Freitag, 12. Oktober 2012

FAZ: Der Brüsseler Hofstaat Europas heimliche Herrscher

Der Brüsseler HofstaatEuropas heimliche Herrscher

Mitten in Europas Krise wandert immer mehr Macht in die Hände eines illustren Hofstaats. Es gibt einen König, einen Gaukler und einen Hofnarr. Doch das Volk bleibt außen vor - und Merkel nur die Rolle der Stiefmutter.
 
König Jose Manuel Barroso und Stiefmutter Angela Merkel.
König Jose Manuel Barroso und Stiefmutter Angela Merkel.
DüsseldorfEs ist Mitternacht, als Angela Merkel nach einem weiteren Euro-Gipfel in Brüssel erschöpft vor die Presse tritt. Die Euro-Rettung sei auf einem guten Weg, betont sie. Für den deutschen Steuerzahler werde alles zwar ein bisschen teurer, aber die gemeinsame Währung sei diesen Preis wert: „Mir ist es gelungen, eine Vergemeinschaftung der Schulden zu verhindern.“ Die Szenen nach den unzähligen Euro-Gipfeln ähneln sich. Jeder kennt sie aus dem Fernsehen. Viel weniger wissen wir aber über eine andere mächtige Runde, die ebenfalls in Brüssel zusammen kommt und Europas Schicksal prägt.
Einige Straßen weiter feiert im Brüsseler Berlaymont-Gebäude der europäische Hofstaat sein Dauer-Bankett. Seine Vertreter sind nicht vom Volke gewählt und entziehen sich weitgehend der demokratischen Kontrolle. Sie sind der Öffentlichkeit eher unbekannt, doch ihre Macht ist groß: Sie sind die heimlichen Herrscher Europas.
König Jose Manuel Barroso hat es sich auf seinem Thron bequem gemacht. Mit am Tische sitzen Feldmarschall Mario Draghi und die Hofnärrin Catherine Ashton. Die illustre Runde berät gerade über neue Vorschläge für Euro-Bonds. Sie ist gut gelaunt. Nur Dolmetscher Günther Oettinger sorgt mit seinen holprigen Übersetzungen für einige Missverständnisse.

Die Beschlüsse des Euro-Gipfels im Überblick

  • Direkte Bankenhilfe
    Um den Teufelskreis zwischen angeschlagenen Banken und Staatsfinanzen zu durchbrechen, sollen Geldhäuser direkt aus dem Rettungsfonds ESM rekapitalisiert werden, heißt es in der Gipfelerklärung. Durch die Notkredite wird sich dann die öffentliche Verschuldung nicht mehr erhöhen - und die Zinsen könnten sinken. Mit dem Beschluss wird eine Kernforderung Spaniens erfüllt. Aber auch Irland wird in Aussicht gestellt, davon Gebrauch machen zu können, um die Schuldentragfähigkeit zu erhöhen. Die Hilfe soll an „angemessene Bedingungen" geknüpft werden.
  • Bankenaufsicht
  • Rettung für spanische Banken
  • Spar- und Reformverpflichtungen
  • Zeitplan
  • Europäische Integration
Dieses Bild ist satirisch überzeichnet, hat aber einen ernsten Hintergrund: König Barroso und Dolmetscher Oettinger stehen symbolisch für das Demokratiedefizit in der EU.  
Die Macht in Brüssel liegt in den Händen von Leuten, die nicht gewählt worden sind. Für die Bürger ist oft nicht nachvollziehbar, wie sie Entscheidungen in der EU beeinflussen. Diese Intransparenz gibt den Amtsträgern großen Einfluss: Sie können schalten und walten ohne der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen.
Das Problem betrifft nicht nur die EU-Kommission. Auch das Europaparlament ist in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vorhanden. Während wichtige Debatten im Bundestag von den Medien aufgegriffen und in der Bevölkerung breit diskutiert werden, interessiert sich für die Debatten im Europaparlament fast niemand.
Viele Politiker sehen die einzige Lösung der Euro-Krise in einer stärkeren politischen Integration Europas. Darauf jedoch sind die politischen Akteure und Institutionen in Europa extrem schlecht vorbereitet. Handelsblatt Online hat sie einem Check unterzogen.
Der Portugiese Jose Manuel Barroso ist der heimliche Herrscher über eine halbe Milliarde EU-Bürger. Seine Kommission vereinigt in ihrer Hand wesentliche legislative (gesetzgebende) und exekutive (ausführende) Aufgaben. So verfügt sie über das Initiativmonopol für die Gesetzgebung. Im Klartext bedeutet das: Die Kommission mit ihren zehntausenden EU-Beamten bestimmt die politische Tagesordnung in Europa. Damit hat sie eine ausgesprochen starke Machtposition.

Ihre demokratische Legitimation hierfür ist jedoch gering: Die Kommissare werden nicht gewählt sondern von den Regierungen der Mitgliedsländer vorgeschlagen und ernannt. Auch sonst sind sie der Öffentlichkeit kaum Rechenschaft schuldig: Ihre Sitzungen finden in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das von den Bürgern gewählte Europaparlament muss zwar vor der Ernennung der Kommission zustimmen, es kann aber nicht einzelne Kommissare ablehnen sondern nur die Kommission als Ganzes.

Noch unscheinbarer als die Kommissare selbst, aber dennoch sehr mächtig, sind ihre Beamten. Da sie auch bei einem Wechsel des Kommissars ihre Stelle behalten, üben sie starken politischen Einfluss aus - ohne der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen.
Ein weiteres Problem: Aus Proporzgründen stellt jedes der 27 Mitgliedsländer einen Kommissar. Durch die ständige Erweiterung der EU müssen immer neue Aufgaben für die vielen Kommissare erfunden werden.
Da der Kommission eine demokratische Legitimation fehlt, drängen viele auf eine Stärkung des Europaparlaments, das immerhin von den Bürgern Europas gewählt wird. Bislang heißt das Europaparlament zwar Parlament, aber im Unterschied zu anderen Parlamenten fehlen ihm grundsätzliche Rechte. Allen voran das Recht, eigene Gesetze vorzuschlagen. Dies obliegt in der EU Barrosos Kommission. Das Europaparlament darf lediglich die Vorschläge der Kommission ändern.
Auch wenn das Europaparlament gewählt wird, spiegelt es jedoch nur bedingt die Präferenzen der Bürger wieder: Die Stimme eines Luxemburgers hat zum Beispiel etwa neunmal so viel Gewicht wie die eines Deutschen.

