Mittwoch, 26. Januar 2011

HB: Staatlichen Dirigismus im Wirtschaftsleben und die Durchsetzung unfairer Geschäftspraktiken nehmen zu



von Dorit Heß und Torsten Riecke

Der Siegeszug der asiatischen Werte

Mit dem wirtschaftlichen Siegeszug der neuen Weltmacht China wird immer deutlicher: Die westliche Kultur verliert an Strahlkraft, asiatische Normen gewinnen an Dominanz. Deutschen Managern jagt das Angst ein: Sie fürchten staatlichen Dirigismus und unfaire Geschäftspraktiken.

BERLIN/DAVOS. Das Wirtschaftsforum in Davos beschäftigt sich ab heute mit der Wertefrage im Zeitalter der Globalisierung. Die offizielle Variante der Wahrheit lautet: "Wer vor Asien Angst hat, hat einen schlechten Ratgeber", sagte Jürgen Hambrecht, Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und Chef von BASF.

Die inoffizielle Variante der Wahrheit hört sich anders an. Im Handelsblatt Business-Monitor, einer bundesweiten, anonymen Umfrage unter mehr als 700 Führungskräften, zeigt sich das wahre Asien-Bild der Topmanager. Es wird auch in Davos zur Sprache kommen - aber nur unter Ausschluss der Fernsehkameras.

Dieses Asien-Bild ist zwar auch geprägt von der Anerkennung des dort Geleisteten, aber mindestens genau so stark von der Furcht vor einem Siegeszug der asiatischen Kultur. Fast jede zweite deutsche Führungskraft (47 Prozent) ist überzeugt, dass sich "eher östliche, asiatische Normen" durchsetzen werden. Nur 29 Prozent erwarten, dass westliche Normen in den nächsten Jahren die Oberhand behalten werden.

Unter asiatischen Werten verstehen die Führungskräfte nicht nur die Strenge im Erziehungssystem, sondern vor allem staatlichen Dirigismus im Wirtschaftsleben und die Durchsetzung unfairer Geschäftspraktiken. Mehr als 80 Prozent der Topmanager sind der Meinung, dass die Vorstellung von Fair Play in Asien eine andere ist als im Westen. 27 Prozent der Befragten geben sogar an, selbst bereits negative Erfahrungen gemacht und "unfair von Geschäftspartnern behandelt" worden zu sein.

Allein in China sind rund 4 500 deutsche Unternehmen tätig. Die häufigsten Klagen betreffen den fehlenden Schutz geistigen Eigentums und protektionistische Hürden aller Art.

Für die Diskrepanz zwischen offiziellem Statement und wirklicher Meinung gibt es eine Erklärung. "Wer die wirtschaftliche Macht hat, bestimmt im Wesentlichen auch die Rahmenbedingungen mit", sagt Jürgen Heraeus, Aufsichtsratschef des gleichnamigen Technologiekonzerns. Keines der international tätigen Unternehmen kann es sich leisten, auf die boomenden Wachstumsmärkte Asiens zu verzichten.

Das erste Opfer beim Siegeszug der asiatischen Werte ist offenbar die Wahrhaftigkeit.

So etwas gab es in Davos noch nie: eine Veranstaltung über chinesische Unternehmen, bei der nicht die Konferenzsprache Englisch gilt - sondern Mandarin. China, das verdeutlicht schon dieses Novum, ist zum Dreh- und Angelpunkt des am Mittwoch beginnenden Weltwirtschaftsforums geworden. Die Zahl der chinesischen Teilnehmer hat sich in den vergangenen Jahren fast verfünffacht. China ist zur wirtschaftlichen Weltmacht aufgestiegen.

Beim Hauptthema des Forums, der Suche nach gemeinsamen Werten, müssen sich die Vertreter der Volksrepublik allerdings auf kritische Fragen gefasst machen. Die westlichen Manager wird vor allem interessieren, ob China bereit ist, seine gefürchteten unfairen Geschäftspraktiken aufzugeben und ausländischen Unternehmen einen gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Aufträgen zu gewähren. Außerdem verlangt der Westen einen besseren Schutz seines geistigen Eigentums. Denn die Volksrepublik ist für viele nicht nur der Export-, sondern auch der Kopierweltmeister.

