Legalität als letzter Ausweg
Machen wir Frieden mit den Drogen
02.05.2012 ·
Zehntausende Tote hat der Krieg gegen die Kartelle gekostet. Und
trotzdem ist er gescheitert. Was, wenn man den Stoff einfach kaufen
könnte?
Von
Claudius Seidl und Harald Staun
© AP
Die mexikanische Bundespolizei - ausgerüstet für den Drogenkrieg
* Die Politik *
Vor vierzig
Jahren ging los, was Richard Nixon, damals Präsident der Vereinigten
Staaten, den „Krieg gegen die Drogen“ nannte - und weil man ein Pfund
Heroin nicht erschießen kann, richteten sich die Kampfhandlungen gegen
all die Menschen, die mit den Drogen in Berührung kamen: gegen jene, die
diese Drogen nahmen, vor allem die Süchtigen in den Slums der großen
Städte; gegen alle, die mit den Drogen handelten, gegen die kleinen
Dealer und die großen Händler; gegen die Schmuggler, die Kuriere, die
Produzenten. Gegen die Leute, die Crystal Meth kochten, gegen die
Chemiker, die Rohopium zu Heroin veredelten. Gegen die Mohnpflanzer in
Afghanistan und gegen die Cocabauern im südamerikanischen Hochland. Und
wenn es schon sinnlos war, auf Drogen zu schießen, so konnte man doch
die Mohnfelder und Cocaplantagen aus der Luft zerstören, mit Gift, mit
Bomben, mit schwerem militärischem Gerät.
Wenn man Bilanz ziehen wollte, was dieser Krieg,
der andauert, wem gebracht habe: Dann könnte man damit, weil die Opfer
so viele und die Schäden unermesslich sind, ein paar tausend Seiten
füllen. Man kann sich aber auch ein bisschen kürzer fassen: Die
Gefängnisse, vor allem in den Vereinigten Staaten sind voll; der Konsum
von Drogen hat aber nicht abgenommen. Im Norden Mexikos sind die
Kartelle der Drogenhändler mächtiger als die Polizei, das Drogengeld hat
die gesamte Verwaltung korrumpiert.
In den Städten Brasiliens regieren
Drogengangs ganze Favelas, in Afghanistan treibt der Drogenkrieg die
Bauern an die Seite der Taliban, die ihre Waffen mit Drogengeld
finanzieren. In Afrika, wo die Schmuggelrouten nach Europa beginnen,
läuft die Entwicklung darauf hinaus, dass mit Drogengeldern ganze
Staaten übernommen werden. In Guinea-Bissau, dem kleinen Land an der
Westküste Afrikas, dem man nachsagt, dass es fast schon in der Hand der
Drogenmafia sei, hat in der vorvergangenen Woche das Militär geputscht,
weil der Favorit bei der Präsidentschaftswahl den Drogenhandel bekämpfen
wollte. Das Militär verdient mit, und jetzt wird erst mal zwei Jahre
lang nicht gewählt.
Der kluge Publizist und Kommentator Fareed Zakaria
hat in der vergangenen Woche, auf der Website von CNN, dennoch versucht,
aus dem ganzen Chaos in Mexiko die guten Nachrichten herauszufiltern.
Seit dort Felipe Calderón regiert, seit September 2006, habe es im
Drogenkrieg 50.000 Tote gegeben. Das, schreibt Zakaria, sei ein sehr
hoher Preis: „Aber es war eben kein leichter Krieg.“ Immerhin sei es,
seit Calderón die Armee gegen die Drogenkartelle aufmarschieren lasse,
gelungen, mehr als vierzig Bosse zu töten. Und die drogenbedingte
Mordrate, die von 2007 auf 2008 um 29 Prozent gestiegen sei, steige
inzwischen nur noch um acht Prozent.
Aha. Sie fällt also nicht, sie steigt nur
langsamer. Wenn das gute Nachrichten sind: Wie liest sich dann eine
schlechte? Zumal selbst Zakaria glaubt, dass, wenn das mit den Erfolgen
in Mexiko so weitergeht, die Kartelle nur nach Guatemala ausweichen
werden. Dort regiert, seit dem vergangenen Herbst, Otto Pérez Molina,
ein Ex-General und politisch konservativer Politiker, der sich noch im
Wahlkampf als harter Hund inszenierte. Als aber vor zwei Wochen die
Staatschefs aus Amerika sich im kolumbianischen Cartagena zum Gipfel
trafen, da war es Pérez, der, gemeinsam mit dem kolumbianischen
Präsidenten Juan Manuel Santos und dem angeblich so erfolgreichen
Mexikaner Calderón, den Vereinigten Staaten besonders klar und deutlich
bescheinigte, dass deren „war on drugs“ gescheitert sei:
„Entkriminalisierung“ sei viel besser geeignet, die Macht der
Drogenkartelle zu brechen, als immer mehr Feuerkraft.
