Donnerstag, 26. August 2010

LeMonde: Bitte das Spiel zu machen

Bitte das Spiel zu machen

Goldman Sachs und die Politik

von Ibrahim Warde

Am 15. Juli hat der US-amerikanische Senat gebilligt, was allgemein als die "umfassendste Reform des amerikanischen Finanzsektors seit der Großen Depression" bezeichnet wird. Für Präsident Obama ist das Gesetz, obwohl bescheidener ausgefallen als seine ursprüngliche Initiative, ohne Zweifel ein politischer Erfolg. Begünstigt wurde dieser Erfolg durch die Enthüllungen über merkwürdige Sitten und Gebräuche bei Goldman Sachs. Sie boten Obama die Chance, einer von der Bankenkrise geschwächten Lobby mit eigenen Vorschlägen zuvorzukommen.

Am selben Tag, als das Bankengesetz "Dodd-Frank Act" (benannt nach den beiden demokratischen Abgeordneten Christopher Dodd und Barney Frank) auch vom Senat verabschiedet wurde, fand ein anderes, weit weniger beachtetes Ereignis statt: der Vergleich zwischen Goldman Sachs und der Securities and Exchange Commission (SEC), einer als staatliche Börsenpolizei fungierenden Behörde. Gegen ein Bußgeld in Höhe von 550 Millionen Dollar konnte sich die Investitionsbank der drohenden Anklage wegen Betrugs entziehen. Diese bezog sich auf ein spekulatives Finanzprodukt namens "Abacus", das so konstruiert war, dass es die Bank gegen fallende Kurse von Obligationen auf dem Markt der Hypothekenpapiere absicherte. Allerdings hatte die Bank zur gleichen Zeit ihre Kunden animiert, in eben solche Obligationen zu investieren.

Die SEC konnte sich, nachdem sie wegen ihrer Untätigkeit viel Kritik eingesteckt hatte, plötzlich mit einem aufsehenerregenden Coup profilieren. Aber auch Goldman Sachs demonstrierte seine politische Cleverness: Die Bank räumte zwar gewisse "Irrtümer" bei der Vermarktung seiner Produkte ein, ließ aber keinerlei Zweifel an ihrem Topmanagement zu. Damit ist dieses peinliche Kapitel für Goldman Sachs abgeschlossen. Das nur auf den ersten Blick stattliche Bußgeld macht knapp 1 Prozent des Jahresgewinns aus und gerade mal 3 Prozent der Bonussumme, die 2009 an ihre Manager ausgeschüttet worden war.

Dass die Bank die Fähigkeit hat, sich mit den politischen Machthabern zu arrangieren - oder sie auszutricksen - ist kaum erstaunlich. Schon seit den frühen 1990er-Jahren hat jeder Topmanager von Goldman Sachs einen hochrangigen politischen Posten als logische Krönung seiner Karriere vor Augen.

Diese inzestuöse Verflechtung mit der politischen Sphäre erklärt, warum die Bank regelmäßig in die großen Manöver und Strategien im Finanzsektor involviert ist. Drei Beispiele: In der Subprime-Krise und bei der anschließenden Rettung der Banken spielte sie eine ebenso zentrale wie dubiose Rolle; schon vor Jahren hatte sie der griechischen Regierung geholfen, ihr Haushaltsdefizit zu verschleiern, was am Ende zur Krise des Euro geführt hat; und sie war auch an den Rohstoffspekulationen beteiligt, die den Ölpreis künstlich in die Höhe getrieben haben.

Auf der anderen Seite hat Goldman Sachs es verstanden, immer wieder stattliche Gewinne zu erzielen, und dies selbst nach dem Platzen der Blasen, zu deren Entstehung sie beigetragen hat. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Bank selbst in "mageren Jahren" üppige Profite gemacht hat. Aber genau dieser Erfolg schockiert nun, nach dem Einsturz des Kartenhauses und der anschließenden Bereinigungskrise, die globale öffentliche Meinung. Wie kommt es, fragen sich viele, dass das Unglück der unzähligen Opfer immer wieder zum Glück für Goldman Sachs wird?

Die Bank war allerdings schon immer anders als ihre Konkurrenten (siehe den unten stehenden Text). Bis zu Beginn der 1980er Jahre war sie bekannt dafür, dass sie methodisch gründlich und behutsam vorgeht, vor allem aber, dass sie sich nie an Operationen wie "feindlichen Übernahmen" beteiligt hat. Eine ihrer bekanntesten Leitsätze - "Beeile dich langsam" - brachte ihr den Spitznamen "Schildkröte" ein. Im Gegensatz zu einigen ihrer Konkurrenten werden bei Goldman Sachs unnötige Ausgaben vermieden. Auch für die Mitarbeiter soll Geld nicht der einzige Motivator sein, weshalb hier die Führungskräfte weniger verdienen als bei der Konkurrenz.

Diese relative "Bescheidenheit" ist ebenso unternehmenstypisch wie ein weiterer Grundsatz, der sich zu "Gier nach langfristigem Erfolg" bekennt. Bei Investitionen wird eher langfristig gedacht, was bedeutet, dass die Bank auch mal finanzielle Opfer bringt, um sich das unbedingte Vertrauen ihrer Kunden zu sichern. Die Unternehmenskultur drückt sich auch in den berühmten "vierzehn Geboten" aus, deren siebtes lautet: "Bei uns ist kein Platz für Menschen, die ihr eigenes Interesse über das des Unternehmens und seiner Kunden stellen." Im geschlossenen Klub der Geschäftsbanken hat das Prinzip der unbedingten Pflichterfüllung seine Gültigkeit ebenso bewahrt wie das Ehrenwort.(1)

Von der Schildkröte zur Krake

All diese schönen Grundsätze gingen in den 1980er Jahren im Prozess der Deregulierung der Finanzmärkte nach und nach zuschanden. Am Ende ging es nur noch um die Jagd nach immer höherer Rentabilität. Und die war nur unter Missachtung bewährter kaufmännischer Regeln und mittels fragwürdiger Methoden zu erreichen. Zu diesen gehört etwa ein gefährlich hoher Leverage-Effekt: Mit wenig eigenem Geld wird ein hoher Kredit aufgenommen, um mit schuldenfinanzierten Käufen die Eigenkapitalrentabilität zu steigern.

Entscheidend gefördert wurde dieser Trend durch das irre Tempo beim Erfinden von "innovativen" Finanzprodukten, mit dem die staatliche Aufsicht nicht mithalten konnte.(2) Hauptmerkmale dieser Entwicklung waren die inzestuösen Beziehungen zwischen Finanzkapital und politischer Macht, die beschleunigte Internationalisierung und eine überdrehte, ungebremste Profitsucht.

Im Zuge dieser Entwicklung verwandelte sich die "Schildkröte" Goldman Sachs in eine "Krake", die in alle Richtungen ausgreift. Jetzt wurden auch die alten Regeln des Bankgeschäfts umgeschrieben: Im Ausland rekrutierte man Spitzenberater nur noch aus der Elite des finanzökonomisch-politischen Komplexes und zahlte ihnen horrende Gehälter, um mit ihrer Hilfe die Profitchancen der allgemeinen Deregulierungs- und Privatisierungswelle zu nutzen.

In Frankreich hatte Goldman Sachs bereits 1989 Jacques Mayoux angeheuert, ehemals Präsident der Bank Société Générale, dann Generaldirektor der Caisse Nationale de Crédit Agricole und Präsident des französischen Stahlkonzerns Sacilor. Dessen Nachfolger wurde 2004 Charles de Croisset, der vorher Präsident des Crédit Commercial de France (CCF) gewesen war und im Aufsichtsrat der französischen Großkonzerne Bouygues (Telekommunikation), Renault, LVMH (Luxusmarken) und Thales (Rüstungsindustrie) sitzt.

Das Jahr 1999 markiert den nächsten Wendepunkt in der Unternehmensgeschichte: Goldman Sachs wurde zu einem börsennotierten Unternehmen.(3) Aus einer Personen-Kommanditgesellschaft, deren Kapital und Gewinne allen Teilhabern gehörte, die mit ihrem eigenen Vermögen für die Unternehmensrisiken haften, wurde eine Aktiengesellschaft, deren Wert sich beim Börsengang auf 3,6 Milliarden Dollar bezifferte. Damit konnten die 201 ehemaligen Partner von Goldman Sachs, die als Hauptaktionäre 48 Prozent des Kapitals hielten, im Durchschnitt je 63 Millionen Dollar einstreichen.(4)

Mit der finanziellen Disziplin und der "Gier nach langfristigem Erfolg" war damit Schluss. In den Zeiten der gnadenlosen Fixierung auf Rentabilität bemisst auch Goldman Sachs seinen Erfolg nur noch an den Gewinnbilanzen. 2009 stieg der Nettogewinn auf 13,4 Milliarden Dollar. Damit rückte das Unternehmen an die Spitze der Wall-Street-Banken. Entsprechend großzügig fielen die Bonuszahlungen aus, die sie an ihre Mitarbeiter verteilte.

Im globalen Finanzcasino nimmt Goldman Sachs gleich mehrere Rollen wahr: erstens die des Croupiers, der für alle Transaktionen gute Kommissionen einstreicht; zweitens die des Beraters, der gegen Bezahlung Anlagestrategien entwirft, wobei zu den Klienten vor allem Regierungen und institutionelle Investoren, aber auch gewohnheitsmäßige Spieler wie die spekulierenden Hedgefonds gehören. Die zahlreichen Analysten und Ökonomen der Bank zählen zu den weltweit angesehensten der Branche, deren Informationen und Einschätzungen sehr oft den Lauf der Dinge und die Aktienkurse beeinflussen. In diesem Casino tritt Goldman Sachs aber vor allem in einer dritten Rolle auf: als Spieler, der die Karten aller Mitspieler schon kennt und deren Chips auf das grüne Tuch platziert - und die eigenen gleich dazu.