Auch im jüngsten Fall von Industriespionage beim französischen Autohersteller Renault geriet China in Verdacht. Nach französischen Berichten sollen zwei Renault-Manager von einem chinesischen Staatskonzern dafür bezahlt worden sein, geheime Details über ein Elektroauto weitergegeben zu haben. China bestreitet die Vorwürfe.

Doch es gibt noch viele andere Schwachstellen in den Beziehungen Chinas zur westlichen Welt: Die deutsche Autoindustrie etwa klagt über ungerechte Bedingungen. Ihre Unternehmen dürfen auch nach 30 Jahren Öffnungspolitik ausschließlich in Gemeinschaftsunternehmen produzieren.

Der chinesische Windkraftmarkt ist ein anderes Problem: Er ist seit Jahren für westliche Firmen abgeriegelt. Ausschreibungen zu gewinnen ist für europäische Firmen praktisch aussichtslos. Deutsche Firmen, etwa Versicherer, ärgern sich über endlos lange Genehmigungsverfahren zur Eröffnung weiterer Filialen in China.

Trotz aller Schwierigkeiten kann die deutsche Wirtschaft aber nicht auf die boomenden asiatischen Märkte verzichten. "Die Herausforderung müssen wir annehmen und uns immer wieder neu bewaffnen mit besseren Technologien", sagt Firmenpatriarch Jürgen Heraeus, der eben erst in die Handelsblatt Hall of Fame aufgenommen wurde. "Es hilft nicht, über das Auftreten der Chinesen und ihre Geschäftspraktiken ständig zu klagen."

Immerhin räumt Peking inzwischen ein, dass es in dem Riesenreich Missstände gibt. So kündigte Präsident Hu Jintao jüngst mehrere Maßnahmen an, um das ramponierte Geschäftsimage aufzupolieren. Durch verschärfte Kontrollen soll sichergestellt werden, dass staatliche Behörden keine illegal kopierte Software mehr verwenden. Außerdem deutete Hu an, dass chinesische Staatsunternehmen bei ihrem Einkauf von Technologieprodukten nicht mehr darauf pochen werden, dass deren Patente in China entwickelt und registriert sein müssen. Das hatte bislang zum Ausschluss vieler ausländischer Anbieter geführt.

In Davos werden die großen Ungleichgewichte auf den Güter- und Kapitalmärkten ein weiteres Hauptthema sein. Während Schwellenländer wie China die lockere Geldpolitik der US-Notenbank für die Schieflage in der Weltwirtschaft verantwortlich machen, zeigen die Amerikaner mit dem Finger auf die Währungsmanipulationen der Führung in Peking. China hält seit langem den Wechselkurs seiner Währung, des Yuans, künstlich niedrig.

Der Business-Monitor zeigt, wie groß das Unbehagen in der Wirtschaft über staatliche Eingriffe auf den Kapitalmärkten ist: 62 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Staaten sich hier heraushalten sollen. Doch sosehr sie sich auch gegen staatliche Kapitalmarkteingriffe aussprechen: Insgesamt erwarten die Manager, dass Kontrollen des Staates und Eingriffe in die Wirtschaft in den kommenden Jahren zunehmen werden. Davon gehen drei Viertel der für den Handelsblatt Business-Monitor befragten Führungskräfte aus Deutschland zumindest aus. "Die Manager ziehen offenbar Schlüsse aus der Wirtschafts- und Finanzkrise, die vor allem durch die Eingriffe der Staaten bekämpft wurde", sagt Psephos-Chef Hans-Jürgen Hoffmann.

Freitag, 14. Januar 2011

HB: FED Anteilseigner JP Morgan profitiert kräftig

Milliardengewinn: JP Morgan setzt die anderen Banken unter Zugzwang

Die Großbank JP Morgan Chase eröffnet die Berichtssaison der US-Geldhäuser, und sie verbreitet Zuversicht: Der Nettogewinn kletterte im vierten Quartal um fast die Hälfte auf 4,8 Milliarden Dollar. Auch über das Gesamtjahr hinweg konnte die nach Vermögenswerten zweitgrößte Bank der USA kräftig zulegen.