Und ein Aufruf der Ex-Präsidenten
Fernando Henrique Cardoso aus Brasilien, César Gaviria aus Kolumbien und
Ernesto Zedillo aus Mexiko ging noch weiter: Der vierzigjährige
Drogenkrieg habe verheerende Wirkungen für ganz Amerika. Weder die
Produktion illegaler Drogen noch deren Konsum sei zurückgegangen. Gewalt
und Korruption, vor allem in den Staaten Mittelamerikas, bewiesen nur,
dass die Kriminalisierung der Drogen erst die Probleme hervorbringe,
welche der Krieg gegen die Drogen dann bekämpfen solle. Lasst die
Abhängigen in Ruhe, und schaut zu, dass ihr den Handel staatlich
reguliert: Das ist die Forderung, der sich immer mehr
lateinamerikanische Politiker, Ökonomen, Intellektuelle anschließen.
Wirtschaftsexperten aus Afghanistan wie Ashraf Ghani sagen seit langem,
dass die Entkriminalisierung auch in ihrem Land das einzige Mittel sei,
die Macht von Mafia und Taliban zu brechen.
Präsident Obama, beim Gipfel in Cartagena, gestand
den Lateinamerikanern immerhin zu, dass man über die Forderung nach
Legalisierung der Drogen reden könne. Er und seine Regierung blieben
allerdings dabei: So eine Legalisierung sei der falsche Weg. Wenn die
vergangenen vierzig Jahre aber etwas lehren, dann ist es das: Man kann
gegen Drogen keinen Krieg führen - und schon gar nicht gewinnen. Es ist
also höchste Zeit, endlich mal zu prüfen, ob man mit den Drogen seinen
Frieden machen kann.
* Die Straße *
Wie viele Junkies kann man
eigentlich am Tag festnehmen? In einer Stadt wie Baltimore sind es
ungefähr vierzig, vielleicht fünfzig, an manchen Tagen ein paar hundert.
Ein paar von ihnen sitzen eine Nacht in einer Zelle im Revier, dann
stehen sie wieder auf der Straße, bei all den anderen, die nicht auf
ihre tägliche Dosis Heroin oder Kokain verzichten können, 50.000 bis
60.000 sind es in Baltimore, fast zehn Prozent der Einwohner. Nur für
einen Bruchteil findet sich ein Platz in den überfüllten Gefängnissen
der Vereinigten Staaten, wo heute schon ein Fünftel der Insassen wegen
eines Drogendelikts sitzt; eine halbe Million Menschen ist das
mittlerweile, 1980 waren es 41.000.
Aber wie viele man auch einsperrt, es bleiben immer
genug draußen, um das Spiel weiterzuspielen, das Amerika dort im Griff
hat, wo es schwarz ist und arm. Hier, an den Straßenecken in den
verlassenen Zentren der Großstädte, kann sich schon lange niemand mehr
daran erinnern, dass es einmal eine Zukunft gab. Dass, wer hier lebte,
eine Wahl hatte, die nicht nur darin bestand, ob man ein Junkie wird
oder ein Dealer. Von allen Schauplätzen des Kriegs gegen die Drogen sind
diese Orte vielleicht die traurigsten, weil niemand, der ihn hier
kämpft, noch irgendetwas zu gewinnen hat. Die Abhängigen, die Händler,
die Polizisten, die Bürger - es gibt nur Verlierer.
Monroe/Fayette: Das ist so eine Straßenecke, wie es
Tausende gibt, in Baltimore, Atlanta oder Oakland. Der amerikanische
Autor David Simon und der ehemalige Polizist Ed Burns haben sich dort
einmal ein Jahr lang hingestellt und sich angeschaut, wie Menschen
leben, dort, wo keine Gesetze mehr gelten, weil sowieso alle wie
Kriminelle behandelt werden. Simon und Burns haben ein Buch über diese
Ecke geschrieben, „The Corner“ heißt es und gilt als Grundlage der
Fernsehserie „The Wire“. Gerade ist ihre Reportage auch auf Deutsch
erschienen (Kunstmann-Verlag, 800 Seiten, 24,95 Euro), nach fünfzehn
Jahren, und wer sie liest, wünscht sich, dass sie ein wenig mehr von
ihrer Aktualität eingebüßt hätte.