Der Löwenanteil an den Gewinnen von Goldman Sachs stammt tatsächlich aus dem Handel mit Eigenkapital. Die Bank legt ihre Eigenmittel auf allen Finanzmärkten an, im Immobiliensektor und in Unternehmensanleihen erfolgversprechender Firmen. Seit der 1981 erfolgten Übernahme von Aron & Company mischt die Bank auch im Rohstoffhandel kräftig mit und entscheidet damit - wissentlich oder nicht - über die ökonomischen Geschicke von Produzenten und Konsumenten auf der ganzen Welt. Es gibt keinen Markt, auf dem sie nicht ihre Chance suchen würde. Zum Beispiel engagiert sie sich in Branchen, die stark zur Erderwärmung beitragen, und zugleich im Handel mit Emissionsrechten, der den Ausstoß von Kohlendioxid eindämmen soll.(5)

Unmoralisch ist nicht gleich illegal

Auf diesem Finanzsupermarkt, in dem ganze Paletten von Diensten angeboten werden, die alle der permanenten Gewinnmaximierung dienen sollen, kommt es zwangsläufig zu Interessenkonflikten. Ein gutes Beispiel ist die Abacus-Affäre. Ans Licht kam sie erst durch indiskrete E-Mails von Fabrice Tourre, dem französischen Wertpapier-Manager in der Goldman-Sachs-Zentrale. Die staatlichen Aufsichtsbehörde SEC verklagte die Bank wegen Betrugs, weil sie ihren Kunden im Jahr 2007 sogenannte Collateralized Debt Obligations (CDO) angedreht hatte, also besonders undurchsichtige, spekulative Wertpapiere, die aus riskanten Subprime-Hypothenkrediten gebündelt waren.

Goldman Sachs tat dies, ohne der Kundschaft mitzuteilen, dass sie zur selben Zeit mit erheblichen Einsätzen auf den Kursverfall eben dieser CDOs wettete. Auf der einen Seite hatte die Bank selbst ihr Portefeuille von diesen Risikopapieren gesäubert, was formell rechtens war. Auf keinen Fall aber durfte sie ihren Kunden verheimlichen, dass sie aus dem Fonds des Großspekulanten John Paulson 15 Millionen Dollar für die Finanzierung dieser gleichzeitigen Baisse-Spekulation erhalten hatte. Noch besser, oder schlimmer: Paulson (nicht mit Exfinanzminister Henry Paulson verwandt) soll selbst an der Identifikation der "verlustanfälligsten" Wertpapiere mitgewirkt haben.

Mit anderen Worten: Goldman Sachs hat im vollen Wissen um eine bevorstehende Immobilienkrise seine Kunden dazu verleitet, auf ein weiteres Ansteigen der Immobilienpreise zu setzen, zur gleichen Zeit aber - im heimlichen Bündnis mit einem Spekulationsfonds - schon auf eine Baisse der Hypothekenpapiere spekuliert, was natürlich den Absturz dieser Titel beschleunigte. Die Anleger, die von dem doppelten Spiel nichts ahnten, verloren insgesamt mehr als eine Milliarde Dollar. Bevor die Bank diesen "Irrtum" eingestand, hatte sie den Sachverhalt beharrlich geleugnet und behauptet, die Klage "entbehre jeder Grundlage".(6)

Ein ähnliches Doppelspiel hatte Goldman Sachs mehrere Jahre zuvor im Fall Griechenland betrieben: Die Bank ließ sich 2001 als Berater der Athener Regierung dafür bezahlen, Teile des Haushaltsdefizit zu "verstecken", damit das Land die Beitrittskriterien zur Eurozone erfüllen konnte. Zugleich aber spekulierte sie massiv auf eine Überschuldung Griechenlands.(7)

Auf juristischer Ebene mag sich Goldman Sachs kaum etwas vorzuwerfen haben. Was unmoralisch sein mag, ist keineswegs zwangsläufig illegal. Schon vor fast zwanzig Jahren wurden in den USA, im Gefolge eines Skandals um die Geschäfte von Sparkassen, etwa 1 500 Bankmanager zu Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie gegen das "Antikorruptionsgesetz" verstoßen hatten, das ursprünglich im Kampf gegen die Mafia und das organisierte Verbrechen erlassen worden war. Doch seit den 1990er Jahren wurde der juristische - und ideologische - Spielraum für Banker immer mehr ausgeweitet. Zahlreiche neue Instrumente, wie die Risikoversicherung gegen Schulden, die unter dem Namen Credit Default Swaps oder CDS bekannt geworden ist, entziehen sich jeder rechtlichen Regelung.

Seitdem hat der Imperativ "Caveat emptor!" (Käufer, sei auf der Hut!") eine neue und dringliche Bedeutung gewonnen. Goldman Sachs wird nicht müde zu versichern, dass sie als Bank nur auf die Nachfrage ihrer Kunden reagiere. Diese seien im Übrigen zumeist geübte Investoren, die von sich aus ihre Investitionen und Geschäftsmodelle mit der gebotenen Sorgfalt zu überprüfen hätten. Und außerdem enthielten alle legalen Dokumente die vorgeschriebenen Warnhinweise und Vorbehaltsklauseln.

Kritik an Goldman Sachs gehört zum guten Ton

Ironischerweise ist es tatsächlich so, dass die Undurchsichtigkeit in der Welt der großen Finanzgeschäfte häufig aus einem exzessiven Zwang zur Transparenz resultiert. Jedes Finanzprodukt hat einen Begleitprospekt von hunderten, wenn nicht tausenden großenteils unverständlich formulierter Seiten, die der Kunde vor der Unterschrift zur Kenntnis genommen haben soll. Da er das nicht kann, verlassen sich viele Anleger auf die Angaben der Ratingagenturen, die sich allerdings selbst oft täuschen. Rama Cont vom Center for Financial Engineering an der New Yorker Columbia University kommt mit Blick auf die von Goldman Sachs emittierten, mit der Bestnote AAA versehenen Titel zu dem ernüchternden Urteil: "Diese Information ist öffentlich verfügbar, aber jeder der Subprime-Titel wird auf 50 oder 60 Seiten mit Erläuterungen versehen, und je nach dem Juristen, der sie verfasst hat, fallen sie häufig unterschiedlich aus. Man hätte also qualifiziertes Personal einstellen müssen, um die 5 700 Seiten des mit Schuldverschreibungen spekulierenden Derivats Abacus genau zu überprüfen."8

Nachdem sie lange Zeit fast nur Bewunderer hatte, leidet die Goldman-Sachs-Gruppe heute unter einem massiven Imageproblem. Mitten in einer Weltwirtschaftskrise, zu deren Ausbruch sie - im Verein mit anderen Wall-Street-Giganten - maßgeblich beigetragen hat, bewilligte sie ihren Managern erneut "Erfolgsboni", die schlicht als obszön empfunden werden. Und nachdem immer neue Skandale und Vorwürfe aufgetaucht sind, wird zu Recht die Frage laut gestellt, ob die Bankengruppe die jüngste Finanzkrise nur deshalb relativ glücklich überstanden hat, weil an allen möglichen wichtigen Stellen ihre "alten Herren" sitzen.

Allerdings gehört es heute fast schon zum guten Ton, Kritik an Goldman Sachs zu üben. Das gilt übrigens auch für Leute, die von der Großzügigkeit der Bank früher durchaus profitiert haben.

Auf der anderen Seite hat die Goldman-Sachs-Affäre die Reform des Finanzsystems der USA ermöglicht. Der Dodd-Frank Act ist in seinen zentralen Intentionen ziemlich klar: Das Bankengesetz soll erstens verhindern, dass große Finanzinstitutionen noch einmal zusammenbrechen und anschließend auf Kosten der Steuerzahler gerettet werden müssen; zweitens soll es die Möglichkeit der Banken beschränken, ihre Eigenmittel zu spekulativen Zwecken einzusetzen; drittens soll es mehr Transparenz im Direkthandel (Over The Counter, OTC) mit Derivaten durchsetzen und viertens die Kunden besser gegen Betrug und Wucher schützen.

Was die praktische Umsetzung dieses Programms betrifft, fällt der 2 300 Seiten starke Gesetzestext allerdings weit weniger überzeugend aus. Das gilt vor allem für die exzessiven bürokratischen Prozeduren, die der Dodd-Frank Act vorsieht: Mit der Abfassung von 530 neuen Bestimmungen, 60 Enquêten und 94 Berichten sind zehn verschiedene Regierungsbehörden betraut, wofür sie drei Monate bis vier Jahre Zeit haben.

Bei der Ausarbeitung dieses Regelwerks wird die Bankenlobby noch kräftig mitmischen. Sie hofft, ihre alte Handlungsfreiheit wiedergewinnen zu können, wenn sich der allgemeine Groll über das Finanzkapital erst einmal gelegt hat. Wenn es so weit ist, wird auch Goldman Sachs wieder mit von der Partie sein.

Fußnoten:
(1) Siehe Charles D. Ellis, "The Partnership. The Making of Goldman Sachs", New York (Penguin) 2009.
(2) Siehe Suzanne McGee, "Chasing Goldman Sachs. How the Masters of the Universe Melted Wall Street Down … And Why They'll Take Us to the Brink Again", New York (Crown) 2010.
(3) Siehe Lisa Endlich, "Goldman Sachs. The Culture of Success", New York (Simon and Schuster Touchstone) 2000.
(4) Siehe Nomi Prins, "It Takes a Pillage. Behind the Bailouts, Bonuses, and Backroom Deals from Washington to Wall Street", New York (Wiley) 2009, S. 88.
(5) Siehe Matt Taibbi, "The Great American Bubble Machine", "Rolling Stone, New York, 5. April 2010.
(6) Robert Khuzami von der SEC fasste den Befund der staatlichen Aufsichtsbehörde so zusammen: "Goldman hat es einem Kunden, der gegen den Immobilienmarkt spekulierte, unrechtmäßigerweise ermöglicht, maßgeblichen Einfluss darauf zu nehmen, welche Hypothekenpapiere in das Investment-Portfolio der Bank aufgenommen werden. Gleichzeitig jedoch wurde anderen Anlegern versichert, die Auswahl sei durch eine unabhängige, objektiv urteilende dritte Partei erfolgt."
(7 )Die Operation funktionierte über sogenannte Cross Currency Swaps. Ähnliche Dienste leistete Goldman Sachs zur selben Zeit auch Italien.
(8 )Sylvain Cypel, "Les ,conflits d'intérêts' d'Abacus", "Le Monde, 4. Mai 2010.
Aus dem Französischen von Ulf Kadritzke
Ibrahim Warde ist Außerordentlicher Professor an der Fletcher School of Law and Diplomacy in Medford, Massachusetts.