NEW YORK/DÜSSELDORF. Die US-Großbank JP Morgan Chase hat ihren Netttogewinn im vierten Quartal um 47 Prozent auf 4,8 Milliarden Dollar oder 1,12 Dollar je Aktie gesteigert - mehr als von Analysten erwartet. Im Vorjahresquartal waren es noch 3,28 Milliarden oder 0,74 Dollar pro Anteilsschein gewesen.

Die Einnahmen stiegen leicht um sechs Prozent auf 26,7 Millarden Dollar. Das teilte die nach Vermögenswerten zweitgrößte Bank der USA am Freitag mit. Grund seien vor allem gesunkene Kosten für faule Kredite. JP Morgan musste noch drei Milliarden Dollar für dafür zurückstellen, nach fast der dreifachen Summe vor einem Jahr. Vor allem im Kreditkartengeschäft besserte sich die Situation; hier konnte die Bank zwei Milliarden an Rückstellungen wieder auflösen.

Über das Gesamtjahr 2010 stieg der Nettogewinn um 48 Prozent auf 17,4 Milliarden Dollar. Die meisten Geschäfte hätten sich gut entwickelt, sagte Bankchef Jamie Dimon. „Obwohl wir immer noch mit großen Herausforderungen konfrontiert sind, gibt es Anzeichen dafür, dass Stabilität und Wachstum sowohl am globalen Kapitalmarkt als auch in der US-Wirtschaft zurückkehren“. Die Bank stehe stärker da als jemals zuvor. Damit schürte das Institut Hoffnungen auf eine weitere Erholung Wirtschaft und legte zugleich die Latte für seine Rivalen hoch.

JP Morgan – die einzige US-Großbank, die über die Finanzkrise hinweg profitabel geblieben war – eröffnet die Quartalssaison der US-Institute. Wegen ihrer Breite vom Investment-Banking bis zum Privatkundengeschäft gilt die Bank als Barometer.

Am Dienstag legt der US-Branchendritte Citigroup Ergebnisse vor, am Mittwoch Dienstag folgt Goldman Sachs, am Freitag Marktführer Bank of America. Experten warnten allerdings davor, das Ergebnis von JP Morgan als Trend für die gesamte Branche anzusehen, weil einige Institute noch deutlich stärker mit den Folgen der Krise zu kämpfen hätten. „JP Morgan und Goldman Sachs stehen für sich“, sagte Analyst David Morrison von GFT Global Markets. „Wir müssen nicht zwingend von den anderen Banken auch gute Ergebnisse erwarten.“

Zwei Jahre nach dem Höhepunkt der Krise hatten die US-Großbanken zuletzt wieder Zuversicht signalisiert. Allen voran JP Morgan, für die Analysten einen deutlichen Gewinnsprung erwartet hatten. Dimon war Mitte der Woche überdies mit optimistischen Aussagen vorangeprescht: "Wir bauen viel Überschusskapital auf, daher wollen wir wieder eine richtige Dividende zahlen", sagte der Manager.

In einem TV-Interview warb Dimon für die Pläne einiger Banken, die Dividenden zu erhöhen, die sie während der Finanzkrise zusammengestrichen hatte. Einen solchen Schritt müssen sich die Institute von den Aufsichtsbehörden nach den derzeit laufenden Stresstests absegnen lassen. Dimon stellte in Aussicht, die Ausschüttung je Aktie auf einen Dollar zu vervierfachen. Andere Großbanken hatten zuletzt ebenfalls angekündigt, ihre Dividendenzahlung zu erhöhen zu wollen.

Die US-Institute, die in der Krise mit mehr als 100 Milliarden Dollar vom Staat gestützt worden waren, haben sich in den vergangenen zwei Jahren stabilisiert. Der Staat hingegen steckt jetzt tiefer in der Krise als je zuvor.Als letzter Branchenvertreter hatte die Citigroup im Dezember 2010 die Hilfen beglichen.

Hatte das Kapitalmarktgeschäft 2009 teilweise für Rekordgewinne gesorgt, waren es ab Frühjahr 2010 vor allem sinkenden Kosten für ausfallende Kredite, die den Gewinn stabilisierten. So konnte die Branche im zweiten und dritten Quartal über 15 Milliarden Dollar an Rückstellungen auflösen und den Gewinnen zuzuschlagen. Analystenschätzungen zufolge dürften die Gewinne auch im vierten Quartal von den Auflösungen der Rückstellungen in Höhe von bis zu sieben Milliarden Dollar profitiert haben.