Es hat sich aber kaum etwas geändert. Außer
vielleicht, dass der Drogenkrieg inzwischen zu einer historischen
Erfahrung geworden ist, der Fatalismus, sich damit abfinden zu müssen,
zu einer Tugend. Seit zwei bis drei Generationen geht das nun so, wo
keine Hoffnung mehr lebt, kriegt man seine Kinder jung. Und die, die
glauben, für die Gerechtigkeit zu kämpfen, für Sauberkeit und Ordnung,
wissen längst nicht mehr, wie das geht. Sie fahren durch die Straßen
West Baltimores wie Soldaten durch ein besetztes Land. Sie sehen keine
Bürger mehr, sondern nur Feinde. Sie halten jede Festnahme für einen
Erfolg. Sie präsentieren Drogenfunde stolz auf Pressekonferenzen, als
wäre nicht die Nachfrage das Problem, sondern das Angebot. Sie gehören
längst zum Spiel: die Polizeipräsidenten, die mit ihren Quoten prahlen,
und die Politiker, die immer wieder neu versprechen, eine Lösung parat
zu haben. Sie sind, so jedenfalls beschreiben es Simon und Burns, „Teil
eines Wachstumsmarkts“.
Mit jeder Schlacht wird dieser Krieg
nur größer, und dass er nur eine Metapher ist, dieser Krieg, hilft
leider gar nichts, solange die Beteiligten in ihrer Logik gefangen sind.
Nachdenken, Umdrehen, Aufgeben: Das sind Manöver, die viel zu sehr nach
Kapitulation klingen, wer immer auch der Feind wäre. „Es ist nicht so,
dass all dies zu wenig bringt oder dass mehr davon auch mehr bringen
würde“, schreiben Simon und Burns über das immer härtere Vorgehen der
Polizisten. „Vielmehr ist es so, dass nichts von alldem überhaupt
funktioniert. Die Taktiken sind tadellos, bloß gibt es nicht einmal den
Ansatz einer Strategie.“
Und wenn es überhaupt eine Erkenntnis gibt, die
man nach dreißig, vierzig Jahren vergeblichen Kampfes gelernt haben
könnte, dann lautet sie: „Niemand wird auch nur einen Tag seinen Schuss
auslassen.“
* Der Markt *
Eine Tonne Kokain zu
produzieren kostet zurzeit um die 3000 Dollar. Eine Tonne Kokain, an den
Endverbraucher gebracht, bringt, je nach Marktlage, dreißig bis fünfzig
Millionen Dollar ein. Die Differenz setzt sich zusammen aus Transport-
und Vertriebskosten, einerseits. Und andererseits den Gewinnen. Der
Anteil der Kosten bemisst sich in Promille.
Das ist die ökonomische Grundbedingung des
Drogenhandels, daraus leitet sich alles andere ab. Wenn also die
Nachrichten mal wieder melden, dass der Polizei ein schwerer Schlag
gegen die Drogenmafia gelungen sei, zweihundert Kilo Kokain seien
beschlagnahmt worden: Dann ist das einfach Quatsch. Dieselbe Menge lässt
sich jederzeit wiederbeschaffen - und wenn Transport und Vertrieb ein
bisschen schwieriger werden, gibt es eben einen kleinen Preisaufschlag
für die Konsumenten.
Das ist das Vertrackte an der Ökonomie der Drogen -
sie funktioniert ganz anders, als unsere Intuition das vermutet. Wenn
zum Beispiel im Krieg gegen die Drogen tatsächlich mal ein Etappensieg
errungen wird, wenn die Produktion gestört wird, die Nachschubwege
blockiert sind, dann hat das, weil Süchtige nicht auf ihr Gift
verzichten wollen, vor allem zwei Effekte: Der Preis steigt, die
Gewinnspanne der Händler wird größer. Und die Verbrechensrate in Europa
und Nordamerika steigt auch: weil die Süchtigen noch ein bisschen
krimineller werden müssen, um sich ihre Droge leisten zu können.
Wenn umgekehrt nichts geschieht; wenn also der
Nachschub gesichert ist, die Produktion ungestört bleibt: dann sinkt der
Preis - und in Afghanistan, wo in manchen Jahren mehr Rohopium
produziert wird, als der gesamte Weltmarkt überhaupt nachfragt, kann man
immer wieder beobachten, was bei sinkenden Preisen geschieht: Es lohnt
sich für manche Bauern nicht mehr, Mohn anzubauen, man wechselt zu
legalerem Gemüse.