Le Monde diplomatique Nr. 9264 vom 13.8.2010, Seite 4-5, 489 Dokumentation, Ibrahim Warde

LeMonde: Ferngesteuerte Experten

Ferngesteuerte Experten

Ob Gesundheitspolitik, Finanzkrise oder Afghanistankrieg - im US-Privatfernsehen dürfen bezahlte Lobbyisten den Zuschauern die Probleme erklären.

von Sebastian Jones

Am 4. Dezember 2009 besuchte US-Präsident Obama die Industriestadt Allentown, Pennsylvania, und sprach mit Arbeitern über die Folgen der Finanzkrise. Einige Stunden später formulierte Tom Ridge, ein ehemaliger Gouverneur des Bundesstaats, im Kabelsenders MSNBC seine eigenen Vorschläge zur Bewältigung der Krise.

In der Sendung "Hardball With Chris Matthews" schlug er ein paar "kleinere Maßnahmen" vor, die das Weiße Haus ergreifen könne, und nannte als Beispiel Steuersenkungen oder Kredite für Kleinunternehmen. Wenn der Präsident der Wirtschaft jedoch wirklich helfen wolle, dann müsse er "als Erstes sein Umweltprogramm einstampfen". Sodann propagierte er den Bau neuer Atomkraftwerke, die Förderung von Erdgas und das Verfeuern von Abfallkohle. Das werde einen Innovationsschub erzeugen, "der Arbeitsplätze und Exporte schafft".

Bei der Vorstellung dieses "Maßnahmenpakets" trat Tom Ridge wie ein neutraler Kommentator auf. Was die Zuschauer nicht erfuhren: Ridge ist seit 2005 Aufsichtsratsmitglied des größten amerikanischen Atomkonzerns Exelon, hat in dieser Funktion 530 659 Dollar verdient und besitzt ein Aktienpaket von Exelon, das im März 2009 rund 250 000 Dollar wert war.

Am selben Tag erklärte der pensionierte General und "NBC-Militärexperte" Barry den Fernsehzuschauern, der Krieg in Afghanistan werde "noch drei bis zehn Jahre dauern und viel Geld kosten". Unerwähnt blieb, dass er vom privaten Militärdienstleister DynCorp allein im vergangenen Jahr 182 309 Dollar erhielt - und dass die US-Regierung kurz zuvor mit DynCorp einen Fünfjahresvertrag abgeschlossen hatte, der dem Unternehmen für seine Dienstleistungen in Afghanistan am Ende bis zu 6 Milliarden Dollar einbringen dürfte.

Damit traten bei zwei NBC-Sendern innerhalb einer Stunde zwei Personen als neutrale Experten auf, über deren Interessenkonflikte die Zuschauer nicht informiert waren. Eine derartige Missachtung der journalistischen Sorgfaltspflicht ist bei US-Kabelsendern nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel.

Schon 2003 wurde in der Zeitschrift The Nation enthüllt, dass McCaffrey Geld von privaten Militärfirmen bezog, deren Interessen er in mehreren Fernsehauftritten als vermeintlich neutraler Kommentator vertreten hatte. Und 2008 gewann der New-York-Times-Journalist David Barstow den Pulitzerpreis für eine Reportageserie, in der er eine interessante Praxis des Pentagon aufdeckte: Als Gegenleistung für den Zugang zu wichtigen Entscheidungsträgern im Verteidigungsministerium konnten pensionierte hohe Offiziere, die als Berater oder Lobbyisten für Rüstungsfirmen tätig waren, ihre militärfreundlichen Argumente als "Expertenmeinung" im Fernsehen verbreiten.

Diese Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs, fanden die Journalisten von The Nation heraus. Private Unternehmen und Branchenverbände schleusen systematisch bezahlte Interessenvertreter bei den Kabelsendern ein. Seit 2007 traten mindestens 75 eingetragene Lobbyisten, PR-Vertreter und Firmenangehörige in Sendungen von MSNBC, Fox News, CNN, CNBC und Fox Business Network auf, ohne dass man als Zuschauer von ihrer Nähe zur Privatwirtschaft erfuhr. Etliche dieser Leute sind bei diesen Sendern seit 2007 dutzende Male, in einigen Fällen sogar hunderte Male zu Wort gekommen.

Kabel-TV-Sender sind in den USA die meistgesehene und meistzitierte Nachrichtenquelle. Sie bieten daher aus Sicht der Lobbyisten und PR-Agenturen beste Chancen, die Positionen ihrer Arbeitgeber und Kunden bekannt zu machen. Zudem hilft eine durch TV-Auftritte gewonnene Prominenz, das Wohlwollen einflussreicher Akteure in den beiden Großparteien zu gewinnen. Die Kabelsender wiederum drücken oft beide Augen zu und scheren sich wenig um ihre eigenen Ethikrichtlinien, weil sie ihre Programm füllen müssen und die Politiker nicht vor den stoßen Kopf wollen. Fast alle Beteiligten haben also etwas von diesem System - mit Ausnahme der Zuschauer.

Dass Lobbyisten und PR-Strategen die Berichterstattung beeinflussen wollen, ist keineswegs neu. Doch erst seit dem Start von Fox News und MSNBC im Jahr 1996 und dem Amtsenthebungsspektakel rund um Bill Clinton und Monica Lewinsky gibt es jene irrwitzige Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung, die so vielen Einflusshausierern ein Forum bietet. Mittlerweile ist es fast schon normal, dass auf allen Kanälen Gäste zu Wort kommen, die schwere Interessenkonflikte mit sich tragen. Besonders aufdringlich war ihre Präsenz in letzter Zeit bei den Debatten über die Wirtschaftskrise und beim Streit über die Gesundheitsreform.

Kurz nachdem 2008 die Rezession zugeschlagen und die Regierung ihren Bankenrettungsplan beschlossen hatte, tauchten Lobbyisten und PR-Personal mit verstörender Regelmäßigkeit im Fernsehen auf, um als neutrale Fachleute zu posieren. Ihre Ansichten, die vornehmlich die Interessen ihrer Auftraggeber und Kunden artikulierten, blieben dabei meist unwidersprochen.

Einer der prominentesten Fernsehexperten ist Bernard Whitman, Chef der Werbefirma Whitman Insight Strategies, die ihren Kunden hilft, "durch zielgenaue Recherchen erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit, Interessenvertretung und Informationskampagnen zu betreiben". Zu Whitmans Kunden gehören Lobbyfirmen wie die BGR Group und große Werbeagenturen wie Ogilvy & Mather, deren Klienten wiederum Großkunden sind, die Einfluss auf die "große Politik" in Washington gewinnen wollen. Bernard Whitman selbst ist ein Veteran der Clinton-Ära, und wann immer er im Fernsehen auftritt, wird er mit dem Hinweis auf diese lange zurückliegende Tätigkeit vorgestellt.

Laut ihrer Webseite hat Whitman Insight Strategies für den Versicherungsgiganten AIG ein Unternehmensprofil erarbeitet und optimiert. Er berät das Unternehmen auch heute noch. Whitman Strategies hat außerdem mehr als 100 Clips mit Fernsehauftritten des Firmenbosses bei YouTube eingestellt. In den Fox News vom 18. September 2008 über Sarah Palin übte Whitman scharfe Kritik an dem Republikaner John McCain. Dessen Idee, "AIG pleitegehen zu lassen", zeige nur, "wie wenig McCain von der heutigen globalen Wirtschaft versteht".

Auch während der aufgeregten Debatte um die Bonuszahlungen für AIG-Manager trat Whitman in den Fox News auf. Dabei räumte er ein, das amerikanische Volk sei über AIG "verständlicherweise empört", beschwor aber gleich darauf die Zuschauer: "Wir müssen jetzt unsere Wut, Frustration und Hysterie überwinden und endlich die Probleme anpacken, die unsere Wirtschaft wirklich belasten." Bei beiden Auftritten wurde nicht erwähnt, dass Whitmans Firma nach wie vor für AIG tätig ist.

Auf der Gehaltsliste von AIG standen auch ehemalige politische Amtspersonen. Kurz nach der ersten staatlichen Bürgschaft im Jahr 2008 buchte das Unternehmen den PR-Giganten Burson-Marsteller als Berater für den Umgang mit "strittigen Themen". Im April 2009 stellte Burson-Marsteller für diese Aufgabe mit Dana Perino eine ehemalige Pressesprecherin des Weißen Hauses ein. Kurz darauf wurde sie von Fox News als politische Kommentatorin eingestellt.

Damit hatte Perino reichlich Gelegenheit, sich über die Wirtschaftskrise zu äußern. So war sie im Juli 2009 zu Gast in einer Diskussionsrunde der Fox-Business-Network-Sendung "Money for Breakfast". Dabei wurde ihre Anstellung bei Burson-Marsteller kurz erwähnt, nicht aber die Verbindung zu AIG. Als die Rede auf die verschärften Aufsichtsmaßnahmen kam, denen der Versicherungsriese von staatlicher Seite unterworfen wurde, startete Perino eine Polemik gegen die Neigung der Regierung, "auf Krisen übertrieben zu reagieren". Als der Verbraucherschutzvertreter Gary Kalman erwiderte, in Wahrheit seien die Regeln über Jahrzehnte immer weiter gelockert worden, spottete Perino: "Ich glaube nicht, dass es in der Wirtschaft viele Leute gibt, die das bestätigen würden."

Der verschwiegene Interessenkonflikt

Auch in den Fernsehdebatten über die Gesundheitsreform wurden die Grenzen zwischen objektiver Expertise und privatwirtschaftlicher Interessenvertretung immer wieder verwischt. Da ist zum Beispiel der konservative Politiker Terry Holt. Der ehemalige Kommunikationsdirektor für den Bush-Cheney-Wahlkampf von 2004 betätigte sich seit 2003 - mit Pausen - auch als Lobbyist für den Branchenverband der privaten Krankenversicherungen (America's Health Insurance Plans, AHIP). Als er 2007 mit drei anderen republikanischen Strippenziehern die PR- und Werbeagentur HDMK gründete, war AHIP einer der ersten Kunden.