Das nutzt allerdings nur den Vollbanken wie JP Morgan. Da Investmentbanken wie etwa Goldman Sachs kaum Kredite vergeben, können sie auch keine Risikovorsorge auflösen. Das Wall-Street-Haus bekam daher 2010 die von der Eurokrise ausgelöste Schwäche des Kapitalmarktgeschäftes voll zu spüren.

Im vierten Quartal dürfte sich Experten zufolge in den Zahlen der Banken erstmals die an Fahrt gewinnende Wirtschaftserholung in den USA bemerkbar machen. So wuchs laut US-Notenbank Fed erstmals das Volumen der ausgegeben Kredite um 0,5 Prozent, nachdem es zuvor zwei Jahre lang geschrumpft war.

Experten erwarten, dass das Kreditwachstum 2011 weiter anhält und die Gewinne der Branche nach oben treibt. "Wir rechnen für die großen US-Banken mit einem Gewinnplus zwischen 20 und 25 Prozent", sagte Matt Burnell, Bankenanalyst von Wells Fargo.

Riskant für die Banken ist allerdings weiterhin, welche Kosten noch aus der strengeren Regulierung und der Beilegung des noch nicht gelösten Hypothekenskandals entstehen. So mussten US-Institute zuletzt Milliarden an toxischen Kreditpapieren zurückkaufen, in die sie falsch dokumentierte Hypotheken verpackt hatten.

Schätzungen zufolge kann das die Branche insgesamt bis zu 180 Milliarden Dollar kosten. Während JP-Morgan-Chef Dimon glaubt, zwei Drittel des Problems seien abgehakt, sind Analysten weniger optimistisch. "Die Sache ist so komplex, dass niemand weiß, wo wir stehen", so die Staranalystin Meredith Withney.

Im vierten Quartal 2010 hatten die beiden halbstaatlichen Hausfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac die Bank of America zu einem drei Milliarden schweren Rückkauf solcher Papiere gezwungen. Analysten glauben, aufgrund dieser Transaktion einigermaßen absehen zu können, was von diesen beiden Häusern auf die Banken zukommt.

Offen ist aber, welche Aussicht auf Erfolg private Investoren - wie US-Pensionsfonds und die deutschen Landesbanken - haben könnten, wenn sie von der Wall Street die Rücknahme der Papiere verlangen. Während sich die Fonds zu Aktionsbündnissen zusammentun, ist bislang von den Landesbanken wenig zu hören.

Mit Spannung wird derweil erwartet, wie die Boni für das abgelaufene Jahr ausfallen. Als erste Großbank wird JP Morgan zusammen mit dem Jahresergebnis offenlegen, wie hoch die Prämien für die Angestellten angesetzt werden. Analysten gehen davon aus, dass sich die Ausschüttungen auf etwa zehn Milliarden Dollar summieren, das wären rund 390 000 Dollar pro Banker.

Ingesamt wird mit einem leichten Rückgang gegenüber 2009 gerechnet. Die Investmentbank Morgan Stanley hat ihre Spitzenbanker bereits darauf vorbereitet, dass die Prämien bis zu 30 Prozent niedriger ausfallen würden als im Vorjahr. Morgan-Stanley-Chef James Gorman selbst hatte die Boni-Kultur an der Wall Street kritisiert und sie als eine der Ursachen der Finanzkrise bezeichnet.



Montag, 3. Januar 2011

HB: Euro-Skepsis: Tschechien und die Skandinavier sträuben sich

Euro-Skepsis: Tschechien und die Skandinavier sträuben sich

Nicht alle europäischen Nationen sehnen sich nach einer Gemeinschaftswährung. Die Engländer und die Dänen haben sich von einer Beitrittspflicht zum Euro entbunden. Anders als die Schweden. Die greifen seit Jahren auf einen Trick zurück, um die Krone zu behalten.

