Dienstag, 20. März 2012

Zensur beim Amadinedschad ZDF Interview

Die Ausschnitte die das ZDF im Interview vom 19.03.2012 rausgeschnitten hat.
In ZDF Sprache: Das Interview wird in die ausgewogene Iran-Berichterstattung eingebettet.  
Irans Behörden bestanden zunächst auf einem Live-Interview. Das ZDF setzte aber eine Voraufzeichnung und Einordnung durch und behält so die journalistische Hoheit.(=Das Recht zur Manipulation in die gewünschte Richtung?!?)

http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/26/0,3672,8497018,00.html

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DerStandart: Gut inszeniert, die Mainstream-Meinung

Kurt Gritsch

Gut inszeniert, die Mainstream-Meinung

Leser-Kommentar | 14. März 2012 09:15

Sind bürgerliche Qualitätszeitungen Kriegshetzer? Medienkritik aus Sicht eines Konfliktforschers

Lesen Sie gerne Zeitung? Und wenn ja, gehören auch Sie zu jenen, die bürgerlichen Qualitätsblättern wie "FAZ", "NZZ", "Süddeutscher Zeitung" oder "Die Zeit" die Stange halten? Ich bekenne: Ich gehöre nicht dazu. Nicht mehr, seit ich über viele Jahre feststellen musste, dass die publizistische Vorbereitung von Krieg dort Methode hat. Starker Tobak, meinen Sie?
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Sachlage scheint "objektiv" und eindeutig
Als Student las ich 1998 von gewaltsamen Übergriffen von Polizeieinheiten auf Zivilisten im Kosovo. Die Sachlage schien eindeutig, so gut wie niemand wäre ohne Sympathie für die verfolgten Albaner gewesen. Zugleich fanden wir alle, dass man Serbien mit seinem "neuen Hitler" Slobodan Milosevic, der nicht auf diplomatische Verhandlungen reagierte und "seine eigenen Bürger" ermordete, zur Räson bringen musste, notfalls auch mit Gewalt. Der Krieg sollte mit Krieg gestoppt werden. Dass dadurch die Zahl der Toten am Ende mehr als verzehnfacht würden, konnten wir uns nicht vorstellen.
Im Frühjahr 1999 schickte die NATO Kampfflugzeuge, die ausschließlich serbische Militäreinrichtungen bombardierten (von den planvoll getroffenen Schulen und Krankenhäusern erfuhr ich erst viel später), was die Albaner vor einem "neuen Auschwitz" (Joschka Fischer) retten sollte. Doch als die Massenbombardements auf Serben überraschenderweise doch keine Menschenrechte schützten, sondern zur Massenvertreibung der Albaner führten, kam plötzlich Skepsis auf. Irgendetwas konnte da nicht stimmen, auch wenn alle maßgeblichen deutschsprachigen Massenmedien weiterhin behaupteten, dass die Luftschläge (das Wort "Krieg" wurde tunlichst vermieden) erfolgreich seien.
Wurden Fakten einfach unterschlagen?
Die Mainstream-Meinung sprach nur von zwei Alternativen: eingreifen oder zusehen, wobei letzteres mit dem Vorwurf ergänzt wurde, dass man so niemals Krieg gegen Hitler hätte führen können. Ein dritter Weg schien nicht zu existieren (die schon 1998 vorhandenen Lösungsvorschläge der Friedensforscher schafften es nämlich erst gegen Kriegsende in die großen Medien), Fakten wurden einfach unterschlagen, wie z. B. die Strategie der albanischen Terroreinheit UCK, einen Bürgerkrieg anzufachen, die eigenen Leute zu opfern und dadurch die NATO zum Eingreifen zu bewegen (von wegen Holocaust!).
Nichts zu hören war auch von politischen, ökonomischen und geostrategischen Interessen der Interventionsstaaten. Das Ziel der NATO war nämlich in Wirklichkeit die Wandlung des Bündnisses vom Verteidigungspakt zur globalen Eingreiftruppe gewesen. Und der Krieg hatte nicht geführt werden müssen, weil die Diplomatie gescheitert war, sondern weil die USA und ihre Verbündeten die Verhandlungen hatten scheitern lassen, um einen Vorwand für den längst entschiedenen Krieg zu bekommen. In den etablierten deutschsprachigen Massenmedien war dies 1998/99 (mit Ausnahme des sozialistischen Spektrums) allerdings nirgendwo zu lesen.