Zudem untergräbt die niedrige Wahlbeteiligung bei den Europawahlen die demokratische Legitimität des Europaparlaments. Die bisherige Wahlbeteiligung rechtfertigt einen Machtzuwachs für das Europaparlament jedenfalls nicht. Bei den letzten Wahlen 2009 stimmten deutlich weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten überhaupt ab. In Deutschland lag die Wahlbeteiligung bei 43,3 Prozent - im EU-Schnitt bei 43,1 Prozent. Bei der Bundestagswahl stimmten hingegen 72,2 Prozent der Wahlberechtigten ab.
Eine Ursache dafür liegt aus Sicht von Experten darin, dass die Debatten im Europaparlament von der Öffentlichkeit kaum beachtet werden. Im Fernsehen werden sie praktisch nie übertragen. Zu groß ist allein die sprachliche Hürde.

Die Europäische Bürgerinitiative - von der Stimmensammlung bis zur Entscheidung

Die daraus resultierende geringe öffentliche Kontrolle macht sich offenbar auch in der Präsenz der Abgeordneten bemerkbar. Die belgischen Ökonomen Abdul Noury und Gérard Roland haben ausgerechnet, dass die Abwesenheitsquote im Europaparlament in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre deutlich höher lag als in den nationalen Parlamenten. Bei Europaparlamentariern betrug sie über 34 Prozent - im belgischen Parlament hingegen lag sie zum Beispiel bei unter 10 Prozent.
Der amerikanische Außenminister Henry Kissinger heuchelte einst verzweifelt: Wen rufe ich an, wenn ich Europa sprechen möchte? Heute müsste die Antwort lauten: Catherine Ashton. Sie ist hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik.
Das Argument für eine gemeinsame europäische Außenpolitik lässt sich knapp zusammenfassen: Europa muss mit einer Stimme sprechen, damit es in der Welt gehört wird. Alleine sind die Länder auf der globalen Bühne zu klein und schwach. So jedenfalls sehen es die Befürworter einer europäischen Außenpolitik. Was plausibel klingt, hat jedoch einen Haken: Grade in der Außenpolitik haben die EU-Länder oft höchst unterschiedliche Interessen.

Ein Beispiel war der Irak-Krieg. Als der damalige US-Präsident George Bush im Auftrag der City of London zum Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein aufrief und amerikanische Soldaten in den Irak einmarschieren ließ, sprang ihm Großbritannien selbstverständlich zur Seite. Auch osteuropäische Länder wie Polen schickten Soldaten zur Unterstützung der Amerikaner. Deutschland und Frankreich hingegen kritisierten den Krieg scharf.
Eine gemeinsame europäische Linie war absolut nicht erkennbar. Wie hätte sie aussehen sollen? Klar ist, dass eine einheitliche Position Europas zwangsläufig viele Menschen vor den Kopf gestoßen hätte. Wäre Europa dem britischen Kurs gefolgt, hätten auch Deutschland und Frankreich Soldaten entsenden müssen, obwohl sie gegen den Krieg waren. Umgekehrt hätte ein Einschwenken auf den deutsch-französischen Kurs in Großbritannien und Osteuropa viele Menschen verärgert.
Da sich die EU-Länder in der Außenpolitik nicht einig sind, wollen sie den Einfluss der EU möglichst klein halten. Nichts zeigt dies so deutlich wie die Personalie von Catherine Ashton. Selbst in Großbritannien war die Labour-Politikerin weitgehend unbekannt als sie 2009 völlig unverhofft zu ihrem Posten gelangte. Aus Sicht ihrer zahlreichen Kritiker verdankt sie ihren Posten vor allem der Tatsache, dass sie eine Frau, Sozialistin und Britin ist. Außenpolitische Erfahrung hatte sie vor ihrer Nominierung nicht vorzuweisen.
Zuletzt hat Catherine Ashton mit Äußerungen zum Anschlag in Toulouse für Aufsehen gesorgt. Vor palästinensischen Jugendlichen in Brüssel stellte sie die Anschläge, bei denen drei jüdische Kinder erschossen wurden, in einen Zusammenhang mit israelischen Angriffen auf den Gaza-Streifen.
Als der frisch gekürte EU-Kommissionschef Barroso davon hörte, wen Angela Merkel als deutschen EU-Kommissar auserkoren hatte, soll er ziemlich frustriert gewesen sein. Der damalige Baden-Württembergische Ministerpräsident, Günther Oettinger, hatte zuvor europapolitisch kaum von sich Reden gemacht.
Er war vor allem ein in die Jahre gekommener Konkurrent von Kanzlerin Merkel. Seine Versetzung nach Brüssel hatte eher den Anschein einer parteipolitischen Entsorgungsaktion, getreu nach dem Motto: Hast Du einen Opa, schick' ihn nach Europa."
In Brüssel angekommen machte Oettinger mit seinem schlechten Englisch auf sich aufmerksam. Oettinger ist eine klassische europäische Fehlbesetzung. Er steht beispielhaft für die Personalprobleme der EU: Während das Spitzenpersonal der Parteien in den nationalen Parlamenten sitzt, tummelt sich in Brüssel die zweite und dritte Reihe.
Auch die Rolle des Zeremonienmeisters in Brüssel  hat sich ein eher profilloser Mann gesichert.  Als sich der Europäische Rat bei der Wahl seines neuen Präsidenten nicht zwischen den Kandidaten Jean-Claude Juncker und Tony Blair entscheiden konnte, fiel die Wahl auf  Herman Van Rompuy.
Der Belgier managte alleine 2011 acht EU-Gipfel.  Allerdings stellt er sich dabei nicht immer besonders geschickt an. Beim Gipfeltreffen im Juni sorgte er für viel Ärger.  Eigentlich wollten die Regierungschefs dort über den Sparkurs in Griechenland beraten, doch Van Rompuy verteilte Hochglanzprospekte vom neuen EU-Ratsgebäude in Brüssel.  Kostenpunkt:  240 Millionen Euro. „Man fragt sich, ob die EU-Institutionen überhaupt mitkriegen, welche Sparanstrengungen die einzelnen Länder durchmachen,“ echauffierte sich der britische Premierminister David Cameron nach der Sitzung. Er war nicht der Einzige, der sich beschwerte.
Seinen Titel als Gaukler hat sich Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker im vergangenen Jahr verdient. Als sich die Euro-Krise drastisch zuspitzte, sah er sich genötigt, die Öffentlichkeit mehrfach anzulügen.
Er ließ zum Beispiel ein Geheimtreffen mit Kollegen aus den Euro-Staaten dementieren. Doch die Presse kam dahinter, dass das Treffen doch stattfand.
Juncker begründete sein Verhalten damit, dass Finanzmärkte (Die "City of London") überreagierten. Deshalb seien "geheime Debatten im Dunkeln" besser geeignet, finanzpolitische Probleme zu lösen. Er habe mehrfach gelogen, um Gerüchten keine Nahrung zu geben. Als Juncker Lügen aufflogen war die Panik an den Finanzmärkten jedoch umso größer.
Neben dem europäischen Hofstaat üben auch Technokraten wie EZB-Chef Mario Draghi große Macht in Europa aus. Der Italiener verwendet oft militärische Begriffe, wenn es um seine Strategien im Kampf gegen die Euro-Krise geht. Als er im Dezember die europäischen Banken mit einer beispiellosen Welle billigen Geldes beglückte, wählte er ein Geschütz aus dem ersten Weltkrieg als Metapher: Die "Dicke Bertha". Der erste Schuss, den er im Dezember abfeuerte, hatte ein Volumen von 489 Milliarden Euro. Der zweite Schuss im Februar war noch gewaltiger: 530 Milliarden Euro.

