BWL-Studium und der Ausbildung zum Gymnasiallehrer verschlug es mich in die Software-Branche. Schliesslich war ich für ein deutsches IT-Unternehmen tätig, das versuchte, in der Schweizer Bankenwelt Fuss zu fassen. Ich bin dann bei der UBS in Bern in die Kundenberatung eingestiegen. Schliesslich wurde ich angefragt, ob ich die Geschäftsstellen Thun, Spiez und Oberdiessbach übernehmen möchte.
Das war kein günstiges Timing. Damals stand die UBS nach den Milliarden-Abschreibern und der Rettung durch Staat und Nationalbank am Pranger. Wie stark hat dies Ihre Arbeit tangiert?
Der Druck der Öffentlichkeit war enorm. Ich wurde dauernd darauf angesprochen, von Kunden, von Bekannten, von Kollegen im Serviceclub oder in der Handelskammer. Persönlich habe ich immer versucht, Transparenz zu schaffen, gute Dienstleistungen anzubieten und meine Mitarbeiter in diesem Sinne zu unterstützen.
Warum haben Sie 2010 gekündigt?
Es wurde ab 2008 immer schwieriger, etwas zu gestalten. Ich selber merkte, wie meine Kanäle mehr und mehr verstopft waren, ich fühlte mich in der Defensive, sah mehr Gefahren als Gelegenheiten. Und dann gab es noch diese Zäsur, während der Ferien in Griechenland, als unser damals achtjähriger Sohn schwer verunfallte und vorübergehend viel Betreuung brauchte. Da habe ich mich schon gefragt, was wirklich wichtig ist. Vorher war ich ein Wochenend-Vater gewesen, immer früh raus am Morgen, am Abend immer Geschäftstermine, das gehörte einfach dazu. Ich wollte nicht so weiterfahren. Also kündigte ich, widmete mich dem Haushalt und der Erziehung und lernte sogar ein wenig kochen.
Hatten Sie keine Bedenken, die gut dotierte Stelle einfach so aufzugeben, ohne eine Alternative in Aussicht zu haben?
Nein. Ich war mir immer bewusst, dass es in dieser Branche keine sicheren Stellen gibt – man lebt sogar sehr gefährlich als Angestellter, jede Reorganisation kann dich überflüssig machen. Ich habe in den Jahren davor viele glänzende Karrieren abrupt und unschön enden sehen. Meine Frau und ich waren immer beide berufstätig, wir achteten darauf, dass wir keine Verpflichtungen eingehen, die unsere Unabhängigkeit gefährden. Als ich kündigte, erhöhte meine Frau ihr Pensum als Ärztin von Teilzeit auf Vollzeit. Sie vergrösserte ihre Praxis und bezog eigene Räume . Und sie hat sich an meiner Firma beteiligt. Diese Zeit hat uns sehr zusammengeschweisst. Zuvor waren wir ein wenig auseinandergedriftet, sie durfte mir nichts von ihren Patienten erzählen, ich ihr nichts von meinen Bankkunden, wir hatten wenig Zeit und zu wenig gemeinsame Themen.
War es nicht hart, vom Filialleiter zum Hausmann zu mutieren? Gab es keine schrägen Blicke von den Nachbarn?
(Lacht) Die Nachbarn haben mich eher vorher schräg angeschaut. Während meiner Zeit als UBS-Vizedirektor wurden wir nicht mehr spontan von den Nachbarn zum Grillieren eingeladen. Nachdem ich gekündigt hatte, wollten plötzlich einige wieder mit mir Kaffee trinken. Aber natürlich waren die ersten Wochen hart. Da fühlte ich mich unter Druck, dachte, nach 15 Jahren Karriereleiter müsse ich mich sofort wieder bewerben. Ich war aber nur halbherzig bei der Sache. Bald liess ich es ganz sein und gestand mir ein, dass ich keine Ahnung hatte, was ich in Zukunft machen werde. Das blieb ein ganzes Jahr lang so – und es war ein sehr ergiebiges Jahr, eines meiner besten Jahre überhaupt. Ich lernte viele interessante Menschen kennen und entwickelte mit manchen von ihnen verrückte Ideen.
Wie kamen Sie auf die Idee, mit Tee und Gewürzen zu handeln?
Zunächst stand anderes im Vordergrund, man fischt am Anfang ja immer in vertrauten Gewässern. Ich entwickelte einen Ansatz für Risikotransformation im Versicherungswesen und entwarf eine Art Auktionssystem, das eine einfache Vergleichbarkeit von Anlagevorschlägen im Private Banking ermöglicht hätte. Dann ergab sich eine ganz andere Gelegenheit: Ich leide seit längerem unter der Hautkrankheit Neurodermitis und verwendete aus diesem Grund regelmässig Stutenmilchpräparate aus Deutschland. Eine günstige Konstellation führte dazu, dass ich diese Produkte selber importieren konnte. Das zog rasch weitere Kreise, und plötzlich war ich mitten drin im Handel. Durch meine vielfältigen Kontakte ergaben sich weitere Geschäftsfelder, ich begann, Tee, Gewürze und Kaffee zu importieren.
Ist das nicht aussichtslos, als Quereinsteiger gegen etablierte Marken anzutreten?