Meinung versus Fakten
So viel zum Unterschied zwischen Meinung und Fakten. Bittere Erkenntnis dabei: Was ich, was wir 1998 für unsere Meinung gehalten hatten, war kaum mehr gewesen als ein Wiederkäuen der gängigen Positionen bürgerlicher Medien. Wenn "FAZ", "Süddeutsche" und "NZZ" unisono vor "ethnischen Säuberungen" und einem "Genozid" an den Albanern warnten, musste Serbien doch gestoppt werden. Was lag also näher, als die Forderung nach einer militärischen Intervention zu unterstützen, weil die UNO zu schwach war?
Die Fakten sahen anders aus: Während UN-Generalsekretär Kofi Annan eine "politische Lösung" forderte und Serbien und die UCK gleichermaßen für die Eskalation verantwortlich machte, sinnierte z. B. "Die Zeit" nur noch darüber, ob Deutschland bei einem NATO-Einsatz (das Wort "Krieg" wurde tunlichst vermieden) mitmachen sollte oder nicht. Damit rief das wohl angesehenste deutsche Wochenblatt zum Verfassungsbruch auf und half tatkräftig mit, den ersten deutschen Krieg seit 1945 vorzubereiten. Im Mai 1999 rechtfertigte es dann nochmals diese Entscheidung in einem langen Fischer-Interview unter dem völlig ironiefrei gewählten Titel "Wie Deutschland in den Krieg geriet".
Blick zu aktuellen Brennpunkten
Wozu dieser ellenlange Blick in die Vergangenheit? Erstens, weil wir Historiker am liebsten sowieso immer bei Adam und Eva anfangen würden. Und zweitens, weil sich die Geschichte zwar nie wiederholt, aber häufig ähnelt. Eine dieser Ähnlichkeiten ließ sich an den "Arabischen Revolutionen" feststellen: Sobald in einem Staat bürgerkriegsähnliche Unruhen entbrannten, waren die bürgerlichen Medien zur Stelle, um als Lösung für das publizistisch mit entfachte Krisenfeuer was anzubieten? Sie erraten es schon: einen NATO-Einsatz (das Wort "Krieg" wurde tunlichst vermieden).
Als die BRD sich im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthielt und jene Resolution 1973, die zur Grundlage der Bombardierung und Zerstörung Libyens wurde, nicht mittrug, kritisierte "Die Zeit", Deutschland könne sich Isolationismus nicht leisten. Will heißen: Bitteschön in erster Reihe marschieren und bombardieren. Der Kriegseinsatz gegen Gaddafi sei "richtig und gerecht", er verliere erst dann seine Legitimität, "wenn der Feldzug zum Fehlschlag wird". Will heißen: Erfolgreiche Kriege sind automatisch legitim. Will weiters heißen: Wenn sich die NATO als das mit Abstand stärkste Militärbündnis der Welt einen schwachen Staat als Gegner auswählt, dann ist das immer legitim, weil sie nämlich erfolgreich ist.
Sprache schafft Wirklichkeit
Und dann, wenig später, Syrien: Wieder lässt ein böser Diktator unbewaffnete Zivilisten erschießen. Um nicht missverstanden zu werden: Es steht außer Frage, dass das Assad-Regime schwerste Menschenrechtsverletzungen begeht. Die entscheidende Frage ist aber, wie man die Gewaltspirale stoppt. Und die Vergangenheit zeigt ganz klar: Bombardierungen im Rahmen sogenannter "humanitärer Interventionen" machen alles nur noch schlimmer. Weniger Gewalt ist allenfalls durch Verhandlungen und Kompromisse, selbst mit einem Diktator, zu erreichen.
Wann und wie geraten internationalen Ereignisse in den medialen Fokus?
Dass unter den laut UN im Februar 2012 geschätzten 5.000 Toten rund 2.000 Soldaten und Sicherheitskräfte sind, wird allerdings in den meisten bürgerlichen Printmedien kaum erwähnt. Kein Wort davon, dass "der Westen" einen Regimewechsel erzwingen will wie in Libyen, damit das strategisch wichtige Syrien sich von Russland weg und zu den USA und der EU hin orientiert. Oder wussten Sie, dass das Assad-Regime 2011 mit Reformen begonnen hat? Dass der seit 1963 geltende Ausnahmezustand aufgehoben, Gefangene freigelassen, korrupte Gouverneure abgesetzt und die alleinigen Herrschaftsansprüche der Regierungspartei aufgegeben wurden? Wo stand zu lesen, dass Teile der innersyrischen Opposition einen Machtkompromiss mit Assad einzugehen bereit sind, während die u. a. von den USA mit Geld unterstützte Exilopposition zu keinem Entgegenkommen bereit ist?