Nicht überall beliebt: Der Euro. Quelle: dpaLupe

Nicht überall beliebt: Der Euro. Quelle: dpa

WIEN, STOCKHOLM, LONDON . Die hartnäckigsten Gegner des Euros sitzen in Tschechien. Präsident Vaclav Klaus, Premier Petr Necas und Nationalbank-Chef Miroslav Singer sind sich durch die Bank einig, dass ihr Land so schnell nichts in der Euro-Zone zu suchen hat. Die Krise in Griechenland und Irland hat die Skepsis sogar noch verstärkt. Kurz vor Weihnachten haben sich Finanzministerium und Nationalbank geweigert, einen konkreten Beitrittstermin Tschechiens zur Euro-Zone festzulegen. "Die Regierung unterstützt diese Position", kommentierte Premier Necas die Entscheidung.

Eigentlich müsste sich Tschechien auf die Euro-Einführung vorbereiten. Alle neuen osteuropäischen Mitgliedsländer sind vertraglich verpflichtet, die Gemeinschaftswährung zu übernehmen. In der vergangenen Woche hat sich die Prager Führung auch geweigert, dem Europäischen Wechselkursmechanismus, der Vorstufe zur Euro-Einführung, beizutreten. Sonst dürfte die tschechische Krone zwei Jahre lang nur in einem ganz engen Band gegenüber dem Euro schwanken. Wird diese Vorgabe eingehalten, ist eine wichtige Beitrittshürde genommen.

Einflussreichster Euro-Gegner in Tschechien ist Präsident Klaus. Der Euro würde die nationale Souveränität massiv beschneiden, ist sein wichtigstes Argument. Klaus legt auch fest, wer an die Spitze der Nationalbank rücken darf und sorgt dafür, dass dort in erster Linie Euro-Skeptiker sitzen. Die Taktik der Prager Führung ist klar: Vertraglich ist das Land zwar zur Euro-Einführung verpflichtet. Die Regierung wird deshalb versuchen, immer wieder Zeit zu gewinnen und den Beitritt hinauszuzögern.

Auch in Skandinavien überwiegt die Euro-Skepsis. Dänemark hatte sich wie Großbritannien schon bei seinen EU-Beitrittsverhandlungen ganz offiziell von der Pflicht zur Euro-Einführung entbinden lassen. Anders ist die Situation in Schweden, wo es keine "Opt-out"-Klausel gibt. Um nicht zur Euro-Einführung gezwungen zu werden, arbeitet Stockholm seit Jahren mit einem Trick: Man hat die schwedische Krone nicht an das Europäische Währungssystem (EWS) gebunden und verstößt somit absichtlich gegen ein Maastricht-Kriterium.

Ohnehin könnten Dänemark und Schweden den Euro nur nach einer Volksabstimmung einführen. Und in beiden Ländern ist eine deutliche Mehrheit der Wähler gegen die Gemeinschaftswährung – auch weil ihre Volkswirtschaften sich besser entwickelt haben als die im Euro-Raum. Schwedens Finanzminister Anders Borg, selbst ein glühender Euro-Befürworter, erklärte kürzlich im Handelsblatt-Interview, dass er derzeit keine Chance für die Einführung sehe. Nach dem "Nein zum Euro" beim ersten Referendum im Herbst 2003 werde keine schwedische Regierung einen neuen Anlauf wagen, bevor es nicht eine stabile Mehrheit für die Gemeinschaftswährung gebe.

In Großbritannien hat die Euro-Krise dem Lager der Skeptiker wieder Aufwind gegeben. Die britische Regierungskoalition hat einen Beitritt im Koalitionsvertrag förmlich ausgeschlossen. Auch die Liberaldemokraten, die einzige Partei, die den Euro überhaupt im Parteiprogramm stehen hat, haben kalte Füße bekommen. Für die ferne Zukunft will aber niemand eine Euro-Mitgliedschaft ausschließen.

HB: EU wird nationale wirtschaftspolitische Alleingänge Juni2011 verbieten

Der Euro im Überlebenskampf

Europa hat seine Währung längst nicht wieder im Griff. Anleihen der Schuldenstaaten werden auch im neuen Jahr bei Anlegern nicht sehr beliebt sein. Die Euro-Zone steht vor einer schwierigen Entscheidung: Transferunion oder Zerfall? Sieben Unwägbarkeiten für 2011.