Am 5. März 2009 stellte der MSNBC-Moderator David Shuster seinen Gast als Republikaner vor, ohne seine Verbindungen zu AHIP zu erwähnen. Holt sagte in der Sendung, die Regierung Obama wolle "die staatlichen Gesundheitsvorsorge für ungefähr 11 Millionen Rentner kürzen, um dieses große Reformprojekt zu ermöglichen." Sieben Monate später startete AHIP in mehreren Staaten eine Anzeigenkampagne mit der demagogischen Frage: "Ist es in Ordnung, von den zehn Millionen Senioren, die über das (staatliche) Medicare-Programm versichert sind, mehr zu verlangen als einen fairen Beitrag?"(1)

In der Folge war Holt mehrmals bei CNN zu Gesprächsrunden über die Gesundheitspolitik eingeladen. Dabei wurde seine Verbindung zu AHIP nur in einem Fall nicht erwähnt, betonte Holt vor kurzem gegenüber dem Autor. Er ist fest davon überzeugt, dass im Kabelfernsehen "größtmögliche Transparenz" herrscht. Und die Zuschauer hätten die berechtigte Erwartung, zu erfahren, aus welcher Perspektive ein Kommentator zu ihnen spricht: "Ich halte es für meine Pflicht, den jeweiligen Sender über meine Tätigkeit zu informieren. Die Produzenten müssen dann entscheiden, wie sie mich der Öffentlichkeit vorstellen."

Auch in den Reihen der Demokratischen Partei gibt es Lobbyisten und Berater interessierter Unternehmen, die sich ebenfalls öffentlich über die Gesundheitsreform geäußert haben, ohne dass ihre Arbeit für die Pharmaindustrie oder für die Krankenversicherer zur Sprache kam. Am 24. September 2009 bezeichnete Dick Gephart in der MSNBC-Sendung "Morning Meeting" die Alternative der staatlichen Krankenversicherung ("public option") als "entbehrlich". Der Moderator vergaß allerdings zu erwähnen, dass sich sein Interviewpartner mittels seiner Firma Gephardt Government Affairs als Lobbyist für Versicherungs- und Pharmaunternehmen betätigt.

Ähnlich gelagert ist der Fall des prominenten Demokraten Tom Daschle. Der saß am 12. Mai und am 2. Juli im MSNBC-Studio und am 16. August in der NBC-Sendung "Meet the Press". Beide Male sprach er über die Gesundheitsreform, ohne dass jemand erwähnte, dass der Exsenator aus South Dakota für die Lobbyfirma Alston & Bird arbeitet, die den privaten Krankenversicherer United Health Group berät. Ein einziges Mal wurde in einer MSNBC-Sendung - wenn auch sehr dezent - darauf angesprochen, dass seine Lobbytätigkeit für die Versicherungsbranche mit seiner Rolle als Verhandlungspartner der Regierung in Sachen Gesundheitsreform nicht so recht vereinbar ist. Daschles Antwort lautete: "Natürlich muss ich darauf achten, wie ich in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde." Einen Monat später war der ehemalige Mehrheitsführer der Demokraten im Senat bei MSNBC erneut zu Gast. In dem fast zehnminütigen Interview kam seine Arbeit für den privaten Krankenversicherer nicht zur Sprache.

Natürlich wäre es Unfug, zu behaupten, dass Daschles Fernsehauftritte allein für die Verzögerung der Gesundheitsreform verantwortlich waren, die erst im März 2010 verabschiedet wurden. Oder dass Dana Perinos Sprüche für die Verwässerung der Finanzmarktreform gesorgt haben. Völlig unzweifelhaft ist aber auch, dass einige hundert Fernsehauftritte von dutzenden verdeckter Lobbyisten die Berichterstattung der Medien und die öffentliche Meinung beeinflussen.

Diese Einflussnahme wird von der Ethnologin Janine Wendel in ihrem Buch "Shadow Elite"(2) untersucht. Die Tätigkeit von Lobbyisten sei nicht von vornherein unmoralisch, antwortete Wendel auf meine Frage, aber doch eine "Gefahr für die Demokratie". Wenn nämlich Scharen von Experten im Fernsehen immer dasselbe sagen, " wird dieser kumulative Effekt die öffentliche Meinung in ihrem Sinne beeinflussen".

Wer regelmäßig im Fernsehen zu Wort kommt, wird auch Zugang zu politischen Entscheidungsträgern finden - die dann vielleicht überrascht feststellen, dass sie es nicht nur mit einem Fernsehstar zu tun haben, sondern mit einem bezahlten Lobbyisten. Im März 2009 veranstaltete das Weiße Haus ein exklusives "communications message meeting" für die Topstrategen der Demokraten. Von den 18 Teilnehmern, die Obamas engster Berater David Axelrod begrüßen konnte - allesamt bekannte Fernsehpersönlichkeiten - waren fast ein Drittel Lobbyisten.(3 )

Doch letzten Endes kann man den Lobbyisten gar keine Vorwürfe machen, wenn sie ihre medialen Auftritte für ihren eigenen oder den geschäftlichen Vorteil ihrer Kunden nutzen. Sehr häufig versuchen sie nämlich keineswegs, ihre bezahlte Arbeit für die Privatwirtschaft zu verschleiern. Einige, wie Terry Holt, legen sogar größten Wert daraus, die Produzenten der Sender von ihrer Arbeit in Kenntnis zu setzen.

Die Verantwortung liegt also letztlich bei den Nachrichtensendern, die bezahlte Interessenvertreter und PR-Berater ins Studio holen, ohne deren lobbyistische Verbandelung zu ermitteln. Der ehemalige CNN-Moderator und heutige Professor für Journalistik Aaron Brown meint, dass es nicht an ethischen Maßstäben fehlt, sondern an deren Umsetzung: "Die Redakteure bei den Kabelsendern sind oft unerfahrene junge Leute, die unter großem Druck stehen", sagt er. "Sie fragen die Studiogäste nur selten nach möglichen Interessenkonflikten. Sie sind einfach schlampig bei ihren Recherchen."

Eine preiswerte Lösung für die Kabelsender


Für Brown zeigt sich in solchen investigativen Defiziten aber auch ein grundsätzliches Problem des Kabelfernsehens: Die Sender gehen immer mehr dazu über, zahllose Experten und Kommentatoren ins Fernsehen zu holen, um die Sendezeit möglichst einfach und kostengünstig zu füllen. "Das ist viel billiger, als einen Korrespondenten nach Afghanistan zu schicken", meint Brown und findet diese Praxis auch deshalb skandalös, "weil es sich nicht um Zeitungen handelt, die ums Überleben kämpfen und Kosten sparen müssen, weil sie kein Geld haben. Das Kabelfernsehen macht im Gegenteil enorme Gewinne für die Medienkonzerne, deren Töchter sie sind."

Ganz ähnlich argumentiert Jeff Cohen, einer der Gründer der medienkritischen Fairness & Accuracy in Reporting (FAIR). Er hat 2002 selbst einige Monate bei MSNBC gearbeitet und vier Jahre später ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben.(4) Auf die Frage, warum Leute wie Gephart im Fernsehen auftreten können, ohne dass das Publikum von ihrer Arbeit als Lobbyisten und PR-Berater erfährt, erwidert Cohen, dass solche regelmäßigen Gäste, jedenfalls bei MSNBC "genau so vorgestellt werden, wie sie vorgestellt werden wollen". Entscheidend sei, dass ein Mann wie Gephart für das Publikum stets der ehemalige demokratische Mehrheitsführer im Kongress bleibe. "Diese Leute sind sich also sicher, dass sie nicht mit ihrer heutigen Tätigkeit vorgestellt werden, sondern mit ihrer prominenten Position, die sie vor Jahren oder gar Jahrzehnten innehatten."

Seit einiger Zeit beginnen sich die Dinge aber zu ändern. CNN informiert neuerdings über die Kunden oder Branchen, für die manche der geladenen Experten arbeiten. Auch Fox News nennt inzwischen - wenn auch nicht immer - Namen von Lobby- oder PR-Firmen, für die ein Gesprächspartner arbeitet. Doch das gilt keineswegs für alle Kommentatoren, und die Zuschauer erfahren auch nicht, welche Klienten die oft relativ unbekannten PR-Firmen vertreten.

Am wenigsten Interesse an der Offenlegung versteckter Einflussnahme hat man offenbar bei MSNBC. Dort konnte der Lobbyist Todd Boulanger auftreten, ohne dass das Publikum von dem gegen ihn laufenden Verfahren wegen Korruption erfuhr (er bekannte sich 2009 schuldig). Ebenfalls auf MSNBC wurde im Hauptabendprogramm eine Sendung namens "Countdown" von Richard Wolffe und später von dem Exsenator Howard Dean moderiert. Wolffe war zugleich für die PR-Firma Public Strategies Inc. tätig, Dean war Berater der Pharmaindustrie. Bei beiden wurden ihre Nebentätigkeiten nicht erwähnt. Und auch der DynCorp-Angestellte Barry läuft bei MSNBC bis heute nur als "Militärexperte".

Als ich den Sender im Januar auf dieses Problem ansprach, gaben die Verantwortlichen vor, intensiv an einer Lösung zu arbeiten. David McCormick ist der Ombudsman bei NBC News und ist auch für die Einhaltung der entsprechende Richtlinien bei MSNBC zuständig.(5) McCormick meinte auf meine Frage, dass MSNBC wolle künftig seine Gäste darauf hinweisen, dass der Sender sich zum Prinzip der Offenheit bekennt. Und er fügt hinzu: "Unser Geschäft beruht weitgehend auf Vertrauen." Deshalb erwarte man von allen Gästen "dass sie uns wissen lassen, wenn es potenzielle Interessenkonflikte gibt".

McCormick beteuert: "Wir versuchen unseren Leuten seit einigen Jahren klarzumachen, dass die Zuschauer erfahren müssen, wie die Meinungen von freien Journalisten oder auch unbezahlten Kommentatoren und Fachleuten in das Mosaik von Informationen einzuordnen sind. Ist uns das perfekt gelungen? Nein."

Das ist erstaunlich, denn der Sender macht sich über dieses Problem schon seit langem Gedanken. In den "Regeln und Richtlinien" von NBC News vom Oktober 1998 handelt ein ganzes Kapitel von potenziellen Interessenkonflikten. Hier heißt es unter anderem:

"Es ist sehr wichtig, dass unsere Zuschauer begreifen, welche besondere Sichtweise jeder (bezahlte oder unbezahlte) Gast oder Experte unserer Sendungen mitbringt. […] Unsere Zuschauer brauchen alle relevanten Information, damit sie sich ihre eigene Meinung zum Thema bilden können. Es genügt nicht zu sagen: ,Herr X von der Stiftung XYZ'. […] Die exakte Identifikation muss klar und eindeutig sein."

Zwölf Jahre später ist McCormick allerdings der Meinung, es reiche schon aus, wenn auf mögliche Interessenkonflikte des Studiogastes nicht im Programm selbst, sondern auf der Website des Senders hingewiesen wird. Genau das ist bei MSNBC die übliche Praxis.

