Ölreserven angezapft: „Ein Tropfen auf den heißen Stein“
exklusiv Die Industriestaaten zapfen ihre Ölreserven an - angeblich weil Libyen weniger Öl liefert. Im Interview erklärt Frank Schallenberger, Ölexperte der LBBW, was die wahren Gründe sind - und warum die Aktion wenig bringt.
Was halten Sie von der Entscheidung, die strategischen Ölreserven anzuzapfen -ein kluger Schachzug oder eher eine Verzweiflungstat?
Ein kluger Schachzug sieht anders aus! Die strategische Reserve wurde bislang nur zwei Mal angetastet: Während des Golfkriegs 1990/91 und im Zuge von Hurrikan Katrina 2005. Die aktuelle Situation ist mit diesen Präzedenzfällen in keiner Weise vergleichbar.
Geht es allein darum, den Ausfall von Libyen zu kompensieren? Was sind die wahren Hintergründe?
Libyen ist meiner Meinung nach ein vorgeschobenes Argument. Der Förderausfall ist vom Markt bislang ganz gut verdaut worden, denn von Knappheiten in den letzten Monaten kann keine Rede sein. Beispielsweise befindet sich das Niveau der Öllager in den USA weiterhin fast auf dem höchsten Stand der letzten zehn Jahre.
Warum gerade jetzt? Ist es eine Reaktion darauf, dass die Opec die Förderquoten nicht anhebt?
Ich denke, das trifft den Kern schon eher als das Libyen-Argument. Eine signifikante Anhebung der Förderquoten durch die Opec - wie es etwa Saudi-Arabien Anfang Juni noch gefordert hatte - hätte den Ölpreis sicherlich schon früher nach unten gebracht und damit entsprechend der mittlerweile etwas trägeren Weltwirtschaft geholfen. Jetzt hat eben die IEA versucht, diesen Effekt mit der Freigabe der Reserven herbeizuführen.
Wie viele Reserven haben die Mitgliedsstaaten der IEA noch?
Alleine die strategische Reserve der USA macht rund 725 Millionen Barrel aus. Insgesamt kommen die IEA-Mitglieder auf circa 1,6 Milliarden Barrel.
Sind weitere Aktionen der IEA denkbar?
Die 60 Millionen Barrel, um die es jetzt geht, sind ja eigentlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei einem weltweiten Verbrauch von circa 85 Millionen Barrel pro Tag entsprechen 60 Millionen eben nur rund 17 Stunden des weltweiten Ölbedarfs. Damit muss eine solche Aktion als rein psychologisch eingestuft werden. Ich könnte mir vorstellen, dass noch ein oder zwei weitere solche Schritte folgen. Ansonsten werden sich die IEA-Mitglieder aber sicherlich bald wieder darauf besinnen, dass die Reserve für Notfälle vorgesehen ist - und von einem solchen kann momentan eben garantiert nicht die Rede sein!
Wie sind die Auswirkungen auf dem Rohstoffmarkt?
Kurzfristig sind die Ölpreise nach unten gegangen. Aber psychologische Preise haben kurze Beine - der IEA-Effekt wird in wenigen Tagen verpufft sein!
Lässt sich der Ölpreis auf diese Weise dauerhaft drücken?
Nein, sicher nicht. Dauerhaft machen eben Angebot und Nachfrage die Preise. Abgesehen davon entspricht selbst die gesamte Reserve von 1,6 Milliarden Barrel nur dem weltweiten Ölbedarf von weniger als 20 Tagen. Besonders weit kommt die IEA damit also beim besten Willen nicht.
Wird Benzin jetzt auch günstiger?
Der Ölpreis ist jetzt in den letzten Tagen rund sieben bis acht Dollar gefallen. An der Tankstelle wird man davon nicht sehr viel merken - immerhin wird die Auswirkung auf die Benzinpreise durch den recht hohen Steueranteil in Deutschland abgefedert. Aber so zwei, drei Cents sollten kurzfristig für die Autofahrer drin sein.
Deutschlands Ölreserven
Wie groß sind die deutschen Ölreserven?
Insgesamt 21 Millionen Tonnen. Davon sind zehn Millionen fertige Produkte wie Benzin, Diesel und Heizöl. Der Rest ist Rohöl. Die Menge reicht aus, um Deutschland im Falle eines kompletten Lieferausfalls für mindestens 90 Tage zu versorgen. Zuständig für die Verwaltung ist der Erdölbevorratungsverband. Die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist dem Wirtschaftsministerium unterstellt.
Wo werden die Reserven gelagert?
Benzin und die anderen fertigen Produkte werden an 160 Standorten gelagert, die über ganz Deutschland verteilt sind. Der Erdölbevorratungsverband hat dazu Tanklager der großen Mineralölkonzerne angemietet. Das Rohöl wird in unterirdischen Hohlräumen gelagert, meist ehemaligen Salzstöcken. 60 Prozent gehören dem Verband, der Rest ist ebenfalls angemietet.
Wer finanziert den Erdölbevorratungsverband?
Die rund 120 Mitglieder. Raffinerien und Ölhändler müssen eine Zwangsabgabe zahlen, mit denen sich der Verband mit seinen 70 Mitarbeitern an den Standorten Hamburg und Bremerhaven finanziert. Das meiste Geld stammt von großen Raffineriebetreibern wie BP, Shell und Esso.
Wie wird das Öl auf den Markt geworfen?
Der Verband bietet das Öl zunächst seinen Mitgliedern an, die ein Vorkaufsrecht genießen. Was von ihnen nicht abgenommen wird, landet auf dem freien Markt. Die jetzt freigegebenen 4,2 Millionen Barrel werden in vier Tranchen angeboten. Der Preis orientiert sich an den jeweiligen Weltmarktpreisen.
Wird der Verkauf zum Verlustgeschäft?
Nein. Der Verband hat seit seiner Gründung 1978 - damals in Reaktion auf die zweite Ölkrise - viele Jahre Gelegenheit gehabt, sich zu günstigen Konditionen am Markt einzudecken. Ende der 90er Jahre war ein Barrel zeitweise für weniger als zehn Dollar zu haben, heute wird dafür das Zehnfache verlangt.
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