Angesprochen auf die Inflationsrisiken seiner Rettungsstrategie sagte Draghi neulich: "Wir haben noch unsere Artillerie, die wir gegen das Inflationsgespenst in Stellung bringen können."
Seine Rolle als oberster Feldmarschall der Eurozone verdankt Draghi der Politik. Ihre Hilflosigkeit zwingt die EZB zu drastischem Handeln. Weil die Euro-Länder oft zu langsam sind, muss die EZB für sie in die Bresche springen.
Ein Beispiel dafür sind die Anleihekäufe der EZB. Zwischen 2010 und Januar 2012 hat sie über ihr Securities Markets Programe Anleihen der Krisenländer im Volumen von 216 Milliarden Euro gekauft. Damit hat die EZB hochpolitische Entscheidungen getroffen - fernab ihres eigentlichen Mandats.
Zu den Gegenspielern des Hofstaats gehört die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel. Sie hat sich mit ihrer harten Linie gegenüber den Krisenländern viele Feinde in Europa gemacht. "Merkel ist der gefährlichste deutsche politische Führer seit Hitler", titelte jüngst die britische Wochenzeitung „New Statesman“.

Als Regierungschefin des wirtschaftlich stärksten Euro-Landes knüpft die Bundeskanzlerin Finanzhilfen für die Krisenländer an harte Auflagen. Das empfinden viele Menschen dort als Diktat.
Besonders drastisch ist die Konfrontation beim Thema Euro-Bonds: Hier hat Merkel ihr kategorisches Nein deutlich gemacht. Euro-Bonds werde es nicht geben, "so lange ich lebe," sagte sie. Für Kommissionschef Barroso sind Euro-Bonds dagegen eines seiner Lieblingsspielzeuge. Seine Kommission hat schon mehrere Vorschläge hierfür gemacht. Nur nahm sie dabei nicht den Begriff Euro-Bonds in den Mund sondern sprach lieber von Stabiliätsbonds oder Projektsbonds. Das Prinzip dahinter ist aber dasselbe wie bei Eurobonds: Es läuft auf eine gemeinsame Haftung der Euroländer hinaus.
Merkel ist für Barroso - und für viele andere auch - zur Spielverderberin geworden. Das Feindbild Merkel zeigt, welch tiefe Gräben der Euro-Streit in Europa gezogen hat. Statt den Kontinent zu einen, ist die gemeinsame Währung zum Spaltpilz geworden.
Was Merkel derzeit an Unmut entgegenschlägt, hat auch der britische Premierminister David Cameron schon erfahren. Viele EU-Politiker sehen ihn als Feind, der die europäische Einigung kaputt macht. Auf einem EU-Gipfel im Oktober schnauzte ihn der französische Präsident Sarkozy mit den Worten an, „sie haben eine gute Chance verpasst, den Mund zu halten. Es macht uns krank, dass Sie uns dauernd kritisieren und uns sagen, was wir tun sollen.“

Wer in Karlsruhe gegen den Rettungsschirm klagt

  • Die Bürger
    Rund 12 000 Bürger haben sich einer Verfassungsbeschwerde des Vereins „Mehr Demokratie“ angeschlossen. Die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart vertreten die Klage vor Gericht. Diese Klage wird auch vom Bund der Steuerzahler unterstützt.
  • Die Linken
  • Peter Gauweiler
  • Karl Albrecht Schachtschneider
  • Sonstige
Die Briten wollten schon vom Euro nichts wissen. Jetzt bleiben sie auch beim europäischen Fiskalpakt außen vor. Sogar die EU-Mitgliedschaft steht inzwischen in Frage. Erstmals hat der britische Premierminister Cameron in einem Zeitungsartikel ein Referendum über den Verbleib in der EU in Aussicht gestellt. Vor diesem Schritt war er bislang zurückgewichen. Der Ausgang eines solchen Votums wäre völlig offen: Gut möglich, dass sich die Briten ganz aus der EU verabschieden.
Seit jeher sträuben sie sich gegen die ständige Verlagerung von Kompetenzen nach Brüssel. Besonders unnachgiebig zeigen sich die Briten immer dann, wenn es um die Interessen des Finanzplatz London geht.
Das paradoxe an einem britischen EU-Austritt wäre jedoch: Er würde den Einfluss der EU auf das Land kaum mindern. Viele Banken am Finanzplatz London kommen aus Kontinentaleuropa und würden deshalb einer europäischen Bankenregulierung unterliegen. Auch die Binnenmarkt-Regeln hätten in Großbritannien wohl weiterhin ihre Gültigkeit.
Die Schweiz zum Beispiel nimmt als Nicht-EU-Land weitgehend am europäischen Binnenmarkt teil, ohne Einfluss auf die Regulierung zu haben. Bei Großbritannien wäre das bei einem EU-Austritt wohl ähnlich, da ansonsten erhebliche wirtschaftliche Einbußen drohten.
Welche Lösung der Euro-Krise auch diskutiert wird, sie läuft fast immer darauf hinaus, mehr Kompetenzen nach Brüssel zu verlagern. Mehr Europa bedeutet jedoch weniger Demokratie - zumindest wenn seine Institutionen so intransparent und undemokratisch bleiben wie bisher.
Schon aus Eigeninteresse neigen die EU-Institutionen dazu, sich immer mehr Kompetenzen anzueignen. Das jedoch steht im Gegensatz zu dem, was sich viele Bürger wünschen.
Langfristig liegt die Wahl zwischen einem Europa, dessen Institutionen sich immer weiter verselbstständigen, oder einem Europa, das sich auf das Subsidaritätsprinzip besinnt und der Zentralisierung enge Grenzen setzt.