Es gibt Beispiele, die zeigen, dass das gut funktionieren kann, wenn man die vielen Stufen im Zwischenhandel umgehen kann. Inspiriert hat mich Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship in Berlin, der mit seinem Projekt Teekampagne zum grössten Importeur von Darjeeling-Tee avanciert ist. Nach der Lektüre seines Buchs sagte ich mir: Das muss in der Schweiz auch möglich sein. Die Schweiz ist zwar ein kleinerer Markt, aber dank der Zusammenarbeit mit einer deutschen Partnerfirma, die 90 Millionen Euro im Jahr umsetzt, kommen wir zu sehr guten Konditionen an die Rohstoffe heran. Heute, nach einem Jahr, umfasst unser Sortiment rund 1000 Tee-Rezepturen, 160 bis 180 davon bieten wir jeweils im Handel an. Durch persönliche Kontakte und ein weites Netzwerk gelang es mir, mit Teegärten vor allem in China und Indien sowie mit Produzenten in der Schweiz und anderen Ländern Partnerschaften aufzubauen.
Sie bieten Tee, Kaffee, Stutenmilch, Nachtkerzenöl, Murmeltierfett, Gewürze, Bonbons und vieles mehr an. Haben Sie selber noch den Überblick in Ihrem Gemischtwarenladen?
Es ist ganz gut, wenn man nicht alle Eier in den gleichen Korb legt. Grob gesagt gibt es die Genussmanufaktur mit handverlesenen Tee-, Kaffee- und Gewürzprodukten und eine Pflegelinie für Menschen mit sensibler Haut. Das Bild vom Gemischtwarenladen gefällt mir übrigens gut, mein Grossvater war im Kolonialwarenhandel tätig, ich arbeite heute teilweise mit den gleichen Lieferanten zusammen wie er damals. Meine Mutter ist Drogistin, sie gibt mir immer wieder Tipps. Viele wertvolle Kontakte ergeben sich aber zufällig. Während unserer Ferien in Rhodos entdeckte meine Frau in einem schönen Laden ein Haar-Sonnenschutzprodukt auf Olivenölbasis. Da auf der Flasche die Telefonnummer des Herstellers abgedruckt war, rief ich diesen an und diskutierte mit ihm eine Zusammenarbeit. Gemeinsam mit einem anderen Schweizer Unternehmer importieren wir nun einige Produkte dieser traditionsreichen Athener Firma.
Ihre Firma Svela Nature ist seit einem Jahr auf dem Markt, bis vor vier Wochen gab es aber weder einen Telefonbucheintrag noch eine Homepage. Wie kamen Sie zu Kundschaft?
Es gibt in der Schweiz ein sehr aktives Kundensegment, das immer auf der Suche nach dem Speziellen ist, nach Produkten, die kein Grossverteiler im Angebot hat. Der Frauenanteil unserer Kundschaft liegt bei 85 Prozent, viele tauschen sich intensiv mit Freundinnen über ihre Entdeckungen aus. Dank solcher Mund-zu-Mund-Propaganda konnten wir im ersten Jahr über 1400 Bestellungen an 820 Kunden senden.
Reicht das aus, um profitabel zu arbeiten?
Ja, da die Firma sehr schlank organisiert ist, sind wir seit einem halben Jahr profitabel. Allerdings zahlten wir zu Beginn Lehrgeld. Ich war derart überzeugt von unseren Produkten, dass ich mehrere Mitarbeiter im Stundenlohn für Telemarketing bezahlte. Das verschlang viel Geld, brachte aber kurzfristig kaum Umsatz. Trotz sorgfältigem Businessplan scheiterten wir mit diesem Call-Center und verloren viel Geld. Darunter habe ich zunächst sehr gelitten. Doch mit ein bisschen Distanz begriff ich, dass es auch eine wertvolle Investition ist, Lehrgeld zu zahlen.
Als ehemaliger Banker konnten Sie sich das leisten.
Nicht wirklich. Ich konnte mich nur dank der Unterstützung meiner Frau und meiner Familie auf dieses Wagnis einlassen. Sie gaben mir Sicherheit – aber ehrlich gesagt machte es mir trotzdem zu schaffen, dass ich zunächst gar nichts verdiente. Mein Männer-Ego litt ziemlich, als ich meine Frau jeweils fragte, ob sie die nächste Tankfüllung übernehmen könnte. Auch im Restaurant zahlt immer sie, seit ich selbständig bin. Das möchte ich wieder ändern.
Welches sind die nächsten Ziele?
In zwölf Monaten sollen täglich zehn Bestellungen über den Web-Shop eingehen. Bis in 24 Monaten wollen wir einen schönen Laden in der Berner Altstadt eröffnen, danach in anderen Schweizer Städten. In den Läden sollen all die Düfte und Farben zum Tragen kommen, es wird eine Tee- und Kaffeebar geben. Das Schönste an meinem heutigen Beruf ist ja, dass ich täglich mit wunderbaren Produkten zu tun habe. Meine Tage sind viel farbiger, ich darf alles machen, bin Einkäufer, Vertriebsleiter, Qualitätsbeauftragter, Postbote, Finanzchef, Werbeleiter, tausche Festplatten aus, erstelle Steuerausweise, probiere neue Teesorten. Und wenn ich am Abend mit einer gut gefüllten Ikea-Tasche zur Post gehe, dann spüre ich meine Produkte ganz unmittelbar – diese Befriedigung ist unbezahlbar.
Kontakt und Information:
www.svela.ch
peter.dettwiler@svela.ch
In Paris habe ich einen Mann kennengelernt, eh. Mitarbeiter Banksoftware,
der ein Geschaeft fuer italienische Spezialitaeten (Gemischtwarenladen) eroeffnet hat.
(inzwischen auch Partyservice).
Nach den “ueblichen” Anfangsschwierigkeiten laeuft es jetzt recht gut.