Montag, 11. April 2011

FAZ: Reichenlisten Wer ist Millionär? Listen sind nur Schäzungen.

Reichenlisten

Wer ist Millionär?

Hitlisten über Vermögen und Einkommen der Superreichen waren in Deutschland schon immer sehr beliebt. Nur nicht bei den Millionären und Milliardären, die auf den Schutz ihres Privatlebens pochen.

Von Rainer Hank


Susanne Klatten ist Quandt-Erbin und BMW-GroßaktionärinSusanne Klatten ist Quandt-Erbin und BMW-Großaktionärin

11. April 2011 2011-04-11 09:26:04

Vor hundert Jahren, am 10. März 1911, werden in einer Nacht-und-Nebelaktion in Berlin die Räume des ehemaligen Regierungsrats im Reichsamt des Inneren, Rudolf Martin, durchsucht. Die Fahnder beschlagnahmen Materialsammlungen, Fahnen und Korrekturbögen eines brisanten Buches, dessen Erscheinen kurz bevorsteht: ausführliche Listen aller 8300 Millionäre Preußens (mit genauer Wohnadresse), aufgeschlüsselt nach der Höhe des Gesamtvermögens und der jährlichen Einkünfte. Was die Strafverfolger besonders aufgebracht hatte, war Martins Ankündigung, die Vermögen der oberen Zehntausend nicht nur untereinander zu vergleichen, sondern Auf- und Absteiger präzise seit Beginn der amtlichen Aufzeichnungen zu Beginn der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts zu rekonstruieren.

Zwei Monate später, im Mai 1911, wird das Verfahren eingestellt und Martins Werk kann als „Jahrbuch des Vermögens und der Einkommen der Millionäre in Preußen“ mit einiger Verzögerung im Jahr darauf im Verlag W. Herlet erscheinen. Es ist bis heute die beste Quelle zur Vermögensverteilung unter den wilhelminischen Multimillionären. Sie dokumentiert, wie rasch Deutschlands Industriemagnaten um die Jahrhundertwende unglaublich reich wurden. Die Oberschicht, ob Patrizier oder Parvenü, mag es immer noch aristokratisch. Die mit 187 Millionen Mark Vermögen und einem Einkommen von 17 Millionen damals reichste Person Preußens, Bertha Krupp, Tochter und Alleinerbin von Friedrich Alfred Krupp, verdankt ihren Adelstitel allerdings erst der Hochzeit mit Gustav von Bohlen und Halbach.

Martins Jahrbuch der Reichen von damals entspricht heute das seit dem Jahr 2000 regelmäßig erscheinende Spezial des Managermagazins über die „500 reichsten Deutschen“. Auf den vorderen Plätzen erscheinen regelmäßig die Aldi-Gründer Karl und Theodor Albrecht, die Quandt-Erbin Susanne Klatten (nebst Mutter Johanna und Bruder Stefan) und die Oetkers, die Haniels (die waren schon 1912 gut vertreten) und die Porsches.

Listen sind umstritten

Jährliche Einkommen oder gar Wohnadressen der Superreichen heute zu nennen ist aus Gründen des Datenschutzes inzwischen undenkbar. Und während Martin seine Angaben auf Einkommensteuerangaben stützte, die die Zensiten selbst vornahmen (und die somit bei Steuerhinterziehern auch falsch sein mussten), bekennt das Managermagazin, seine Listen beruhten lediglich auf Schätzungen, die sich, sofern es sich nicht um börsennotierte Unternehmensbeteiligungen handelt, auf Umsatz, Profitabilität und Marktstellung (was immer man darunter versteht) stützen. "Dies erklärt wohl auch warum die Familie Rothschild, welche bereits 1895 über ein für die damalige Zeit unglaubliches Vermögen i.H.v. über 200Mio verfügte, heute in keiner Liste mehr auftaucht. Sie haben sich über die Medienkonzerne das Recht erkauft nicht genannt zu werden. Über ihre tatsächlichen Vermögensverhältnisse kann man nur mutmassen, vermutlich wirkt ein Bill Gates gegen sie wie ein armer Schlucker."

Kein Wunder, dass die Hitparaden der heutigen Milliardäre mindestens so umstritten sind wie Martins Jahrbuch vor hundert Jahren. Immer schon mokieren sich die Reichen (die sich in ihrer Eigenschaft als Stifter und Mäzene gerne zeigen) über den Voyeurismus einer Öffentlichkeit, den sie als Ausdruck von Neid und Missgunst interpretieren. Das Schicksal des Lebensmittelunternehmers Richard Oetker, der Ende der siebziger Jahre entführt, brutal misshandelt und gegen ein millionenschweres Lösegeld freigelassen wurde, zeigt zudem, dass für Milliardäre der Schutz der Intimität auch ein notwendiger Schutz von Leib und Leben ist. Auch die Kinder des Drogisten Anton Schlecker wurden von geldgierigen Entführern erniedrigt, ihr Vater wurde erpresst.

In der vergangenen Woche hat nun der Tiefkühl-Unternehmer und Bofrost-Gründer Josef H. Boquoi sogar vor Gericht zu verhindern versucht, dass sein Name unter dem Rubrum der reichsten Deutschen genannt wird (er hatte es zuletzt mit geschätzten 950 000 000 Euro auf Platz 92 geschafft). Sein Argument ist so schlicht wie nachvollziehbar: Seine Vermögensverhältnisse seien seine Privatsache und gingen niemanden etwas an. Zudem, was die Sache nur noch schlimmer mache, seien die Angaben des Magazins auch noch falsch.