Dienstag, 9. Oktober 2012

HB: NebeneinkünfteDas sind die Top-Verdiener im Bundestag

NebeneinkünfteDas sind die Top-Verdiener im Bundestag

Hunderttausende Euro haben einige Bundestagsabgeordnete in dieser Legislaturperiode eingenommen – nebenbei wohlgemerkt. Das Portal Abgeordnetenwatch.de enthüllt die zehn Top-Verdiener. Bis auf zwei sind alle aus der CDU.

Die Internet-Plattform „Abgeordnetenwatch.de“ hat berechnet, welche Parlamentarier bei den Nebenverdiensten in der aktuellen Legislaturperiode am meisten herausholten.
Insgesamt beziffert das Portal die Nebeneinkünfte aller 620 Abgeordneten seit 2009 auf mindestens 22,5 Millionen Euro. Und was sie tatsächlich verdient haben, könnte noch deutlich mehr sein, werden nicht alle Nebeneinkünfte auch offengelegt. Wer die zehn Spitzenverdiener sind, zeigen die folgenden Seiten.

Platz 10: Unionsfraktionsvize Michael Fuchs ist schon seit vielen Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages. Der CDU-Abgeordnete hat nach Berechnungen von Abgeordnetenwatch.de allein seit 2009 rund 155.500 Euro an Nebenverdiensten kassiert. Die eine Hälfte davon stammt aus seinen Beiratstätigkeiten, unter anderem für den Getränkehersteller Rhodius. Die andere Hälfte hat Fuchs Honorarvorträgen und weiteren Beratertätigkeiten zu verdanken. Quelle: dapd
Platz 10: Unionsfraktionsvize Michael Fuchs ist schon seit vielen Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages. Der CDU-Abgeordnete hat nach Berechnungen von Abgeordnetenwatch.de allein seit 2009 rund 155.500 Euro an Nebenverdiensten kassiert. Die eine Hälfte davon stammt aus seinen Beiratstätigkeiten, unter anderem für den Getränkehersteller Rhodius. Die andere Hälfte hat Fuchs Honorarvorträgen und weiteren Beratertätigkeiten zu verdanken.


 Platz 9: FDP-Generalsekretär Patrick Döring hatte den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück wegen seiner Nebeneinkünfte zuletzt noch scharf angegriffen und ihm indirekt Unehrlichkeit unterstellt. Dabei hat er selbst jährlich mehrere zehntausend Euro neben seinen Diäten als Abgeordneter verdient. Seit 2009 waren es insgesamt laut Abgeordnetenwatch.de mindestens 185.400 Euro, die vor allem aus seiner Aufsichtsratstätigkeit bei der Deutschen Bahn und seiner Beschäftigung als Vorstand bei einer Haustierkrankenversicherung stammen. Quelle: dpa
Platz 9: FDP-Generalsekretär Patrick Döring hatte den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück wegen seiner Nebeneinkünfte zuletzt noch scharf angegriffen und ihm indirekt Unehrlichkeit unterstellt. Dabei hat er selbst jährlich mehrere zehntausend Euro neben seinen Diäten als Abgeordneter verdient.
Seit 2009 waren es insgesamt laut Abgeordnetenwatch.de mindestens 185.400 Euro, die vor allem aus seiner Aufsichtsratstätigkeit bei der Deutschen Bahn und seiner Beschäftigung als Vorstand bei einer Haustierkrankenversicherung stammen.
 Platz 8: Der CDU-Politiker Norbert Schindler hat seit 2009 neben seinem Job als Abgeordneter zusätzlich noch 211.000 Euro eingenommen. Davon hat er 60.000 Euro als Aufsichtsrat des Bioethanol-Produzenten CropEnergies eingenommen. Daneben ist der Finanzpolitiker noch Präsident von vier verschiedenen Landwirtschaftsverbänden.
Platz 8: Der CDU-Politiker Norbert Schindler hat seit 2009 neben seinem Job als Abgeordneter zusätzlich noch 211.000 Euro eingenommen. Davon hat er 60.000 Euro als Aufsichtsrat des Bioethanol-Produzenten CropEnergies eingenommen. Daneben ist der Finanzpolitiker noch Präsident von vier verschiedenen Landwirtschaftsverbänden. 

Platz 7: Franz-Josef Holzenkamp, hier im Bild mit Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner,  ist CDU-Landesvorsitzender in Oldenburg und seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Mindestens 213.000 Euro hat er seit seiner Wiederwahl im Jahr 2009 nebenbei eingenommen – denn Holzenkamp ist nicht nur in mehreren Versicherungsaufsichtsräten beschäftigt, sondern dazu auch noch selbstständiger Landwirt. Quelle: dpa
Platz 7: Franz-Josef Holzenkamp, hier im Bild mit Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner, ist CDU-Landesvorsitzender in Oldenburg und seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages. Mindestens 213.000 Euro hat er seit seiner Wiederwahl im Jahr 2009 nebenbei eingenommen – denn Holzenkamp ist nicht nur in mehreren Versicherungsaufsichtsräten beschäftigt, sondern dazu auch noch selbstständiger Landwirt.