Man kann diesen Markt auch so beschreiben: Die
Nachfrage ist nicht sehr elastisch - die Steuerberaterin und der
Mathelehrer werden nicht anfangen, Heroin zu spritzen, nur weil es die
Droge gerade im Sonderangebot gibt. Und der Süchtige wird sich den
nächsten Schuss setzen wollen, ganz egal, was die Droge gerade kostet.
Eine Gruppe von Ökonomen um den Nobelpreisträger Gary Becker hat daraus
schon vor acht Jahren den Schluss gezogen, dass es besser wäre, die
Drogen zu legalisieren. Der Aufsatz „The Economic Theory of Illegal
Goods“ ist 36 Seiten dick und voll von sehr speziellen Formeln, weshalb
er hier nicht in seiner vollen Komplexität referiert werden kann. Er
läuft aber auf folgenden Vorschlag hinaus: Man sollte die Drogen
legalisieren, den Handel staatlich regulieren - und die Drogen dann so
stark besteuern, dass der Preis sehr hoch bleibt und alle
Gelegenheitsnutzer, alle Malausprobierer und die Jugendlichen sowieso
abschreckte.
Wie immer, wenn Preise künstlich hochgehalten
werden, entstünde ein Schwarzmarkt. Den allerdings könnte man mit voller
Härte bekämpfen - und der Unterschied zum „war on drugs“ wäre eben der,
dass ein solcher Kampf den Preis so lange nach oben drückte, bis es
billiger wäre, sich die Drogen legal zu beschaffen.
Hört sich bisschen kompliziert an, ist aber ein
bestechend gut durchdachter Vorschlag, der den Nebeneffekt hätte, dass
da doppelt Geld zusammenkäme: das viele Geld, das nicht für den
sinnlosen Großkrieg gegen die Drogen ausgegeben werden müsste. Und das
Geld, welches der Steuer statt der Mafia zugutekäme.
* Die Jobs *
Es sind ja nicht nur ein paar
Hippies, die nach der Legalisierung rufen. In der Global Commission on
Drug Policy beispielsweise, einer Initiative, die sich dafür einsetzt,
den Kampf gegen die Drogen mit intelligenteren Mitteln zu führen als mit
konventionellen Waffen, sitzen Rebellen wie der ehemalige
UN-Generalsekretär Kofi Annan, der ehemalige Nato-Generalsekretär Javier
Solana, der ehemalige US-Notenbankchef Paul Volcker. Der
interessanteste Ehemalige aber, der für die Legalisierung plädiert, ist
Vicente Fox Quesada. Fox war von 2000 bis 2006 Präsident von Mexiko.
Kurz nach seinem Amtsantritt versprach er, dem organisierten Verbrechen
„die Mutter aller Schlachten“ zu liefern.
In seinem Wahlkampf spielte der Kampf gegen die
Drogenkartelle kaum eine Rolle, es gab nur einen Feind: Seit 71 Jahren
hatte die Partido Revolucionario Institucional (PRI) das Land im Griff;
um gewählt zu werden, genügte Fox ein Wort: „Ya!“ - „Es reicht.“ Die
heute so berüchtigten Kartelle aus Sinaloa, Tijuana oder von der
Golfküste waren damals kaum mehr als regionale Banden, der Schwerpunkt
des Drogenhandels lag in Kolumbien. Als Dienstleister für die
Produzenten aus Medellin schmuggelten sie kolumbianisches Kokain über
die amerikanische Grenze, erst nach und nach begannen sie, auf eigene
Rechnung zu arbeiten. Und sosehr sich viele über das Ende der
Einparteienherrschaft der PRI freuten, so fruchtbar war das politische
Klima für das Wachstum der Drogenbanden. Das alte System war korrupt und
autoritär, es gab also keinen Grund, es mit Waffen zu bekämpfen.
Für Fox’ Agenda war das Thema kein zentrales, aber
für seine amerikanischen Freunde. Am 14. März 2003 begann der Krieg. In
Matamoros, einer Kleinstadt im Bundesstaat Tamaulipas, verhaftete das
mexikanische Militär den Chef des Golfkartells, Osiel Cárdenas Guillén,
und die Art und Weise seiner Festnahme setzte Maßstäbe, die im Prinzip
bis heute gelten.