„Privat war gestern“

Boquois Anwalt Christian Schertz kämpft seit langem erbittert gegen Medien und Internet, denen er vorwirft, schonungslos Prominente zu jagen und ihr Privatleben zu zerstören. „Der Schutz der Persönlichkeit zählt auf einmal nichts mehr“, heißt es im Prospekt des Buches „Privat war gestern“, das Anwalt Schertz für diesen Herbst angekündigt hat.

Das Gericht sah die Sache anders. Es gebe ein „berechtigtes öffentliches Interesse“ an Millionen- oder gar Milliardenvermögen, meinte der Vorsitzende Richter. „Der Tüchtige muss es hinnehmen“, ergänzte der Anwalt des Managermagazins. Dass die Angaben Schätzungen seien, werde nicht verschwiegen, sondern offen kommuniziert.

Das hätte Regierungsrat Rudolf Martin vor hundert Jahren nicht schöner formulieren können. Ob es etwa ein Gesetz in Deutschland gebe, welches verbiete, sich mit den Vermögen oder Einkommen seiner Mitbürger zu befassen, fragt Martin polemisch in der Einleitung seines Jahrbuches. Schließlich hätten schon Aristoteles oder Plinius sich über den Reichtum der Reichen ausgelassen: „Es scheint, als wenn die reichen Leute heut empfindlicher wären wie in den alten Zeiten“, schreibt Martin und betont, es gehe ihm nur um Aufklärung und seriöse Wissenschaft (während die Presse die Vermögensverhältnisse meist maßlos übertreibe).

Derart große Zugriffsrechte der Öffentlichkeit wie im späten deutschen Kaiserreich gibt es heute nur noch in Schweden. Dort können sich die Leute Angaben über Einkommen, Vermögen und Steuerschuld ihrer Mitbürger für ein paar Kronen im Internet kaufen, um anschließend zu entscheiden, ob sie in solch einer Nachbarschaft wohnen wollen. Dahinter steckt die Überzeugung, in einer Gesellschaft hätten die Bürger das Recht, alles übereinander zu wissen: Die Schweden nennen das Öffentlichkeitsprinzip. Vielen Deutschen kommt so etwas heutzutage nicht nur indiskret, sondern totalitär vor. Einiges spricht deshalb dafür, dass die Klage des Bofrost-Millionärs noch einige Gerichtsinstanzen beschäftigen wird.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: Cornelia Sick, dpa, F.A.Z., imago sportfotodienst


Kommentar:


Einkommens- und Vermögensverteilung [<10]
Steffen Maczewski (Steffen.Maczewski)

Bei den zahlreichen Umverteilungsmechanismen scheint mir ein Aspekt besonders auffällig: während in GB und USA überwiegend das Vermögen besteuert wird und weniger das Einkommen, werden hier z.B. bei der Erbschaft die bestehenden Vermögen kaum angetastet, während es hier in D extrem schwer ist, durch eigene Arbeit zu Wohlstand zu kommen. D.h. in Deutschland ist die soziale Mobilität im Vergleich viel geringer.
Ich gönne den Albrecht-Brüdern jeden Cent, auch weil durch dieses Geschäftsmodell auch die einfachen Leute zu guten und güstigen Lebensmitteln kommen. Vielleicht können sie sich sogar überwinden und geben nicht alles an die Kinder weiter, sondern machens wie Bill Gates und Warren Buffet.

11. April 2011 14:51

Ich nicht! [20]
Carsten Zimmermann (Maltegreif)

Dieser Tage hat jemand einen Kommentar geschrieben, das das Gehaltsgefüge vom Pförtner zum Chef mal 1:10 oder höchstens 1:20 war. Aber heute ist es 1:100 und mehr! Vielleicht ist es das, was die meisten stört. Das hat nichts mit Neid zu Tun nur mit Verhältnismäßigkeit. Ich bin in Baden-Baden aufgewachsen und hatte nie etwas gegen die Wohlbetuchten, solange sie diese nicht haben raushängen lassen.
Im gegenteil, ich kannte meinen Chef noch persönlich, man hat mal ein Bierchen zusammen getrunken und mir gefiel sein 7 er BMW. Nur diese Verhältnisse gibt es nicht mehr, sondern es sind zunehmend verschiedene Welten! Und wenn dann Reichtum zur Schau gestellt wird, dann sind das auf Dauer gefährliche Zustände. Von Neid hin zu Hass ist es nicht weit und wenn dieser sich entlädt wie 1789 oder 1917, ist es zu spät.

Geld regiert die Welt [41]
Konstantin Schneider (bundesboy)

Das Mindeste ist es dann aber auch, wissen zu dürfen, wer uns denn hier genau regiert. Eine Demokratie ohne transparente Vermögensverhältnisse gibt es nicht. So langsam müssen wir deshalb das "Staranwalt-System" in Frage stellen dürfen, in dem sich Superreiche und Prominente, die ohne die Massen, die sie zu verachten scheinen, niemals diesen Status hätten erlangen können, einfach von jeglicher Auskunftspflicht freikaufen können.

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