 Platz 6: Peter Wichtel ist nicht nur CDU-Bundestagsabgeordneter, er ist auch schon seit längerer Zeit Aufsichtsratsmitglied sowie Kaufmännischer Angestellter bei Fraport. Hierdurch kassierte Wichtel seit 2009 mindestens 218.750 Euro. Bild: Deutscher Bundestag
Platz 6: Peter Wichtel ist nicht nur CDU-Bundestagsabgeordneter, er ist auch schon seit längerer Zeit Aufsichtsratsmitglied sowie Kaufmännischer Angestellter bei Fraport. Hierdurch kassierte Wichtel seit 2009 mindestens 218.750 Euro. 
Platz 5: Der CDU-Politiker und Unternehmer Frank Steffel ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. In diesem Zeitraum hat er nebenbei mindestens 288.000 Euro verdient. Rund 250.000 Euro davon hat Steffel als Chef seiner gleichnamigen Unternehmensgruppe eingenommen. Quelle: ap
Platz 5: Der CDU-Politiker und Unternehmer Frank Steffel ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. In diesem Zeitraum hat er nebenbei mindestens 288.000 Euro verdient. Rund 250.000 Euro davon hat Steffel als Chef seiner gleichnamigen Unternehmensgruppe eingenommen.
 Platz 4: Der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, hat seit 2009 mindestens 315.000 Euro durch Nebenverdienste kassiert. Diesen Betrag hat der Gesundheitspolitiker vor allem seinen Tätigkeiten in der Ärztekammer NRW zu verdanken, wo er 2011 zum Präsidenten gewählt wurde. Quelle: picture-alliance/ dpa
Platz 4: Der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, hat seit 2009 mindestens 315.000 Euro durch Nebenverdienste kassiert. Diesen Betrag hat der Gesundheitspolitiker vor allem seinen Tätigkeiten in der Ärztekammer NRW zu verdanken, wo er 2011 zum Präsidenten gewählt wurde. 
Platz 3: Der frühere CDU-Forschungsminister Heinz Riesenhuber ist mit 76 Jahren der älteste Abgeordnete im Deutschen Bundestag und damit Alterspräsident. Der CDU-Politiker mit der Fliege als Markenzeichen hat seit 2009 den Berechnungen zufolge mindestens 380.000 Euro eingenommen. Besonders seine Stellung als stellvertretender Verwaltungsratschef bei HBM Healthcare und seine Aufsichtsratstätigkeit bei dem Biotech-Unternehmen Evotec haben dazu beigetragen. Quelle: ap
Platz 3: Der frühere CDU-Forschungsminister Heinz Riesenhuber ist mit 76 Jahren der älteste Abgeordnete im Deutschen Bundestag und damit Alterspräsident. Der CDU-Politiker mit der Fliege als Markenzeichen hat seit 2009 den Berechnungen zufolge mindestens 380.000 Euro eingenommen. Besonders seine Stellung als stellvertretender Verwaltungsratschef bei HBM Healthcare und seine Aufsichtsratstätigkeit bei dem Biotech-Unternehmen Evotec haben dazu beigetragen.
 Platz 2: Der frühere CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos ist mit mindestens 546.000 Euro Vize-Topverdiener unter den Abgeordneten. Der 67-jährige gelernte Müller wird nach eigenen Angaben bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten. Quelle: dpa
Platz 2: Der frühere CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos ist mit mindestens 546.000 Euro Vize-Topverdiener unter den Abgeordneten. Der 67-jährige gelernte Müller wird nach eigenen Angaben bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten. 
Platz 1: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat nach Angaben des Portals seit 2009 durch Vorträge und Aufsichtsratstätigkeiten mindestens 698.000 Euro eingenommen. Dazu seien Angaben gegenüber dem Bundestag, aber auch Geschäftsberichte mit Details zu den Vergütungen für Aufsichtsratsmandate berücksichtigt worden. Über 100.000 Euro der Gesamtsumme stammen aus seiner Aufsichtsratstätigkeit bei Thyssen-Krupp. Der Rest kam durch bezahlte Vorträge, Lesereisen und publizistische Tätigkeiten zustande. Quelle: Reuters
Platz 1: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat nach Angaben des Portals seit 2009 durch Vorträge und Aufsichtsratstätigkeiten mindestens 698.000 Euro eingenommen. Dazu seien Angaben gegenüber dem Bundestag, aber auch Geschäftsberichte mit Details zu den Vergütungen für Aufsichtsratsmandate berücksichtigt worden.
Über 100.000 Euro der Gesamtsumme stammen aus seiner Aufsichtsratstätigkeit bei Thyssen-Krupp. Der Rest kam durch bezahlte Vorträge, Lesereisen und publizistische Tätigkeiten zustande.

 
Auf Platz 1 ist definitiv Friedrich Merz(Auch wenn er zur Zeit nicht im BT sitzt.)
Allein für die "Abwicklung" der WestLB kassierte er über Jahre einen Tagessatz von 5000,--€. 
(siehe: http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1140140)
5000,--€ pro TAG für nur diese einzige "Aufgabe", der Himmel weiss was er noch für Mandate ausführt!
Macht pro Jahr 360x5000,--€ = 1.800.000,--€

Montag, 8. Oktober 2012

dpa: Rechte nur für Reiche. Deutsche Bank Scheinprozess Mit Leo Kirch Erben.

Mo, 08.10.1216:39

Nackenschlag für die Deutsche Bank im Kirch-Prozess

Bild München (dpa) - Das Oberlandesgericht München sieht Vorwürfe gegen die Deutsche Bank erhärtet. Das Gericht hält es für «sehr wahrscheinlich», dass der einstige Vorstandschef Rolf Breuer den 2002 ums Überleben kämpfenden Medienkonzern von Leo Kirch gezielt unter Druck gesetzt habe.
Die Deutsche Bank dürfte das Ziel gehabt haben, eine Umstrukturierung der Kirch-Gruppe zu begleiten oder zumindest eine Sanierung an der Deutschen Bank vorbei zu verhindern, heißt es in einem noch nicht veröffentlichten Gerichtsbeschluss, der der dpa vorliegt. Kirchs Schaden hätte danach im Entzug der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit bestanden, den die Bank «zumindest billigend in Kauf genommen» hätte.
Die Erben des im Juli 2011 verstorbenen Leo Kirch und Insolvenzverwalter haben die Bank auf gut zwei Milliarden Euro Schadenersatz verklagt. Sie werfen Breuer vor, den Medienkonzern sittenwidrig vorsätzlich geschädigt zu haben. Die Kirch-Gruppe war im April 2002 pleite gegangen. Breuer hatte zwei Monate zuvor in einem Fernsehinterview Kirchs Kreditwürdigkeit bezweifelt.
Das Urteil in dem Schadenersatzprozess könnte schon im November fallen. Der Vorsitzende Richter Guido Kotschy sagte am Montag im Prozess, die Beweisaufnahme zur Frage, ob eine Haftung dem Grunde nach besteht, sei aus seiner Sicht abgeschlossen.
Quelle: dpa-AFX