Einige Tage nach diesem Gespräch mit McCormick sah ich zufällig auf MSNBC die Sendung "Morning Joe". Ein gewisser Mark Penn wurde als Meinungsforscher der Regierung Clinton und Politstratege der Demokraten vorgestellt. Er empfahl der Regierung Obama, die Gesundheitsreform auf Eis zu legen. Was nicht erwähnt wurde: Penn ist Chef der PR-Agentur Burson-Marsteller, in der eine ganze Abteilung damit befasst ist, im Auftrag von Pharma-Unternehmen wie Eli Lilly und Pfizer "öffentliche Wahrnehmungen zu erzeugen und zu steuern, die zur positiven Geschäftsentwicklung beitragen".

Ergebnis: ein Defizit an Fakten

Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, dass das Problem endemisch und unlösbar geworden ist. Offenbar gehört es in den USA heute zur Realität der Medienlandschaft, dass sich die Grenzen zwischen dem Dienst an der Öffentlichkeit und der Arbeit für private Geschäftsinteressen weitgehend aufgelöst haben. Und auch der Druck der Öffentlichkeit hat bisher keine grundsätzliche Wende bewirkt.

David Barstow mag für seine Recherchen in der New York Times den Pulitzerpreis gewonnen und die Aufmerksamkeit für das Thema gesteigert haben, aber General a. D. McCaffrey tritt weiterhin im Fernsehen als Experte auf, ohne dass sich jemand daran stören würde, dass er für die Rüstungsindustrie arbeitet. Der Blogger Glenn Greenwald hat ermittelt, dass alle von David Barstow entlarvten Sender in ihrer Berichterstattung über die Pulitzerpreise 2009 nicht nur die Vorwürfe, sondern sogar den Namen des Journalisten totgeschwiegen haben. Dazu meint Andy Scholz, der Leiter des Komitees für journalistische Ethik im Berufsverband Society for Professional Journalists: "Dieses Problem, das enorme Bedeutung hat, wird von den Übeltätern selbst völlig ausgeblendet." Deshalb konstatiert er in der Berichterstattung ein "mysteriöses schwarzes Loch".

Für den Journalistikprofessor und Medienkritiker Jay Rosen stellt sich die Frage noch grundsätzlicher: "Offenlegung ist eine gute Sache, auch ich bin dafür. Aber warum sind solche Leute überhaupt im Fernsehen? Sie haben feststehende Ansichten und können die öffentliche Meinung jederzeit zu jedem Thema manipulieren."

Auf den Punkt gebracht hat diese Kritik der Exmoderator Aaron Brown. Als wir beim Präsidentschaftswahlkampf 2008 die Meuten von Analysten und Beobachter sahen, die sich in den Studios der Kabelsender drängten, ohne dass sie etwas Wesentliches zu sagen hatten, meinte er lakonisch: "Wir leben in einer Zeit, in der es keinen Mangel an Meinungen, aber ein unglaubliches Defizit an Fakten gibt."

Aus dem Amerikanischen von Herwig Engelmann

Fußnoten:
(1) Ein weiterer Skandal bei CNN wurde im Oktober 2009 von dem Blogger Greg Sargent aufgedeckt: Der Experte Alex Castellanos, der bei CNN regelmäßig zu Wort kam, war am Entwurf einer Anzeigenkampagne von AHIP beteiligt. Bei seinen gleichzeitigen Fernsehauftritten, bei denen sich Castellano über die Gesundheitsreform äußerte, stellte ihn CNN lediglich als Vordenker der Republikaner vor, ohne auf seine AHIP-Connection hinzuweisen.
(2) Janine Wendel, "Shadow Elite: How the World's New Power Brokers Undermine Democracy, Government, and the Free Market", New York (Basic Books) 2009.
(3) Zu ihnen gehörten Kelly Bingel (Mitarbeiter bei AHIP und Teilhaber an der PR-Agentur Mehlmann Vogel Castagnetti) und Rich Masters (Geschäftsführer des Mehlmann-Konkurrenten Qorvis Communications, der auch für den Branchenverband der pharmazeutischen Industrie PhRMA arbeitet).
(4) Jeff Cohen, "Cable News Confidential. My Misadventures in Corporate Media", Sausalito 2006.
(5) Beide Sender stützen sich auf Richtlinien, die McCormick mitentwickelt hat. Nur der Wirtschaftssender CNBC muss den strengeren Bestimmungen der US-Börsenaufsicht SEC genügen.

Sebastian Jones ist Journalist in Brooklyn. Er schreibt für "The Nation, Pro Publica, "Harper's und "American Prospect.

Le Monde diplomatique Nr. 9264 vom 13.8.2010, Seite 16-17, 614 Dokumentation, Sebastian Jones

LeMonde: Juristen sind die Größten

In den USA gibt es eine heimlich herrschende Klasse

von Alan Audi

Noch heute gilt, was Alexis de Tocqueville vor 170 Jahren in seiner berühmten Studie über die amerikanische Demokratie schrieb: "In Amerika … stellen die Juristen die überlegene politische Klasse … dar."1 Präsident Obama, der bis 2004 Verfassungsrecht an der Universität von Chicago lehrte, ist von lauter Juristen umgeben: Vizepräsident Joseph Biden, Außenministerin Hillary Clinton, Heimatschutzministerin Janet Napolitano, Justizminister Eric Holder, Umweltminister Ken Salazar, den Präsidentenberatern Valerie Jarrett und Cass Sunstein sowie dem CIA-Chef Leon Panetta. Neue Mitarbeiter sucht Obama zuerst im Umfeld der Harvard Law School. Abgesehen von der Regierungsmannschaft sind 59 Prozent der Senatsmitglieder und 40 Prozent der Kongressabgeordneten gelernte Juristen.2

Doch im Gegensatz zu den Zeiten, als Tocqueville Neuengland bereiste, genießen Juristen und insbesondere Anwälte in der amerikanischen Öffentlichkeit heutzutage keinen besonders guten Ruf. Der gängige Vorwurf lautet, dass die Angst vor einem möglichen Prozess und die Notwendigkeit, sich gegen alle erdenklichen Risiken abzusichern, das Land lähmten. Manche Berufszweige sind besonders gefährdet: So kann ein einziger Kläger, wenn er es darauf anlegt, einen Arzt in den Ruin treiben. Das erklärt unter anderem die exorbitanten Honorare für operative Eingriffe.

In seinem jüngsten Buch schildert der New Yorker Anwalt und Bürgerrechtler Philip Howard den Fall einer Fünfjährigen, die im Kindergarten einen Tobsuchtsanfall bekam. Die Kleine warf mit Büchern und Stiften um sich und riss die Tapete in Fetzen. Aber die Erzieher trauten sich nicht einzuschreiten, weil man ihnen später hätte vorwerfen können, sie seien gegen das Kind handgreiflich geworden. Schließlich wurde die Polizei gerufen und das Mädchen in Handschellen abgeführt.(3 )

Eher Priester denn Gelehrter

Das angelsächsische Common Law basiert auf Präzedenzfällen.4 Das verschafft Juristen und Anwälten eine gesellschaftlich wichtige Rolle. Tocqueville stellte zu Recht fest: "Unsere geschriebenen Gesetze sind zwar oft schwer zu verstehen, aber jeder kann sie lesen; es gibt dagegen nichts, was für das Volk unverständlicher und schwerer zugänglich ist als ein Recht, das auf Präzedenzfällen aufbaut. Dieser Bedarf an Juristen in England und Amerika, diese hohe Vorstellung von ihrer Einsicht trennen sie mehr und mehr vom Volke und lassen sie schließlich zu einer besonderen Klasse werden. Der französische Jurist ist nur ein Gelehrter; der englische und amerikanische Jurist gleicht dagegen gewissermaßen den Priestern Ägyptens; wie diese ist er der einzige Deuter einer Geheimwissenschaft."

Den Zugang zu dieser "besonderen Klasse" erlangt man über eine der juristischen Fakultäten (Law Schools), an denen die Studierenden hauptsächlich Präzedenzfälle analysieren. Zugangsvoraussetzung für fast alle Law Schools in den USA ist ein vierjähriges Universitätsstudium. Nach einem dreijährigen Jurastudium schließen die Studierenden mit einem juris doctor ab. Damit können sie sich sofort in jedem US-Bundesstaat um eine Anwaltszulassung bewerben. Die besten Absolventen der besten Universitäten - Yale, Harvard, Stanford und Columbia - versuchen allerdings nach dem Studium noch ein oder zwei Jahre Berufserfahrungen am Gericht zu sammeln. Das erhöht auf jeden Fall ihre Karrierechancen in einer der großen Kanzleien oder in der Politik.

Doch viele können sich diese verhältnismäßig lange Ausbildungszeit von vornherein nicht leisten. Ungefähr ein Drittel der Studierenden hat nach sieben Jahren Ausbildung mehr als 120 000 Dollar Schulden angehäuft.(5) Deshalb suchen die meisten nach dem Abschluss eine lukrative Stelle in einer großen Kanzlei, wo Berufsanfänger(6) oft das Drei- oder Vierfache von dem verdienen, was sie im öffentlichen Dienst(7 )bekämen.

Anders als in Europa, wo einzelne, selbstständige Anwälte auch schwierige Fälle übernehmen, würde in den USA kein Jurist auch nur im Traum daran denken, sich ohne den Rückhalt einer angesehenen Großkanzlei (solche Büros beschäftigen zwischen 200 bis 1 000 Juristen) allein durchzuschlagen. Die erfolgreichsten Anwälte haben sich in diesem System ihre Sporen verdient. Spitzenverdiener sind die Wirtschaftsanwälte, die im Durchschnitt über ein Jahreseinkommen von einer Million Dollar verfügen.

Wer eine Karriere in der Politik anstrebt, wird zunächst einmal Staatsanwalt (prosecutor). Sowohl Rudolph Giuliani, der frühere Bürgermeister von New York, als auch John Kerry, demokratischer Herausforderer von George Bush bei den Präsidentschaftswahlen 2004 und seit 1985 Senator von Massachusetts, nutzten ihre Zeit als Staatsanwalt, um sich einer konservativen Wählerschaft als Hardliner anzudienen (was allerdings im Fall Kerry gründlich danebenging). Fernsehserien wie "Law and Order" unterstützen dieses Image. Aber auch auf echten Pressekonferenzen trumpfen Staatsanwälte - unter dem Applaus der Boulevardpresse - gern auf. Dabei erringen sie ihre Erfolge meistens nur auf Kosten der vom Gericht bestellten Pflichtverteidiger, deren Einsatz für bedürftige Klienten ihnen alle weiteren Karrierechancen verbaut.