Reflexion über Recherquellen
Ist dieses Verschweigen von Fakten Zufall oder Methode? Vielleicht ist die Frage zu hart: Auch Journalisten können nicht alles wissen. Immerhin versorgen in den USA geschulte Kampagnenaktivisten die Massenmedien mit täglichen 'Nachrichten', Videos und Telefonaten unklarer Herkunft, immerhin gibt die verbotene Muslimbruderschaft mit der in Schweden erstellten Internetseite 'Syrische Revolution 2011' ihre Ziele (Sturz Assads und Flugverbotszone - das Wort "Krieg" wird, Sie haben richtig geraten, tunlichst vermieden) als jene des "syrischen Volkes" aus.
Auch Journalisten können politischen und medialen Manipulationen wie der Anti-Assad-Kampagne (u. a. im Internet von AVAAZ) von EU, USA und den arabischen Verbündeten (Katar, Saudi-Arabien, Jordanien) auf den Leim gehen. Doch halt: Sollten Journalisten nicht einen geschulten Umgang in Konfliktberichterstattung haben? Müssten ihnen nicht Manipulationsversuche bekannt sein, müssten sie nicht darüber Bescheid wissen, dass eine gewaltsame Einmischung in einen Bürgerkrieg nur zu noch mehr Gewalt und Toten führt? Und woher plötzlich dieser Glaube an das Gute "der militärischen Mission Menschenrechte", wo doch im selben Atemzug NATO-Verbündete wie das als überaus demokratisch bekannte Saudi Arabien oder Katar, das seine eigenen Demonstrationen mithilfe saudischer Soldaten niedergeschlagen hat, erwähnt werden? Und ein Letztes: Müsste Qualitätsjournalismus nicht zumindest ein paar Grundkenntnisse darüber haben, dass alle Staaten, auch die unsrigen, Interessen haben und dafür notfalls auch bereit sind, über Leichen zu gehen?
Voreilige Stigmatisierung?
Stattdessen werden Russland und China, die mit ihrem Veto im Sicherheitsrat gegen eine militärische Eskalation stimmten, als "Helfer des Mörders" Assad diffamiert ("Die Zeit"), der "gegen das eigene Volk" kämpft. Assad, so weiß es ein Kommentar in der Süddeutschen Mitte Februar 2012, "löscht das Feuer der Rebellion mit Blut". Nur konsequent fordert das bürgerliche Spektrum nun also auch für Syrien die militärische Intervention, pardon: Es spielt den objektiven Beobachter: "Die Forderung, die internationale Staatengemeinschaft müsse eingreifen, wird immer lauter" ("Süddeutsche"). Die Frage, die dabei die "NZZ" beunruhigt, ist nicht etwa jene nach den Folgen der Eskalation, sondern danach, wer schlussendlich bereit ist, die Drecksarbeit zu übernehmen und Truppen nach Syrien zu schicken.
Das ist Kriegstreiberei und gehört auch als solche bezeichnet. Es gibt nämlich noch einen anderen Weg, wie der Bundesausschuss Friedensratschlag der deutschen Friedensforscher Ende Jänner 2012 in seiner Pressemitteilung klar gemacht hat: "Wer es also wirklich ehrlich meint mit dem Wunsch nach mehr Demokratie und Partizipation der Menschen (...), muss sich jeglichem gewaltsamen Einmischungsversuch von Außen widersetzen."
Von bürgerlichen Qualitätszeitungen sollte erwartet werden dürfen, dass sie sich zum Thema Kriege und Konflikte an die diesbezüglichen Spezialisten wenden, an die Friedens- und Konfliktforscher. Denn, wie Jürgen Todenhöfer in der "FAZ" im Dezember 2011 klargestellt hat: "Jeder hat ein Recht auf eigene Meinung, aber keiner auf eigene Fakten." (Leserkommentar, Kurt Gritsch, derStandard.at, 14.3.2012)
Autor
Kurt Gritsch, Historiker und Konfliktforscher. Forschungsschwerpunkte: Jugoslawien, vergleichende Konfliktforschung der Arabischen Revolutionen. Zuletzt erschienen: "Inszenierung eines gerechten Krieges? Intellektuelle, Medien und der Kosovo-Krieg", Georg Olms Verlag 1999.