Montag, 1. Oktober 2012

FAZ: Wahrheit über Pussy Riot

"Pussy Riot“ Lady Suppenhuhn

25.08.2012 ·  Böser Staat contra unschuldige Mädchen: Das war das Bild, das von Pussy Riot gezeichnet wurde. Dabei erinnern die Aktionskünstler mit ihren vulgären Provokationen viel mehr an die erste RAF-Generation.
Von Moritz Gathmann
© dapd Die meisten oppositionell gesinnten und gut informierten Russen wollten offenbar nicht für „Pussy Riot“ auf die Straße gehen. Massenproteste gab es nur im Ausland, wie hier Hamburg
Das Urteil ist gesprochen: Ein russisches Gericht hat drei Frauen von „Pussy Riot“ zu je zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Wochenlang trieben ausländische Journalisten und Medien im Pussy-Riot-Rausch, malten sich und der Welt ein Bild. Es trägt den Titel: „Böser russischer Staat gegen unschuldige kleine Mädchen“. Die Wirklichkeit verzerrten die Journalisten, das Bild sollte möglichst perfekt sein. Bitte kein grau. Eine Frage wurde gar nicht mehr gestellt, sie ging unter in der Solidarisierungswelle. Eine wichtige Frage: Für wen setzen wir uns da eigentlich ein?
Die 22 Jahre alte ehemalige Philosophiestudentin Nadjeschda Tolokonnikowa, die als Ikone der Russischen Revolution, als Heldin gezeichnet wird, ist seit Jahren Mitglied der russischen Aktionskunstszene. Mit der Gruppe „Woina“ veranstalteten sie, ihr Mann Pjotr Wersilow und einige andere im Frühjahr 2008 eine Gruppensex-Orgie im Moskauer Museum für Biologie. Tolokonnikowa war damals im neunten Monat schwanger - der Gruppensex machte sie und die anderen auf einen Schlag in ganz Russland bekannt.

Pornographie als Kunst

Weitere provokative und vulgäre Aktionen folgten:
Im September 2008 erhängte die Gruppe symbolisch fünf Menschen in einem Moskauer Supermarkt: Zwei Homosexuelle ließen sich freiwillig „hängen“, drei Gastarbeiter bekamen Geld. Mit Stricken um den Hals, allerdings ohne Gefahr für ihr Leben, baumelten sie an der Decke, bis Mitarbeiter des Supermarktes sie abnahmen.
Am ersten Tag des Prozesses gegen den Kunstkuratoren Andrej Jerofejew im Mai 2009 packten Tolokonnikowa und andere „Woina“-Mitglieder im Gerichtssaal E-Gitarren aus und sangen das Lied „Vergiss nicht, dass alle Bullen Missgeburten sind“. Die Aktion trug den Namen „Schwanz in den Arsch“.
Im Juli 2010 entwendete eine Aktivistin von „Woina“ ein Suppenhuhn aus einem Petersburger Supermarkt. Mit einigen Männern und kleinen Kindern im Schlepptau wanderte sie im Markt umher, schließlich stopfte sie sich das Suppenhuhn so tief wie möglich in ihr Geschlechtsorgan und verließ den Laden. Die Gruppe filmte die Aktion und stellte den Clip ins Netz, alles, was sie tun, dokumentieren sie. Pornographie als Kunst. Das Video ist mittlerweile schwer zu finden, manche Plattformen haben es gelöscht, andere Versionen sind großflächig verpixelt.

Arroganter, rechthaberischer Duktus

Und was sollte das Ganze? Die Woina-Mitglieder nannten die Aktion „Bjesbljadno“. Das bedeutet „nicht anschaffend“. „Woina“- Gründer Oleg Worotnikow erklärte den Titel so: „Nicht anschaffen gehen ist das Lebensprinzip von Woina. Unsere Aktivisten sind keine Schlampen, sie verkaufen nichts und kaufen nichts. Sie leben, ohne Geld auszugeben, also ohne anschaffen zu gehen. Sie vögeln nach allen Regeln der Kunst die zuhälterische russische Wirtschaft und das Regime, das das Volk vernichtet. Alles, was Woina braucht, nimmt es sich umsonst. Lebe umsonst, stirb ohne anschaffen zu gehen. Nieder mit der Küchensklaverei, es lebe die russische Frau!“
Im Herbst 2009 hatte ein ukrainischer Blogger Geschlechtsverkehr mit einer Frau vor dem Parlament in Kiew. Ein Nachahmer von „Woina“. Die russischen Aktivisten waren mit von der Partie, sie kümmerten sich um die Organisation und um die mediale Vermarktung des Events. Der Blogger kam in Untersuchungshaft und wurde später zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt. Auch die Mitglieder von „Woina“ wurden von der ukrainischen Polizei beinahe in einer Wohnung festgenommen. Die Gruppe spaltete sich, ihr Mitbegründer Oleg Worotnikow behauptete, Wersilow und Tolokonnikowa hätten den Blogger und die Gruppenmitglieder an die Polizei verraten.
Der arrogante, rechthaberische Duktus der Pamphlete und Interviews von Worotnikow, Wersilow und Tolokonnikowa ähnelt jenem der deutschen Sponti-Szene in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Der Name der Künstlergruppe „Woina“ bedeutet „Krieg“. Sie führen ihn gegen das Establishment, den Staat und die Polizei. Beim Sturm einer Modenschau in Moskau zündeten sie Brandpulver und riefen „Fickt die Sexisten, die verfickten Putinisten“. Über die Reaktion des Publikums sagten sie stolz: „Die Idioten in ihren Pelzmäntelchen blieben einfach sitzen wie dumme Kühe. Sie sind so debil, dass sie gar nicht wussten, was sie tun sollen.“