Unumgänglich für das Verständnis des Anwalts in der amerikanischen Politik ist der Spezialberuf des trial attorney, des Prozessanwalts, der dem britischen barrister entspricht. In der Praxis gehören die Trial Attorneys heute zu einer relativ kleinen Gruppe von Anwälten, die vor allem auf Zivilrechtsprozesse gegen Unternehmen spezialisiert sind. Sie vertreten Fälle, die den Verbraucherschutz betreffen, die Haftbarmachung von Unternehmen oder Behandlungsfehler von Ärzten oder Krankenhäusern. Oft vertritt der Prozessanwalt in Sammelklagen (class actions) eine große Zahl von Klägern.

Der frühere demokratische Präsidentschaftskandidat John Edwards ist ein typischer Trial Attorney. So erstaunlich es auch klingen mag, in den USA wird es offenbar nicht als Widerspruch empfunden und schadet dem Image eines Politikers auch nicht, wenn er ausgerechnet als Anwalt der Schwachen etliche Millionen Dollar verdient hat. Das hängt mit folgendem Sachverhalt zusammen: Über den Schadensersatz hinaus wird die Kompensation für den sogenannten punitive damage fällig. Dessen Streitwert, den in der Regel ein Geschworenengericht festsetzt, kann in die Millionen gehen. Deshalb verzichten die Anwälte von Klägergemeinschaften meistens von vornherein auf ein festes Honorar und arbeiten lieber für eine Erfolgsbeteiligung, die in der Regel ein Drittel des Streitwerts ausmacht.

Republikanische Politiker, Versicherungsgesellschaften und Unternehmer laufen regelmäßig Sturm gegen die von den Demokraten verteidigte Institution der Sammelklage. Nicht zufällig gingen vor der letzten Präsidentschaftswahl 96 Prozent der Spendengelder aus den Reihen der ehemaligen Association of Trial Lawyers of America (heute: Association for Justice) an Kandidaten der Demokratischen Partei.(8 )

Mit der Wahlkampffinanzierung durch private Spenden eröffnen sich für die Trial Attorneys interessante Perspektiven. So hatte zum Beispiel eine Gemeinde in Massachusetts eine Sammelklage mit zwölf Klägern angestrengt, nachdem der öffentliche Pensionsfonds aufgrund der Finanzkrise in Geldnot geraten war. Die Gemeinde wurde von einer Kanzlei vertreten, deren Anwälte den Wahlkampf des lokalen Finanzsekretärs mit 68 Einzelspenden unterstützt hatten.(9) Ein unspektakulärer Fall, der aber den Befund des prominenten Kommentators Michael Kinsley perfekt illustriert: Der eigentliche Skandal in Washington besteht nicht in den Rechtsbrüchen, sondern in der Gesetzgebung selbst.

Auch bei der Richterbestellung gibt es eine amerikanische Besonderheit: In 23 Bundesstaaten werden die Richter unmittelbar vom Volk gewählt. Das Gleiche gilt für Staatsanwälte. So brüstete sich ein Kandidat einmal in einem Fernsehspot vor den Porträts von Hingerichteten mit der Anzahl der Todesurteile, die auf sein Plädoyer hin vollzogen worden waren.

Schon Tocqueville war die Richterwahl unheimlich, die damals in einigen Bundesstaaten gerade eingeführt worden war: "Ich wage vorauszusagen, dass diese Neuerungen früher oder später verderbliche Folgen zeitigen werden und dass man eines Tages bemerken wird, dass die Beschneidung der richterlichen Unabhängigkeit nicht nur die richterliche Gewalt, sondern die demokratische Republik selbst infrage stellt."

Bezeichnend ist der Fall des Richters Brent Benjamin, der John Grisham zu seinem Thriller "The Appeal" (auf Deutsch: "Die Berufung") inspirierte: Der damalige Vorsitzende des Supreme Courts von West Virginia hatte es nicht für nötig gehalten, sich aus einem Prozess gegen den Bergbaukonzern Massey Energy herauszuhalten, von dem er 2004 Wahlkampfspenden erhalten hatte. Auf Antrag des Klägers Hugh Caperton beschäftigte sich schließlich der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten mit dem Fall und entschied im Juni 2009, dass sich Benjamin falsch verhalten hat - allerdings mit der Begründung, dass die Einzelspende des Massey-Chefs Don Blankenship (3 Millionen Dollar) um ein Vielfaches höher gewesen sei als die Summe aller anderen Spender zusammen. Nach Ansicht der hohen Richter hätte es bei einer niedrigeren oder diskreteren Zuwendung also womöglich an einem solchen Verhältnis zwischen einem Richter und einer Prozesspartei nichts auszusetzen gegeben.

Fußnoten:
(1) Alexis de Tocqueville, "Über die Demokratie in Amerika", Stuttgart (Reclam) 1985. Alle Zitate auf S. 167 ff.
(2) "110th Congress Lawyer-Legislators: U.S. House of Representatives", www.abanet.org.
(3) Philip K. Howard, "Life Without Lawyers: Liberating Americans from Too Much Law", New York (Norton) 2009. 2002 gründete er das überparteiliche Onlineportal newtalk.org.
(4) Indem der Richter das Gesetz interpretiert, schafft er einen Präzedenzfall, der bei späteren Prozessen als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden kann.
(5) American Bar Association, "Lifting the Burden: The Law Student Debt as a Barrier to Public Service", Chicago 2003.
(6) Association for Legal Career Professionals, "New Findings on Salaries for Public Interest Attorneys", Nalp Bulletin, Washington, September 2008.
(7) Diesen Weg wählten in den 1970er Jahren hunderte junge Anwälte, die sich Ralph Naders Kampagne für den Verbraucherschutz anschlossen. Und natürlich entscheiden sich trotz aller Schwierigkeiten auch heute noch viele junge Juristen aus Überzeugung für die Arbeit des Pflichtverteidigers.
(8) American Association for Justice, www.opensecrets.org.
(9) Mark Maremont, Tom McGinty und Nathan Koppel, "Trial Lawyers Contribute, Shareholder Suits Follow", "The Wall Street Journal, New York, 3. Februar 2010.
Aus dem Französischen von Herwig Engelmann
Alan Audi ist Anwalt in New York.

Le Monde diplomatique Nr. 9264 vom 13.8.2010, 300 Zeilen, Alan Audi

Mittwoch, 18. August 2010

Detailierter Bericht von Francois Jozic zur Schließung der NOA Bank durch die BaFin

Am 24. Juni 2010, saß ich gerade in meinem Büro, um das Treffen mit der BaFin, welches ich seit zwei Wochen geplant hatte, vorzubereiten. Der Grund für dieses Treffen, war die Finanzaufsicht auf den neuesten Stand mit den aktuellen Entwicklungen der Bank zu bringen.

Grundsätzlich hatte ich vor, die gegenwärtigen Verhandlungen und Maßnahmen zu erklären, die ich seit Mai unternommen habe um das Eigenkapital der Bank zu erhöhen. Wie ich es bereits mehrere Male in der Presse und auch meinem Blog bekannt gegeben habe, hält die Bank Ausschau nach einer Kapitalerhöhung von 10 Mio. € zum Jahresende, um ihre Mission in der Vergabe neuer Kredite einhalten zu können.

Tatsächlich habe ich der BaFin, bei unserem letzten Gespräch in der ersten Maiwoche, versprochen, sie regelmäßig über meine unterschiedlichen Maßnahmen zu informieren. Und das alles in dem Bewusstsein, dass diese Maßnahmen noch einige Monate benötigen.

Ich hatte gute Neuigkeiten: Eine Vereinbarung wurde mit einer Gruppe Investoren getroffen, welche 5 Mio. € in die Bank einbringen würden. Natürlich nach dem Abschluss einer „due diligence“ und zusätzlichen Verhandlungen über die Details. Dies wird noch einige Wochen Zeit benötigen. Zudem liefen andere Gespräche auch sehr positiv.

Das zweite wichtige Element war es, gegenüber der BaFin zum Monatsende klarzustellen, dass die Bank sich dazu entschieden hat auch kein Festgeld mehr anzunehmen. Wir wollten diesen Schritt gehen, da die Einlagen immer noch stetig anwuchsen und wir kurz davor standen 300 Mio. € zu erreichen. Dies sahen wir als das Maximum an.

Aber meine Konzentration wurde von unserem internen Anwalt, der mein Büro mit einem Fax von der BaFin in der Hand betrat, gestört. Es war 10.34 und das Fax erst kurz vorher bei uns eingegangen.

Die BaFin hatte an diesem Morgen formal entschieden, dass die Bank keine Einlagen mehr annehmen und auch keine Kredite mehr vergeben darf. Diese Entscheidung wurde durch ein Fax bekanntgegeben und von einem Einsatz, exakt 5 Minuten später, untermauert.
Drei Beamte der Bundesbank betraten energisch die Bank. Eine Kopie des Faxes, hielten sie in ihren Händen und machten allen Angestellten sofort und unmissverständlich klar, dass es ab sofort verboten sei, Einlagen zu vergeben und Kredite anzunehmen.

Zu diesem Zeitpunkt ist es wichtig die Begründung der BaFin zu verstehen. Sie besteht wesentlich aus 4 Argumenten:

1. Die BaFin vertritt die Auffassung, dass durch die Verluste, die die Bank im Jahr 2009 gemacht hat, zukünftige Schwierigkeiten für die Bank entstehen könnten. Diese Auffassung wird verstärkt durch die Tatsache, dass die Bank mit dem minimal erforderlichen Eigenkapital geführt wird.

Die Fakten sind richtig, aber die BaFin berücksichtigt nicht, dass:
- die Verluste der Bank zu 80 % auf den vorherigen Eigentümer zurückzuführen waren und auch von ihm getragen wurden
- die Bank tatsächlich in den ersten vier Monaten des Jahres 2010 einen Verlust hatte, aber einen Profit im Mai 2010 gemacht hat. Dies zeigt einen deutlich positiven Trend
- die Verluste durch Eigenkapital aufgefangen oder vergleichbar durch die Eigentümer ausgeglichen wurden

2. Um zukünftige potentielle Probleme zu vermeiden, hat die BaFin das Recht Ausnahmeregelungen auf die Berechnung des Eigenkapitals anzuwenden.