Davor, so etwa beschreibt es der britische
„Time“-Journalist Ioan Grillo in seinem grandiosen Buch „El Narco“, habe
die Polizei, wenn sich das Verbrechen nicht mehr ignorieren ließ, die
Capos einfach aus dem Verkehr gezogen. Klar, Korruption gab es auch
unter dem Regime der PRI, doch damals waren es noch die Polizeibeamten,
die ihre kriminellen Freunde fallenlassen konnten, nicht umgekehrt.
Cárdenas
aber brach die Spielregeln, er wollte sich nicht einfach fassen lassen,
vor allem aber glaubte er, dass er es verhindern konnte. Ein paar Jahre
vorher hatte er sich aus ein paar Dutzend mexikanischen und
guatemaltekischen Elitesoldaten eine paramilitärische Leibgarde
rekrutiert, eine Einheit, die mittlerweile im eigenen Namen Angst und
Schrecken verbreitet: Los Zetas. An jenem Märztag lieferten sich die
Zetas ein mehrstündiges Feuergefecht mit der mexikanischen Armee,
verteidigten den Unterschlupf Cárdenas und gaben erst auf, als ihr Boss
im Flugzeug nach Mexiko-Stadt saß.
Erwartungsgemäß wurde Cárdenas’ Festnahme als
großer Sieg gefeiert; wie dumm das war, zeigte sich später. Die
Machtkämpfe innerhalb des Golfkartells um die vakante Chefposition waren
so blutig wie die Grabenkämpfe zwischen rivalisierenden Gruppen, und
wenn die neuen Capos etwas gelernt hatten, dann, dass ihre Söldnertruppe
noch nicht schlagkräftig genug war, dass sie einfach noch mehr Waffen
brauchten, noch mehr Soldaten, noch mehr Brutalität. Und heute, da
50.000 Soldaten gegen 50.000 Narco-Gangster stehen, verzeichnet die
Bilanz des Krieges 50.000 Tote in den vergangenen fünf Jahren. Und nur
wer den Stoff, der dieses Gemetzel antreibt, völlig aus den Augen
verloren hat, verbucht es als Erfolg, wenn sich die Gangster gegenseitig
umbringen.
Die Kartelle sind längst mehr als Mördertruppen,
sie sind eine gesellschaftliche Macht. In großen Teilen der
unterprivilegierten Bevölkerung genießen sie Anerkennung, in manchen
Gegenden werben sie um Mitglieder mit Dienstwagen und
Rentenversicherung, die Charts sind voll von Liedern, die die
Heldentaten der Capos besingen; und wenn man die Kinder auf den Straßen
von Nuevo Laredo oder Ciudad Juárez fragt, was sie mal werden wollen,
dann steht der Job des „narcotraficante“ ganz oben auf der Liste. Und
das Land, das so gerne eine mustergültige Demokratie wäre, muss seine
Armee gegen seine eigenen Bürger kämpfen lassen, weil die Polizei zu
machtlos ist und oft auch zu korrupt.
So umfassend ist der Einfluss der
Drogenmafia mittlerweile, so diversifiziert ihr auf künstlicher
Knappheit basierendes Geschäftsmodell, dass ihr trauriger Erfolg von
Kritikern der Legalisierung sogar als Gegenargument herangezogen wird:
Marihuana, sagen sie, sei heute nur noch ein sehr kleiner Teil des
kriminellen Portfolios aus Prostitution, Waffenhandel und Korruption.
Weshalb ein Zusammenbruch des Drogenmarktes an ihrer Macht nichts ändern
würde. Am Ende ist das wohl die traurigste Form der Kapitulation.
Der Mann aber, der damit angefangen hatte, den
Krieg gegen die Drogen an seine Soldaten zu delegieren, hat mittlerweile
aufgegeben, an diesen Irrsinn zu glauben. Legalisierung sei der einzige
Weg, sagt heute auch Vincente Fox. Als guter Katholik weiß er auch,
warum: „Prohibition hat schon im Garten Eden nicht funktioniert“,
erklärt er. „Adam aß den Apfel.“
* Die Umwelt *
Was also wäre, wenn? Was
wäre, wenn jeder die Drogen seiner Wahl im Fachhandel kaufen könnte, in
einem der dreitausend Läden etwa, mit denen der Deutsche Hanfverband
alleine für den Verkauf von Cannabis rechnet? Wenn Inspektoren einer
Gesundheitsbehörde darauf achten würden, dass Händler keinen gestreckten
Stoff mehr anbieten, und wenn auch die Käufer nicht mehr durch deren
Monopol gezwungen wären, jeden Dreck zu kaufen? Und wenn ein
Kokainkunde, der von seinem Dealer übers Ohr gehauen wurde, ganz einfach
vor Gericht ziehen könnte, um ihn zu verklagen, statt ihn mit den
Mitteln zur Rechenschaft zu ziehen, die im gesetzfreien Raum für adäquat
gehalten werden?