Euro-Skulptur vor dem EZB-Tower: Sieben Risiken werden die Euro-Zone im kommenden Jahr besonders belasten. Quelle: dpaLupe

Euro-Skulptur vor dem EZB-Tower

BRÜSSEL. Mit einem großen Versprechen hat sich die politische Führung der Europäischen Union vom Jahr 2010 verabschiedet: "Wir werden alles Nötige tun, um die Stabilität des gesamten Euro-Währungsgebiets sicherzustellen", sagten die 27 Staats- und Regierungschefs zum Abschluss ihres Gipfeltreffens kurz vor Weihnachten in Brüssel.

Doch die Willensbekundung ist das eine, die Umsetzung das andere. Die Europäer haben es noch längst nicht geschafft, ihre Währung zu retten. "Die Probleme wurden auf die lange Bank geschoben", kritisiert Daniel Gros, Direktor der Brüsseler Denkfabrik Centre for European Policy Studies (CEPS). Wie viele Beobachter rechnet er damit, dass internationale Investoren griechische, portugiesische, spanische und irische Staatsanleihen auch im Jahr 2011 nur mit größter Vorsicht anfassen. Mit neuen spekulativen Attacken sei jederzeit zu rechnen.


Sieben Risiken werden die EU im kommenden Jahr vor allem belasten.

Sparprogramme: Als Erstes sind das die schmerzlichen Sparprogramme. Viel wird davon abhängen, wie konsequent die Regierungen in den Hauptstädten Athen, Lissabon, Madrid und Dublin die Spar- und Sozialreformen durchziehen. Ob der politische Wille dafür auf Dauer überall ausreicht, ist keineswegs sicher. Die erste Bewährungsprobe steht schon zu Beginn des neuen Jahres in Irland bevor. Dort wird gewählt; danach wird wohl die Opposition an die Macht kommen. Sie wirft der jetzigen Regierung vor, die Banken zu schonen und alle Krisenlasten allein der Bevölkerung aufzubürden. Ein Vorwurf, den sich alle Regierungen in Europa anhören müssen. Macht die Noch-Opposition nach einem Regierungswechsel also Ernst, kann es passieren, dass zur Abwechslung einmal die Gläubiger der irischen Banken zur Kasse gebeten und die Steuerzahler entlastet werden.

Banken: Die Banken sind das zweite Risiko. Die EU hat ihre großen Banken immer noch nicht richtig saniert. Würden sie zur Verantwortung gezogen, käme dieses schwere Versäumnis des bisherigen Krisenmanagements erst richtig zum Tragen. Vor allem spanische und deutsche Geldinstitute gelten als unterkapitalisiert. Sie haben längst nicht alle Bilanzrisiken offengelegt - vor allem jene im Zusammenhang mit den kollabierten Immobilienmärkten in Irland und Spanien. Sollten die Iren die staatliche Vollgarantie für die Banken zurückziehen, könnten auch deutsche Kreditinstitute ins Wanken geraten. Auch der für 2011 angekündigte zweite europäische Banken-Stresstest könnte Deutschland in Bedrängnis bringen. Gut möglich, dass Bund, Länder und Sparkassen dann gezwungen sein werden, bei Landesbanken und anderen öffentlichen Instituten Kapital nachzuschießen.

Staatsfinanzen: Das ganze Ausmaß der Krise wird voraussichtlich mit Verspätung, also wohl im kommenden Jahr, voll zutage treten. Das gilt nicht nur für die Banken, sondern auch für die Staatsfinanzen. Das dritte Risiko.

Noch tut die EU so, als ob Portugal seine Schulden aus eigener Kraft abtragen kann. Doch die Finanzmärkte zweifeln. Die Ratingagentur Moody's drohte erst kurz vor Weihnachten mit einer weiteren Herabstufung des Landes. Viel spricht dafür, dass Portugal im Laufe des neuen Jahres als zweiter Staat nach Irland Milliarden-Kredite aus dem Euro-Rettungsfonds benötigt. "Portugal manövriert ständig am Abgrund entlang", sagt CEPS-Direktor Gros. "Und sogar Spanien könnte in eine Liquiditätsklemme geraten." Ökonomen kritisieren, die EU habe das Übel immer noch nicht an der Wurzel gepackt. Milliardenschwere Kredite aus dem Euro-Rettungsfonds reichen womöglich nicht aus. Am Ende könnte gar eine Teilentschuldung mancher Länder nötig werden. Griechenland ist ein Kandidat hierfür, vielleicht auch Portugal und Irland. Die politische Führung der EU muss einen Plan entwickeln für die Restrukturierung von Staatsschulden.