Selbst Oppositionelle haben die Aktion in der Kirche kritisiert

Sich selbst sehen sie als Speerspitze einer Bewegung, die dem Rest der Gesellschaft die Augen öffnen muss. „Alle drei wollen Russland vom Mittelalter in die Moderne bringen“, beschrieb Wersilow die Motivation der inhaftierten Pussy-Riot-Aktivistinnen. Ihre Verachtung gegenüber praktisch allen anderen russischen Künstlern, die sich angeblich mit dem System arrangiert haben, ist grenzenlos. Ihre politische Ausrichtung nennen sie „linken Antiautoritarismus“. Sie fordern „mehr Selbstverwaltung und Selbstorganisation“ und dass es „keine beschissenen Führer“ gibt. Außerdem wollen sie „Putin die Nase brechen“ und „dass die feministische Bewegung aktiver wird, dass Feministinnen nicht nur unzufrieden, sondern auch gegen Putin sind“.
Die Aktivistinnen neigen nicht zur Bescheidenheit: „Wir sind Figuren aus Filmen über Superhelden, die aus dem Fernseher gekommen sind, um die Straßen zu erobern“, sagten sie in einem Interview. Vor dem Urteil schrieb Tolokonnikowa in einem Brief, ihr Fall habe völlig unterschiedliche Kräfte der Gesellschaft vereint: „Es geschieht, was für die heutige russische Politik unglaublich ist: Die Gesellschaft nimmt Einfluss auf das Regime, fordernd, beharrlich, machtvoll und konsequent. Egal, wie das Urteil sein wird, wir siegen, ihr siegt schon. Weil wir gelernt haben, zornig zu sein und politisch zu sprechen.“ Dem „Spiegel“ erzählte Wersilow, die drei jungen Frauen seien „Vorbilder für Millionen von Russen“. Die Behauptung ist bodenlos: Selbst russische Oppositionelle wie Boris Akunin und Alexej Nawalny haben die Aktion in der Kirche kritisiert und lediglich gegen die zu harte Reaktion des Staates protestiert. „Wir stehen vor einer unbestreitbaren Tatsache: Dumme Hühner, die einen Akt geringfügigen Rowdytums begangen haben, um Publicity zu bekommen“, schrieb Nawalny.
Auch der Vergleich der herrschenden Verhältnisse mit jenen der totalitären Vergangenheit erinnert an die sechziger Jahre: „In Russland hat sich in den vergangenen 50 Jahren wenig geändert: Wahre Anerkennung kann ein Mensch aus der Kultur nur erlangen, indem er sich dem Regime entgegenstellt, indem er ins Gefängnis geht und verfolgt wird“, schrieben Tolokonnikowa und ihre Gefährtinnen aus der Untersuchungshaft an den damaligen Präsidenten Dmitrij Medwedjew. In ihrem Schlusswort am letzten Gerichtstag verglich Tolokonnikowa das Verfahren mit der Inquisition und der Praxis der „Stalinschen Troikas“, jener NKWD-Kommissionen mit drei Mitgliedern, die vor allem in den dreißiger Jahren in der Sowjetunion wüteten.

All die Suaden erscheinen heuchlerisch

Parallelen zur ersten RAF-Generation gibt es auch in der Rücksichtslosigkeit gegenüber den eigenen Kindern. Ulrike Meinhof ließ ihre Zwillingstöchter in Sizilien verstecken, um sich voll und ganz dem Kampf gegen das System widmen zu können. Bei den russischen Aktionskünstlern werden die Kinder sogar zum Instrument oder Schutzschild der Gruppe. „Woina“-Mitbegründer Worotnikow stürmte auf einer nicht genehmigten Demonstration in Sankt Petersburg inmitten von Mitgliedern der autonomen Szene mit seinem zwei Jahre alten Sohn auf dem Rücken über den Newskij-Prospekt. Dabei bespritzte er Polizisten mit Urin, das er in mehrere Flaschen abgefüllt hatte. Als die Polizei ihn festsetzte und ihm den schreienden Sohn entwand, beschwerte Worotnikow sich über die unmenschlichen Methoden der Polizei.
Nur Tage nach dem Gruppensex im Museum gebar Tolokonnikowa ihre Tochter Gera. Nach Streitigkeiten mit ihren Eltern, die ihren Lebensstil missbilligten, musste Tolokonnikowa die von ihnen zu Verfügung gestellte Wohnung verlassen. Die junge Familie zog daraufhin von Wohnung zu Wohnung, bis sich die wenige Monate alte Gera bei einem nächtlichen Sturz von einem Computertisch schwer verletzte. Als Wersilow und Tolokonnikowa in Kiew den Blogger beim öffentlichen Geschlechtsverkehr unterstützten, befand sich die inzwischen anderthalb Jahre alte Tochter schon seit längerem in der Obhut von Wersilows Eltern.
In den vergangenen Monaten setzte Wersilow seine Tochter Gera medienwirksam ein. Für CNN spazierte er mit ihr im Garten. Im Internet veröffentlichte er ein Foto des nun vier Jahre alten Mädchens. In der Hand hält sie ein Plakat mit der Aufschrift: „Ich gehe auf die Demo, damit meine Mutter entlassen wird.“ Einen Tag nach dem Urteil erzählte er russischen Medien, Gera zeichne für ihre Mutter Fluchtpläne. All die Suaden über den unmenschlichen russischen Staat, der die Mütter zweier kleiner Kinder ins Gefängnis stecke, erscheinen vor diesem Hintergrund zumindest fragwürdig, wenn nicht sogar heuchlerisch.

Nicht vergleichbar mit Deutschland im Jahr 2012

Wussten Tolokonnikowa und ihre Mitstreiterinnen, welche Tragweite ihre Aktion haben würde? In Briefen aus dem Gefängnis und Äußerungen vor Gericht behaupten die drei, dass sie sich eine solche Reaktion nicht hätten vorstellen können. Auch hätten sie nicht geahnt, dass ihre Aktion die Gefühle von orthodoxen Gläubigen verletzen könnte. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder sind die Frauen sehr naiv oder sie sagen nicht die Wahrheit. Da zumindest Tolokonnikowa seit nunmehr fünf Jahren Mitglied der Aktionskünstlerszene ist, lässt sich Naivität in ihrem Fall ausschließen.
Ganz nüchtern betrachtet: Die Frauen drangen in die wichtigste Kathedrale des Landes ein, sangen dort „Scheiße, Scheiße, Gottesscheiße“ (etwa vergleichbar mit dem italienischen „porco dio“) und dass der Patriarch ein „Schweinehund“ (das russische Wort entspricht stilistisch dem englischen „bitch“) sei. Zuvor hatten sie bei einem ähnlichen Auftritt in einer kleineren Kirche schon Material gesammelt. Aus beiden Videoaufnahmen bastelten sie dann den Clip, der im Internet mehrere Millionen Klicks sammelte.
Die heutige russische Gesellschaft ist nicht vergleichbar mit jener Deutschlands im Jahr 2012. Sie ähnelt eher der westdeutschen Gesellschaft der sechziger Jahre und ihrer verbreiteten Intoleranz. Das „Punkgebet“ in der Christ-Erlöser-Kathedrale war für jeden gläubigen oder zumindest konservativen Russen die maximal mögliche Provokation. Nicht etwa wegen der Worte „Gottesmutter, vertreibe Putin“, sondern wegen der Tänze vor der Ikonostase, der Schimpfworte an einem religiösen Ort, wegen der erschrocken umherlaufenden älteren Frauen. Hätten die jungen Frauen, so wie bei früheren Aktionen – darunter der Auftritt „Putin hat sich in die Hosen gemacht“ auf dem Roten Platz – einen weniger „heiligen“ Ort gewählt, sie säßen nicht im Gefängnis.