Es gibt, das zumindest ist die Basis eines
marktwirtschaftlichen Rechtsstaats, durchaus ein paar sehr effektive
legale Instrumente der Kontrolle und Reglementierung. Solange aber
Drogen verboten sind, ist alles, was mit ihnen zu tun hat, illegal. Und
wo das Gesetz nicht hinkommt, da hat es keine Macht. Zu den eher
unbekannten Problemen des Kokains etwa gehört das ökologische Desaster,
das seine Herstellung mit sich bringt: Der Anbau zerstört den Regenwald,
für die Gewinnung aus den Coca-Blättern benötigt man pro Kilogramm drei
Liter Schwefelsäure, bis zu achtzig Liter Kerosin und einen Liter
Ammoniak, die Abwässer landen ungefiltert in den Flüssen. Mag sein, dass
das ein Schaden ist, den man vernachlässigen kann, solange Menschen
sterben. Aber es ist ein ganz gutes Beispiel für die grundsätzliche
Ohnmacht politischer Maßnahmen: Wie soll man eine Fabrik kontrollieren,
die es nicht geben darf? Es ist gar keine Frage: Drogen verursachen
riesige Probleme. Man sollte es nicht Kriminellen überlassen, sie zu
lösen.
* Die Gesellschaft *
Das ist vielleicht der
schlimmste Kollateralschaden der Metapher vom „war on drugs“: dass er,
schon aus semantischen Gründen, nur mit der Verhaftung aller
Drogenbarone, der Vernichtung sämtlicher Drogenvorräte sowie dem
Abfackeln aller Hanf-, Coca- und Opiumplantagen siegreich enden kann.
Alles andere sähe, in den narrativen Formen Amerikas erzählt, wie eine
Kapitulation aus. Und auch hier, in Deutschland und Europa, verbindet
sich mit der Vorstellung, dass die Drogen entkriminalisiert würden,
immer die Furcht, dass damit auch der Kampf gegen die Abhängigkeit und
deren Nebenfolgen enden könnte.
Es wäre aber erst der Anfang. Wer glaubt, dass die
Entkriminalisierung unsere Kinder der Drogensucht ausliefern würde, der
müsste auch ein Totalverbot von Alkohol und Nikotin fordern, jener
beiden gefährlichen Drogen, die zwar legal sind; und die wir aber
trotzdem nicht in unseren Kinderzimmern dulden können. Es gibt viele
Methoden, die Drogen und die Sucht zu bekämpfen - und dass die
Prohibition nicht dazugehört, das hat das gesamte 20. Jahrhundert
gelehrt - nicht nur der Großversuch, den sich die Vereinigten Staaten
von 1919 bis 1933 mit dem Alkohol leisteten.
Die schreckliche Droge Crack, nur zum Beispiel, die
innerhalb kürzester Zeit den Charakter zerrüttet und das Leben des
Süchtigen zerstört, diese Droge breitet sich fast ausschließlich an den
Schmutzrändern der reichen Städte aus - dort, wo der Wohlstand sichtbar
und doch unerreichbar erscheint, dort, wo es keine Arbeit und wenig
Hoffnung auf ein Entkommen gibt, aber immerhin die Möglichkeit, mit
kleinen Gaunereien die Dollars für die nächste Ration zu verdienen. Das
beste Mittel gegen Crack scheinen Schulen, Arbeitsplätze,
Aufstiegsmöglichkeiten zu sein.
Wie man die Wohlstandsdrogen bekämpft, das haben
die Vereinigten Staaten ja erfolgreich vorgeführt. Die Zeit, da man vor
dem Mittagessen zwei Martinis trank, ging zu Ende, als man den Suff am
frühen Nachmittag gesellschaftlich zu ächten begann. Und genauso könnte
es gehen mit Cannabis, Kokain und dem ganzen synthetischen Dreck. Es ist
höchste Zeit, etwas zu tun: gegen die Drogen und gegen die Verbrecher,
die damit Milliarden verdienen. Entkriminalisierung wäre nur der erste
Schritt.
Quelle: F.A.S.