Sonntag, 18. März 2012

DerBund: Wenn ein UBS-Manager auf Gewürze, Tee und Kaffee umsteigt

Wenn ein UBS-Manager auf Gewürze, Tee und Kaffee umsteigt

Freitag 16. März 2012
Peter Dettwiler
Peter Dettwiler
Bis vor zwei Jahren beschäftigte er sich mit Aktien, Obligationen und Hypotheken, heute mit Tee, Gewürzen und Stutenmilch. Peter Dettwiler, ehemaliger UBS-Filialleiter in Thun, hat den Schritt in die Selbständigkeit noch keinen Moment bereut – obwohl er im ersten Anlauf als Unternehmer viel Lehrgeld bezahlt hat. Ein Jahr nach Firmengründung hat er die Gewinnschwelle erreicht.
Herr Dettwiler, wie kommt es, dass ein ehemaliger UBS-Manager heute Kaffee, Tee und Gewürze abpackt und zur Post trägt?
PETER DETTWILER: Ich habe meine Karriere nie geplant, sondern habe immer vielversprechende Gelegenheiten ergriffen. Nach dem BWL-Studium und der Ausbildung zum Gymnasiallehrer verschlug es mich in die Software-Branche. Schliesslich war ich für ein deutsches IT-Unternehmen tätig, das versuchte, in der Schweizer Bankenwelt Fuss zu fassen. Ich bin dann bei der UBS in Bern in die Kundenberatung eingestiegen. Schliesslich wurde ich angefragt, ob ich die Geschäftsstellen Thun, Spiez und Oberdiessbach übernehmen möchte.
Das war kein günstiges Timing. Damals stand die UBS nach den Milliarden-Abschreibern und der Rettung durch Staat und Nationalbank am Pranger. Wie stark hat dies Ihre Arbeit tangiert?
Der Druck der Öffentlichkeit war enorm. Ich wurde dauernd darauf angesprochen, von Kunden, von Bekannten, von Kollegen im Serviceclub oder in der Handelskammer. Persönlich habe ich immer versucht, Transparenz zu schaffen, gute Dienstleistungen anzubieten und meine Mitarbeiter in diesem Sinne zu unterstützen.
Warum haben Sie 2010 gekündigt?
Es wurde ab 2008 immer schwieriger, etwas zu gestalten. Ich selber merkte, wie meine Kanäle mehr und mehr verstopft waren, ich fühlte mich in der Defensive, sah mehr Gefahren als Gelegenheiten. Und dann gab es noch diese Zäsur, während der Ferien in Griechenland, als unser damals achtjähriger Sohn schwer verunfallte und vorübergehend viel Betreuung brauchte. Da habe ich mich schon gefragt, was wirklich wichtig ist. Vorher war ich ein Wochenend-Vater gewesen, immer früh raus am Morgen, am Abend immer Geschäftstermine, das gehörte einfach dazu. Ich wollte nicht so weiterfahren. Also kündigte ich, widmete mich dem Haushalt und der Erziehung und lernte sogar ein wenig kochen.
Hatten Sie keine Bedenken, die gut dotierte Stelle einfach so aufzugeben, ohne eine Alternative in Aussicht zu haben?
Nein. Ich war mir immer bewusst, dass es in dieser Branche keine sicheren Stellen gibt – man lebt sogar sehr gefährlich als Angestellter, jede Reorganisation kann dich überflüssig machen. Ich habe in den Jahren davor viele glänzende Karrieren abrupt und unschön enden sehen. Meine Frau und ich waren immer beide berufstätig, wir achteten darauf, dass wir keine Verpflichtungen eingehen, die unsere Unabhängigkeit gefährden. Als ich kündigte, erhöhte meine Frau ihr Pensum als Ärztin von Teilzeit auf Vollzeit. Sie vergrösserte ihre Praxis und bezog eigene Räume . Und sie hat sich an meiner Firma beteiligt. Diese Zeit hat uns sehr zusammengeschweisst. Zuvor waren wir ein wenig auseinandergedriftet, sie durfte mir nichts von ihren Patienten erzählen, ich ihr nichts von meinen Bankkunden, wir hatten wenig Zeit und zu wenig gemeinsame Themen.