Wenn diese Ausnahmeregelungen angewendet werden, würde die noa bank unter der Eigenkapitalquote von 8 % liegen. Deshalb sieht die BaFin das Risiko, dass die Bank ihre Eigenkapitalquote nicht erfüllen kann.

Dabei ist es wichtig zu beachten, dass die BaFin diese Ausnahmeregelung zur Anwendung bringen kann, sie ist dazu nicht gezwungen.

Wie auch immer, die BaFin hat sich dazu entschieden, dies zur Anwendung kommen zu lassen. Dies führt dazu, dass die Eigenkapitalquote der Bank unter der 8 % Quote liegt.

Genauer gesagt, die BaFin hat die Bank dazu aufgefordert ihr Eigenkapital innerhalb von zwei Wochen um zwei Mio. € anzuheben.

Wie bereits gesagt, beschwere ich mich gar nicht über das Prinzip einer Eigenkapitalerhöhung. Meine Beunruhigung beruht auf dem Timing und den Hintergründen dieser Dringlichkeit.

3. Die BaFin ist der Auffassung, dass die noa bank ihr Geschäftsmodell verändert hat.

Das Argument scheint komisch zu klingen, aber die BaFin ist der Meinung dass das Geschäftsmodell das ihnen im Frühjahr 2009 präsentiert wurde, von dem Geschäftsmodell, welches sie im November 2009 zu sehen bekamen, absolut verschieden sei.

Im März 2009 wurde der BaFin das Geschäftsmodell von noa vorgestellt. Es wurde klargestellt, dass wir kleine und mittelständische Unternehmen durch verschiedene Produkte unterstützen und zudem Giro-, Tages- und Festgeldkonten anbieten.

Was zu diesem Zeitpunkt noch nicht präsentiert wurde, war die Durchführung unserer Strategie: Unser Ansatz für das Marketing, die Nutzung von „Social Media“ und die vier Themenbereiche. Dass noa bank ein solcher Erfolg werden würde, wussten wir vorher nicht!

4. Dies ist eine Formsache, aber die BaFin denkt, dass wir Teil einer Gruppe sind. Deswegen sollte bei der Beurteilung der Solvabilität von noa nicht nur die Bank alleine, sondern die ganze Gruppe mit einbezogen werden. Das nennt man auch „Gruppenkonsolidierung“. Rechtlich ist dies korrekt, aber das wussten wir nicht. Zudem führt diese Konsolidierung zu einer noch restriktiveren Betrachtung unserer Eigenkapitalquote. Sofort am 24. Juni, schlug ich eine neue Struktur vor, um das Problem der Konsolidierung zu beheben und eine viel bessere Situation für die Bank zu schaffen. Diese Lösung wird bis jetzt ignoriert.

Am Ende ist das wesentliche Element der BaFin Entscheidung, zwei Millionen € Eigenkapital zu finden. Und das schnell.

2 Mio. € in ein paar Wochen aufzutreiben ist keine einfache Aufgabe. Es war tatsächlich eine der schwierigsten Herausforderungen in meinem Leben.

Man braucht dazu Zeit, Energie, Kontakte und die richtige Argumentationslinie, damit Investoren einen solchen Betrag in einer solch kurzen Zeit aufbringen.

Nach zwei Wochen voller schlafloser Nächte, Stunden des Erklärens und Verhandelns, konnte ich eine Einigung mit einem Investor erzielen. Gegenwärtig finalisieren wir die Vereinbarung und bereiten die Kapitalerhöhung vor. Das frische Kapital wird die Bank in der kommenden Woche, am 26. Juli, erhalten.

Die Bundesbank und die BaFin wollten, dass wir die Bank verkleinern, durch die Senkung der Zinsen. Diesem Wunsch haben wir nachgegeben und haben die Zinsen auf unsere Tagesgeldkonten von 2,2 % auf 1,5 % gesenkt. Dadurch konnten wir zwei Ziele erreichen:

1. Wir sendeten ein klares Signal an die Behörden, dass die Bank bereit dazu ist, sich langsamer weiterzuentwickeln

2. Wir erhöhten unsere Profitabilität wesentlich, da die BaFin besorgt war, dass wir in der Zukunft weitere Verluste machen könnten

Überzeugt davon, dass wir die von den Behörden erwarteten und kurzfristigen Maßnahmen getroffen hatten und zudem noch die Kapitalerhöhung weiter voran trieben, hatte Herr Brenig, unser neuer Marktfolge Vorstand, ein Treffen mit der BaFin um unsere neuen Planungen vorzustellen.

Das Treffen war für den letzten Donnerstag, den 15. Juli 2010 um 10 Uhr morgens angesetzt.

Herr Brenig ist ein sehr erfahrener Banker. Er trat uns zum 1. Juli 2010, inmitten des Sturms, bei. Ich muss zugeben, dass ich von seiner starken Persönlichkeit, seiner Professionalität und seiner Gelassenheit sehr beeindruckt bin. Er ist realistisch und hat einen sehr pragmatischen Ansatz übernommen, um die gegenwärtige Situation zu überwinden.

Deswegen nahm er den Weg zu seinem Treffen mit den Aufsichtsbehörden, mit einigem Selbstvertrauen auf.

Zwei Stunden später sah ich einen besorgten Mann mein Büro betreten.

Seinen Aussagen nach hatten ihm die Behörden, bei der Erklärung der gegenwärtigen Maßnahmen, kaum zugehört. Ihnen war eine Kapitalerhöhung von zwei Mio. € nicht genug und sie verlangten weit mehr Kapital. 10 bis 15 Mio. € müssten die Eigentümer bis Ende des Monats bringen.

Natürlich musste Herr Brenig zwischen den Zeilen lesen und das, was er mir mitteilte, wurde zudem noch durch seine eigene Interpretation gefiltert.

Aber was ist der Punkt? Ein Missverständnis zwischen den Aufsichtsbehörden und der Geschäftsführung der Bank? Wenn nicht bezüglich der Summe der Kapitalerhöhung, dann vielleicht bezüglich des Timings? Oder haben wir hier ein verrücktes Szenario, bei dem die Aufsichtsbehörden von jetzt an von der noa bank verlangen, eine Eigenkapitalquote von 30 % zu haben?

Warum wenden die Aufsichtsbehörden auf noa viel striktere Regeln als auf jede andere Bank an?

Sind hier etwa dunkle Mächte am Werk? Die Personen bei der BaFin, die für unseren Fall verantwortlich sind, welchen ich persönlich sehr dankbar bin für alles, was sie während dem Start von noa für die Bank getan haben, haben mehrere Male einige obskure Dinge erwähnt:

- anonyme Briefe
- anonyme Anrufe
- Druck von oben

Das Ziel für das Manöver ist immer das Gleiche: mich persönlich und das Geschäftsmodell der Bank zu diskreditieren.

Und diesmal funktionierte das Manöver. Am 5. Juli begann der Prüfungsverband Deutscher Banken seine jährliche Prüfung. Es wird noch vier Wochen dauern und ich hoffe, dass sie die Bank fair beurteilen werden.

Das ist gegenwärtig die einzige Sache, um die ich bitte: eine faire Behandlung für die noa bank.

- keine strikteren Regeln als bei anderen Banken
- eine faire Interpretation bei Anwendung der Gesetze
- einen angemessenen Aufschub, um Lösungen zu bringen oder Belange zu klären

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Es geht nicht darum die Bank selbst zu fördern, aber um noas Vision, eine Idee. Die Idee einer Welt, beherrscht von der finanziellen Demokratie. Wir, die Bürger, sollten entscheiden, was mit unserem Geld geschieht und nicht die großen Finanzinstitutionen.

Ich bin zuversichtlich, dass wir diesen Traum zusammen fortbestehen lassen können.

Letztlich, möchte ich noch ein Wort an die Kunden der noa bank richten: Am 25. Juni musste die noa bankbekannt geben, keine weiteren Einlagen mehr anzunehmen. Es war mit der BaFin „abgestimmt“, falls ich das sagen darf, dass die Gründe für die Entscheidung vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollen und das im absoluten Gegensatz zu unserem Prinzip der Transparenz.

Konkret heißt das: Wir mussten gegen unsere AGB verstoßen, mit absoluter Missachtung unserer Kunden. Ich entschuldige mich dafür persönlich, im Namen der Bank, Ihnen allen gegenüber.

Mir tut es noch viel mehr leid für diejenigen, die einen Kredit von noa vor dem 24. Juni gewährt bekommen haben. Denn seit diesem Tage, darf die Bank keine weiteren Kredite mehr vergeben.

Ich habe diesen Blog-Eintrag mit vielen Menschen um mich herum geteilt. Alle die aus dem Bankensektor kommen, sagten mir, dass ich ihn niemals veröffentlichen solle. Ihr Argument: man kämpft nicht mit den Behörden - in jedem Fall wirst du diesen Kampf verlieren. Ich habe aber die Hoffnung, dass die öffentliche Aufforderung nach einer fairen Behandlung in diesem Land kein Verbrechen ist. Ich habe die Hoffnung, dass ich in einer Demokratie wie der in Deutschland, das Recht habe, über meine Sichtweise und meine Ängste zu sprechen ohne dadurch noch schlechter behandelt zu werden.

Ich bin ein Idealist und hoffe, dass es immer noch Platz für Menschen wie mich gibt.

Danke für Ihre Unterstützung und bitte unterschreiben sie unsere Petition auf: www.anderebank.de

Beste Grüße
Ihr Francois Jozic

FR: EU-Umgang mit Personaldaten

EU-Umgang mit Personaldaten

"Haben Sie Hämorrhoiden?"

Wie ist der Name ihres Psychiaters? Wann hatten Sie ihre letzte Regelblutung? Das EU-Parlament interessiert sich nach FR-Informationen peinlich genau für den Gesundheitszustand der Assistenten seiner Abgeordneten. Von Thorsten Knuf

Während die EU-Verfassung Menschenrechte und Datenschutz garantiert, geht es im EU-Parlament in Sachen Personaldaten abenteuerlich zu.
Während die "EU-Verfassung" Menschenrechte und Datenschutz garantiert, geht es im EU-Parlament in Sachen Personaldaten abenteuerlich zu.
Foto: dpa

Brüssel. In der Debatte über Datenschutz für Arbeitnehmer gerät nun auch das Europäische Parlament in Erklärungsnot. Nach Informationen der FR lässt die Verwaltung neuerdings detaillierte Dossiers über den Gesundheitszustand der rund 1500 Parlaments-Assistenten erstellen. Die Abgeordnete Cornelia Ernst (Linke) sagt: "Der Umfang der erfassten, hochsensiblen Daten ist weder erforderlich noch verhältnismäßig."