Dafür wollen die Staats- und Regierungschefs beim nächsten Gipfel im März einen permanenten Krisenbewältigungsmechanismus beschließen, der jedoch erst ab Mitte 2013 greift. Im Januar werden die Finanzminister darüber erstmals in Brüssel beraten; Deutschland und Frankreich wollen bis dahin einen gemeinsamen Vorschlag präsentieren. Die beiden größten Euro-Staaten erwägen die Gründung eines "European Stability and Growth Investment Fund" (EGASIF). Im Notfall soll er die Staatsanleihen klammer Euro-Länder aufkaufen und Kredite an diese Staaten vergeben.

Währungsfonds: Der EGASIF ist das vierte Risiko. Denn Paris und Berlin wollen ihn an harte Bedingungen knüpfen. Das wird die Gemeinschaft auf die Probe stellen. Der Fonds soll in den betroffenen Ländern radikale Wirtschaftsreformen durchsetzen. So steht es in einem Diskussionspapier der Bundesregierung, das dem Handelsblatt vorliegt. Der Bundesfinanzminister erneuert damit einen alten Vorschlag: Wolfgang Schäuble hatte bereits im Frühjahr 2010 einen Währungsfonds für Europa gefordert. Damals fand er dafür in der Euro-Zone keine Unterstützung, nun wagt er einen neuen Vorstoß.

Rezession: Die größte Befürchtung der Mitgliedstaaten ist, das fünfte Risiko, dass die EU in eine erneute Rezession abrutschen könnte. Der harte Sparkurs gefährdet vor allem die hochverschuldeten Länder. Griechenland brauche "Hilfe von außen, um die schmerzhafte Anpassung an ein neues Gleichgewicht abzufedern", mahnt Ökonom Johannes Becker von der Universität Münster. Die EU-Kommission denkt deshalb darüber nach, den Schuldenstaaten gezielt Mittel aus den Fördertöpfen für strukturschwache Regionen zur Verfügung zu stellen.

Grundstruktur: All das weist auf das übergeordnete sechste Risiko hin, das die EU endlich beheben muss: Jahrelang verwies die EU-Kommission vergeblich auf die wachsende Kluft zwischen leistungsstarken Staaten wie Deutschland und wettbewerbsschwachen Ländern wie Griechenland. Nun werden die Klagen endlich erhört. Deutschland und Frankreich haben eine gemeinsame Initiative zur EU-Wirtschafts- und Fiskalpolitik in der Euro-Zone angekündigt. Die Kanzlerin gab die Richtung beim letzten Gipfel vor: Zum Zusammenrücken der Europäer gebe es keine Alternative, sagte Angela Merkel. Davon müsse nun auch die deutsche Bevölkerung überzeugt werden.

Zerfall: Das siebte, stille Risiko, den Zerfall der Union, wagt niemand wirklich auszusprechen.

Europäischer Kalender

Januar: Die Finanzminister der Euro-Gruppe treffen zu Beratungen über die finanzielle und wirtschaftliche Lage in Irland, Portugal, Griechenland und Spanien zusammen.

Februar: Sondergipfel der EU-Staats- und-Regierungschefs - offiziell steht die EU-Energiepolitik auf der Tagesordnung. Doch die Lage der hochverschuldeten Euro-Länder könnte in den Vordergrund rücken, falls die Finanzmärkte bis dahin erneut zur Attacke blasen.

März: EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy lädt zum nächsten EU-Gipfel. Dabei wollen die EU-Regierungschefs einen dauerhaften Krisenlösungsmechanismus für die Euro-Zone beschließen. Er soll den Rettungsfonds ablösen, der Mitte 2013 ausläuft.

Juni: Die EU-Chefs treffen sich zum dritten Mal. Auf der Tagesordnung steht die künftige EU-Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Dazu sollen sechs EU-Gesetze beschlossen werden. Ziel ist es, den Spardruck zu erhöhen und nationale wirtschaftspolitische Alleingänge künftig zu verhindern.

Mitarbeit: Claudia Schumacher