War es nicht hart, vom Filialleiter zum Hausmann zu mutieren? Gab es keine schrägen Blicke von den Nachbarn?
(Lacht) Die Nachbarn haben mich eher vorher schräg angeschaut. Während meiner Zeit als UBS-Vizedirektor wurden wir nicht mehr spontan von den Nachbarn zum Grillieren eingeladen. Nachdem ich gekündigt hatte, wollten plötzlich einige wieder mit mir Kaffee trinken. Aber natürlich waren die ersten Wochen hart. Da fühlte ich mich unter Druck, dachte, nach 15 Jahren Karriereleiter müsse ich mich sofort wieder bewerben. Ich war aber nur halbherzig bei der Sache. Bald liess ich es ganz sein und gestand mir ein, dass ich keine Ahnung hatte, was ich in Zukunft machen werde. Das blieb ein ganzes Jahr lang so – und es war ein sehr ergiebiges Jahr, eines meiner besten Jahre überhaupt. Ich lernte viele interessante Menschen kennen und entwickelte mit manchen von ihnen verrückte Ideen.
Tee-Ernte in Japan.
Tee-Ernte in Japan. (Keystone)
Wie kamen Sie auf die Idee, mit Tee und Gewürzen zu handeln?
Zunächst stand anderes im Vordergrund, man fischt am Anfang ja immer in vertrauten Gewässern. Ich entwickelte einen Ansatz für Risikotransformation im Versicherungswesen und entwarf eine Art Auktionssystem, das eine einfache Vergleichbarkeit von Anlagevorschlägen im Private Banking ermöglicht hätte. Dann ergab sich eine ganz andere Gelegenheit: Ich leide seit längerem unter der Hautkrankheit Neurodermitis und verwendete aus diesem Grund regelmässig Stutenmilchpräparate aus Deutschland. Eine günstige Konstellation führte dazu, dass ich diese Produkte selber importieren konnte. Das zog rasch weitere Kreise, und plötzlich war ich mitten drin im Handel. Durch meine vielfältigen Kontakte ergaben sich weitere Geschäftsfelder, ich begann, Tee, Gewürze und Kaffee zu importieren.
Ist das nicht aussichtslos, als Quereinsteiger gegen etablierte Marken anzutreten?
Es gibt Beispiele, die zeigen, dass das gut funktionieren kann, wenn man die vielen Stufen im Zwischenhandel umgehen kann. Inspiriert hat mich Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship in Berlin, der mit seinem Projekt Teekampagne zum grössten Importeur von Darjeeling-Tee avanciert ist. Nach der Lektüre seines Buchs sagte ich mir: Das muss in der Schweiz auch möglich sein. Die Schweiz ist zwar ein kleinerer Markt, aber dank der Zusammenarbeit mit einer deutschen Partnerfirma, die 90 Millionen Euro im Jahr umsetzt, kommen wir zu sehr guten Konditionen an die Rohstoffe heran. Heute, nach einem Jahr, umfasst unser Sortiment rund 1000 Tee-Rezepturen, 160 bis 180 davon bieten wir jeweils im Handel an. Durch persönliche Kontakte und ein weites Netzwerk gelang es mir, mit Teegärten vor allem in China und Indien sowie mit Produzenten in der Schweiz und anderen Ländern Partnerschaften aufzubauen.
Sie bieten Tee, Kaffee, Stutenmilch, Nachtkerzenöl, Murmeltierfett, Gewürze, Bonbons und vieles mehr an. Haben Sie selber noch den Überblick in Ihrem Gemischtwarenladen?