Viele Russen sind zynisch geworden

Umfragen des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada zeigen, dass sich vor dem Prozess 86 Prozent der Russen für eine Bestrafung der Frauen aussprachen und 37 Prozent sogar für eine Gefängnisstrafe. In den Augen der russischen Bevölkerung hat der Staat mit dem Urteil einigen Provokateuren eine Lektion erteilt, und dies nach Recht und Gesetz. Laut Lewada-Umfragen ist fast die Hälfte aller Russen überzeugt, dass das Gerichtsverfahren objektiv, unvoreingenommen und gerecht verlaufen sei.
Das Ende der Sowjetunion und der Verlust der kommunistischen Ideologie hat in der russischen Gesellschaft ein Wertevakuum hinterlassen, an dem das Land bis heute krankt. Die Gesellschaft ist stark individualisiert, als einzige funktionierende soziale Einheit ist oft nur die Familie übriggeblieben. Viele Russen sind zynisch geworden, vertrauen ihrem Bürgermeister ebenso wenig wie ihrem Nachbarn.
Der orthodoxe Glaube ist dabei für sie der einzige „Anker“, der ihnen Identität stiftet, eine Institution, die die Gesellschaft über alle Einkommens-, Herkunfts- und Bildungsunterschiede zusammenhalten kann. Dass der Staat die Kirche propagandistisch für seine Zwecke nutzt, ist ihnen bewusst, wird von Priestern und einfachen Gläubigen auch kritisiert. Aber auch diese Kritiker hat das Punkgebet von „Pussy Riot“ vor den Kopf gestoßen.

Von Widersprüchen geprägt

Dass derartige Kunstaktionen nicht nur in Russland strafbar sind, mussten am Sonntag drei Pussy-Riot-Unterstützer erkennen, die im Kölner Dom Solidaritätslieder sangen. Sie erhielten eine Anzeige wegen Störung der Religionsausübung (bis zu drei Jahren Freiheitsentzug), Hausfriedensbruch (bis zu einem Jahr Freiheitsentzug) und Verstoß gegen das Versammlungsrecht. Die Rechtspraxis in Deutschland unterscheidet sich allerdings von der russischen: Eine solche Tat wird als Ordnungswidrigkeit gewertet, und die Angeklagten kommen mit Geldstrafen davon. Das Urteil fiel in Russland viel härter aus – viel zu hart.
Deutsche Redaktionen fordern von ihren Moskau-Korrespondenten gerne den „Rundumschlag“, damit das Thema für den Leser leicht verdaulich ist. In diesem Fall hieß das: der Fall „Pussy Riot“ als Zeichen dafür, dass der russische Staat unter Putin III. in die Diktatur abgleitet. So wurde es dutzendfach geschrieben, obwohl die These gewagt ist. Echte Diktaturen wie Nordkorea oder Usbekistan gehen gegen ihre Kritiker mit ganz anderer Härte vor. Prozesse sind dort häufig nicht öffentlich, und Kritiker verschwinden für Jahre hinter Gefängnismauern, ohne dass ihr Schicksal im Westen viel Aufmerksamkeit findet.
Die russische Wirklichkeit war und ist von Widersprüchen geprägt. Ja, Nichtregierungsorganisationen müssen sich seit neuestem als „ausländische Agenten“ bezeichnen, und das Demonstrationsgesetz wurde radikal verschärft. Andererseits wurde im Frühjahr das Parteiengesetz radikal entschärft, lange verbotene Parteien sind nun wieder offiziell registriert worden. Auch die 2005 abgeschafften Direktwahlen der Gouverneure wurden im Januar wieder eingeführt – was als direkte Reaktion des Regimes auf die Winterdemonstrationen interpretiert wurde.

Putin liebt es, die Rolle des bösen Buben zu spielen

Ganz allgemein gesagt: Offene Kritik an Putin bedeutet nicht, dass man dafür ins Gefängnis kommt. Viel eher ist das Gegenteil der Fall. Der Schriftsteller Sachar Prilepin, ein erbitterter Gegner von Putin, beklagte einmal, dass die russische Demokratie so angelegt sei, dass man über sich selbst, das System und seine Führer alles sagen und schreiben könne – das einzige Problem sei, dass das den Vertretern des Regimes völlig schnurz sei.
Der internationale Aufruhr rund um die drei jungen Frauen mag für viele im Westen, die sich an den Protesten beteiligt haben, eine Herzenssache gewesen sein. In Russland selbst jedoch hat die mediale Aufblähung des Verfahrens Präsident Putin nicht nur nicht geschadet, sondern sogar genützt. Wie es der Kunstkurator Andrej Jerofejew, der vor zwei Jahren wegen eines ähnlichen Verfahrens vor Gericht stand, ausgedrückt hat: Putin liebt es, die Rolle des bösen Buben zu spielen. Zudem weiß er aus der Vergangenheit: All die internationalen Proteste gehen an den bestehenden politischen und wirtschaftlichen Beziehungen vorbei wie ein lauer Sommerwind. Dafür ist Russland zu wichtig, als Kunde der deutschen Wirtschaft und unverzichtbarer Rohstofflieferant in Europa, als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat.

Sympathie und Verständnis vor allem im Ausland

Nach dem Urteil kamen bekannte Oppositionelle wie der Schriftsteller Boris Akunin und der Anwalt Alexej Nawalny zum Chamowniki-Gericht, um gegen das Verfahren zu demonstrieren. Massenproteste gab es nicht. Die meisten oppositionell gesinnten und gut informierten Russen, und davon gibt es in Moskau Hunderttausende, wollten offenbar nicht für „Pussy Riot“ auf die Straße gehen. Aus ihrer Sicht sind „Pussy Riot“ keine Dissidenten, ihren Aktionen fehlte es an Relevanz. Würde dagegen ein Gericht Nawalny oder Akunin verurteilen – die Reaktion der Bürger wäre ganz anders.
Millionen mögen die Petition an Putin unterschreiben, Madonna mag für „Pussy Riot“ singen, die grüne Bundestagsabgeordnete Marie-Luise Beck sogar extra zum Prozess nach Moskau kommen – Sympathie und Verständnis wecken solche Aktionen vor allem im Ausland. „Pussy Riot“ hätten „der russischen Protestbewegung ein Gesicht gegeben“, sagt Wersilow. Wunschdenken. Der Protestbewegung hat die Affäre keinen neuen Auftrieb gegeben. Sie hat ihr sogar zutiefst geschadet.
Quelle: F.A.S.