Es ist ganz gut, wenn man nicht alle Eier in den gleichen Korb legt. Grob gesagt gibt es die Genussmanufaktur mit handverlesenen Tee-, Kaffee- und Gewürzprodukten und eine Pflegelinie für Menschen mit sensibler Haut. Das Bild vom Gemischtwarenladen gefällt mir übrigens gut, mein Grossvater war im Kolonialwarenhandel tätig, ich arbeite heute teilweise mit den gleichen Lieferanten zusammen wie er damals. Meine Mutter ist Drogistin, sie gibt mir immer wieder Tipps. Viele wertvolle Kontakte ergeben sich aber zufällig. Während unserer Ferien in Rhodos entdeckte meine Frau in einem schönen Laden ein Haar-Sonnenschutzprodukt auf Olivenölbasis. Da auf der Flasche die Telefonnummer des Herstellers abgedruckt war, rief ich diesen an und diskutierte mit ihm eine Zusammenarbeit. Gemeinsam mit einem anderen Schweizer Unternehmer importieren wir nun einige Produkte dieser traditionsreichen Athener Firma.
Ihre Firma Svela Nature ist seit einem Jahr auf dem Markt, bis vor vier Wochen gab es aber weder einen Telefonbucheintrag noch eine Homepage. Wie kamen Sie zu Kundschaft?
Es gibt in der Schweiz ein sehr aktives Kundensegment, das immer auf der Suche nach dem Speziellen ist, nach Produkten, die kein Grossverteiler im Angebot hat. Der Frauenanteil unserer Kundschaft liegt bei 85 Prozent, viele tauschen sich intensiv mit Freundinnen über ihre Entdeckungen aus. Dank solcher Mund-zu-Mund-Propaganda konnten wir im ersten Jahr über 1400 Bestellungen an 820 Kunden senden.
Reicht das aus, um profitabel zu arbeiten?
Ja, da die Firma sehr schlank organisiert ist, sind wir seit einem halben Jahr profitabel. Allerdings zahlten wir zu Beginn Lehrgeld. Ich war derart überzeugt von unseren Produkten, dass ich mehrere Mitarbeiter im Stundenlohn für Telemarketing bezahlte. Das verschlang viel Geld, brachte aber kurzfristig kaum Umsatz. Trotz sorgfältigem Businessplan scheiterten wir mit diesem Call-Center und verloren viel Geld. Darunter habe ich zunächst sehr gelitten. Doch mit ein bisschen Distanz begriff ich, dass es auch eine wertvolle Investition ist, Lehrgeld zu zahlen.
Als ehemaliger Banker konnten Sie sich das leisten.
Nicht wirklich. Ich konnte mich nur dank der Unterstützung meiner Frau und meiner Familie auf dieses Wagnis einlassen. Sie gaben mir Sicherheit – aber ehrlich gesagt machte es mir trotzdem zu schaffen, dass ich zunächst gar nichts verdiente. Mein Männer-Ego litt ziemlich, als ich meine Frau jeweils fragte, ob sie die nächste Tankfüllung übernehmen könnte. Auch im Restaurant zahlt immer sie, seit ich selbständig bin. Das möchte ich wieder ändern.
Welches sind die nächsten Ziele?
In zwölf Monaten sollen täglich zehn Bestellungen über den Web-Shop eingehen. Bis in 24 Monaten wollen wir einen schönen Laden in der Berner Altstadt eröffnen, danach in anderen Schweizer Städten. In den Läden sollen all die Düfte und Farben zum Tragen kommen, es wird eine Tee- und Kaffeebar geben. Das Schönste an meinem heutigen Beruf ist ja, dass ich täglich mit wunderbaren Produkten zu tun habe. Meine Tage sind viel farbiger, ich darf alles machen, bin Einkäufer, Vertriebsleiter, Qualitätsbeauftragter, Postbote, Finanzchef, Werbeleiter, tausche Festplatten aus, erstelle Steuerausweise, probiere neue Teesorten. Und wenn ich am Abend mit einer gut gefüllten Ikea-Tasche zur Post gehe, dann spüre ich meine Produkte ganz unmittelbar – diese Befriedigung ist unbezahlbar.
Kontakt und Information:
www.svela.ch
peter.dettwiler@svela.ch


6 Kommentare zu „Wenn ein UBS-Manager auf Gewürze, Tee und Kaffee umsteigt“

  1. Jean Engel sagt:
    Ich wuensche Herr Dettwiler viel Erfolg bei seiner neuen Taetigkeit.
    In Paris habe ich einen Mann kennengelernt, eh. Mitarbeiter Banksoftware,
    der ein Geschaeft fuer italienische Spezialitaeten (Gemischtwarenladen) eroeffnet hat.
    (inzwischen auch Partyservice).
    Nach den “ueblichen” Anfangsschwierigkeiten laeuft es jetzt recht gut.
  2. Hans Imeichen sagt:
    Es steckt eben tief im Menschen drinnen: Das Bedürfnis nach EIGENER Arbeit. Das hält einem auch psychologisch gesund. Als Angestellter verstaubt und vertrocknet man einfach – und das schläft sich dann wieder auf die Psyche durch. Dann liegen sie auf der Coach. Wirklich Glückliche sind nur jene, die selbständig sind und damit ihren Lebensunterhalt verdienen können. Der ganze Rest ist grundsätzlich bedauernswert.
  3. Urs sagt:
    Es gibt viel, das besser ist als das aufgeblählte Bankenzeugs. Viel Erfolg dem Unternehmer!
  4. Fabrizio Lelli sagt:
    Grossartig! Ich wünsche Herrn Dettwiler alles Gute und viel Erfolg! Bewundere seinen Mut. Toll und schön auch solche Geschichten lesen zu dürfen.
  5. Markus sagt:
    Man sollte die Felder abfackeln, damit der Manager nur ein bisschen von dem nachempfinden kann, was die UBS anderen angetan hat!
  6. P. Herzog sagt:
    Er ist ein gutes Beispiel, wie man Erfolg haben kann. Über die 9 anderen, die alles verloren haben, steht aber leider nichts im Artikel. Ich will damit nur sagen, dass er viel viel Glück gehabt hat, und dass die Sache auch ganz anders hätte laufen können. Es gibt hunderte von Tee und Kräuter Importeuren…. Aber nichts desto trotz, alles Gute und Glückwunsch zum Erfolg.