Bei den Assistenten handelt es sich meistens um junge Hochschulabsolventen, die für begrenzte Zeit an der Seite eines Volksvertreters arbeiten.

Wie ein Sprecher des EU-Parlaments gestern auf Anfrage bestätigte, müssen sich inzwischen alle Assistenten vor ihrer Anstellung einer standardisierten Pflichtuntersuchung unterziehen. "Wer hier einen Vertrag unterzeichnet, der wird einmal gecheckt. Das ist das gleiche Prozedere wie bei Beamten."

Äußerst intime Fragen

Der Vorgang selbst und der Umfang der erhobenen Daten haben es allerdings in sich: Selbst Assistenten, die nur einen Ein-Jahres-Vertrag erhalten, müssen Blut- und Urinproben abgeben sowie eine Röntgenuntersuchung und EKG über sich ergehen lassen. Der Arzt arbeitet dann noch ein Formular ab, das äußerst intime Fragen enthält. Diese stehen zum Teil in keinerlei Zusammenhang zur künftigen Tätigkeit.

So soll der Assistent etwa mitteilen, ob er an einer oder mehreren von knapp 40 aufgeführten Krankheiten leidet - inklusive Hämorrhoiden und Hautproblemen. Doch auch die Angehörigen des künftigen Mitarbeiters sind von Interesse. Der Arzt will im Auftrag der Verwaltung wissen, ob Verwandte beispielsweise hohen Blutdruck, Krebs oder Geisteskrankheiten haben.

Eine weitere Frage an den Mitarbeiter lautet: "Haben Sie jemals einen Neurologen, Psychiater, Psychoanalytiker oder Psychotherapeuten aufgesucht?" Falls ja, soll der Arbeitnehmer den Grund dafür nennen und den Namen sowie die Adresse des Spezialisten angeben. Weitere Fragen betreffen die Entwicklung des Körpergewichts in den vergangenen drei Jahren sowie den Alkohol- und Tabakkonsum. Frauen sollen Auskunft über das Datum ihrer letzten Regelblutung geben.

Hintergrund der behördlichen Neugierde ist das sogenannte Assistenten-Statut. Es trat im Sommer mit Beginn der Legislaturperiode im EU-Parlament in Kraft. In der Vergangenheit waren die Mitarbeiter direkt bei den Abgeordneten beschäftigt. Inzwischen sind sie dem Parlament zugeordnet, was ihre soziale Absicherung verbessern soll.

Die Europa-Abgeordnete Ernst kritisiert diese Praxis: "Unter dem Deckmantel der gesundheitlichen Vorsorge sammelt die EU-Verwaltung Datenberge mit hochsensiblen Informationen über ihre Angestellten." Dies sei "ein Einfallstor für Diskriminierung".

Ähnlich hatte sich 2008 der europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx geäußert. Er hält die Untersuchung für problematisch und fordert, diverse Fragen ganz zu streichen. Notwendig seien überdies klare Regeln zur Löschung der Daten.

HB: David Rockefeller im Interview: „Ich glaube, dass die Banker ihre Lektion gelernt haben“

David Rockefeller im Interview: „Ich glaube, dass die Banker ihre Lektion gelernt haben“

Mit seinen 95 Jahren hat David Rockefeller schon einige Krisen miterlebt, auch die Große Depression. Im Handelsblatt-Interview erklärt der frühere Chef der Chase Manhattan Bank, was sich bei den Banken schon verbessert hat, aber warum sich neue Krisen nicht verhindern lassen.

David Rockefeller, in den 70er-Jahren einer der einflussreichsten Bankiers der Welt. Quelle: PressebildLupe

David Rockefeller, in den 70er-Jahren einer der einflussreichsten Bankiers der Welt. Quelle: Pressebild

Handelsblatt: Herr Rockefeller, sie sind 95 Jahre alt, haben kleine und große Finanzkrisen erlebt. Welche war die Schlimmste?

David Rockefeller: Aus heutiger Sicht die Große Depression der 1930er-Jahre. Sie hatte die größten Auswirkungen auf Europa und die USA. Niemals zuvor gab es mehr Arbeitslose. Viel schlimmer aber noch war der Vertrauensverlust in die Demokratie, zu dem die Existenznot der Menschen geführt hat. Demagogen wie Hitler hatten leichtes Spiel, sich Gehör zu verschaffen und ihre radikalen Lösungsvorschläge zu propagieren. Ich sage ganz bewusst aus heutiger Sicht, denn ich bin nicht sicher, ob die aktuelle Krise bereits ausgestanden ist.

Bei der Aufarbeitung von Krisen wird auch über Schuld gesprochen. Waren die Banker Schuld an der jüngsten Finanzkrise?

Sie haben eine Schlüsselrolle gespielt, gewiss. Die laxe Kreditvergabe, dazu die exotischen Finanzprodukte, die sie ihren Kunden verkauft haben. Beides sind Ursachen für den Ausbruch der Finanzkrise.

Aber?

Die Banker sind nicht allein verantwortlich; sie hatten Helfer: Politiker, Hypotheken-Makler, die US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Auf dem Höhepunkt des Hypotheken-Booms war der Glaube an den unregulierten, freien Markt in den USA beängstigend stark. Dieser Glaube hat den meisten Menschen ihren kritischen Blick auf die Realität verstellt. So etwas passiert immer wieder, wie uns die Geschichte lehrt. Die Tulpenmanie im 17. Jahrhundert ist das bekannteste historische Beispiel für die maßlose Übertreibung der Märkte. Die aktuelle Krise wird vermutlich nicht die letzte gewesen sein. Es wird wieder passieren.

Hätte die Krise verhindert werden können?

Die Wurzeln der Krise liegen tief. Ich glaube nicht, dass sie völlig hätte vermieden werden können. Möglicherweise abgeschwächt.

Und wie?

Die Fed hätte rechtzeitig – Ende 2007, Anfang 2008 – die Zinsen anheben oder zumindest so tun können, als würde man eine Anhebung erwägen. Das hätte das Volumen der Ramsch-Kredite reduziert. Aber sie hat es nicht getan – und jetzt müssen wir alle mit den Auswirkungen leben.

Die US-Regierung will die Finanzbranche nun strenger regulieren. Streng genug?

Es ist keine Frage von strengerer, sondern wirksamerer Regulierung. In den letzten 20 Jahren sind die Kontrollmechanismen immer wieder geschwächt worden. Neue Märkte, insbesondere der für Derivate wurden überhaupt nicht kontrolliert. Die Finanzreform der Regierung geht in die richtige Richtung. Außerdem glaube ich, dass die Banker ihre Lektion gelernt haben.

Aber dann gäbe es doch keine Krisen mehr …

Sagen wir so: Sie werden vermutlich nicht mehr die gleichen Fehler machen.

Das Rockefeller-Center in New York. Quelle: ReutersLupe

Das Rockefeller-Center in New York. Quelle: Reuters

Würden Sie sagen, die Finanzbranche war früher moralischer als heute?

Ich weiß es nicht. Das ist eine sehr subjektive Frage, und ich bin nicht sicher, ob Moral etwas damit zu tun hat.

Hat sich denn die Arbeit der Banken in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Die Finanzwelt heute ist unendlich komplexer, als sie das zu meiner Zeit damals bei Chase Manhattan war. Computer, das Internet, alles ist schneller geworden. Wegen der Globalisierung ist die Nachfrage nach Krediten in der Welt viel größer als noch vor 30 Jahren und das Risikomanagement schwieriger.

In Ihrer Biografie beschreiben Sie die „Chase-Kultur“, die Kultur der früheren Chase Manhattan Bank. Gibt es so etwas überhaupt noch?

Ich glaube, dass jede Organisation eine eigene Kultur hat, die sich im Laufe der Zeit entwickelt. Allerdings braucht es eine Weile. JP Morgan Chase beispielsweise ist das Ergebnis mehrerer bedeutender Fusionen und Übernahmen. Die aktuelle Führung hat die nicht ganz einfache Aufgabe, Angestellte mit völlig unterschiedlichen Hintergründen und Qualifikationen zusammen zu bringen. Ich denke, eine „neue Kultur“ entwickelt sich gerade.

Sie hatten als Bankchef Kontakt mit den Führern autoritärer Systeme und sollen einmal gesagt haben, dass Handel Russland und die USA am ehesten näher zusammenbringen konnte. Macht Globalisierung die Welt besser?

Ich kann mich nicht erinnern, das je gesagt zu haben. Tatsächlich haben die USA auch gar nicht so viel mit der Sowjetunion gehandelt, weil der Rubel nicht konvertierbar war. Nichtsdestotrotz haben die wirtschaftlichen Kontakte dazu beigetragen, Vorurteile in beiden Ländern abzubauen. Aber zurück zu Ihrer Frage: Die Globalisierung hat gute und schlechte Seiten; letztlich überwiegen die guten. Aber wir müssen daran arbeiten, die schlechten zu verringern, die Umweltverschmutzung etwa.

Sie waren 1973 der erste US-Banker, der die Volksrepublik China besuchte. Welche Rolle spielt das Land im 21. Jahrhundert?

Ich bin nicht sicher, dass dies das Jahrhundert der Chinesen wird, wie viele behaupten. China hat eine Menge fundamentaler Probleme zu bewältigen. Vor allem muss das Land, so wie Japan in den 1970er-Jahren, sich seiner politischen Verantwortung, die aus der wirtschaftlichen Macht erwächst, bewusst werden. Dass China künftig eine bedeutende ökonomische Rolle spielen wird, steht aber außer Zweifel.

Das Buchcover: "Erinnerungen eines Weltbankiers" Quelle: PressebildLupe

Das Buchcover: "Erinnerungen eines Weltbankiers" Quelle: Pressebild

Mit Ihrer Tochter Abby gab es Streit wegen ihrer Kapitalismus-Kritik. Inzwischen gibt es viele Menschen, die glauben, dass die freie Marktwirtschaft nicht funktioniert. Was sagen Sie?

George Soros hat richtigerweise gesagt, dass Märkte nicht unbedingt zu einem Gleichgewicht tendieren. Sie schlagen wild aus, in die eine wie in die andere Richtung, mit zum Teil verheerenden Folgen für die soziale Stabilität. Dennoch: Für mich hat Kapitalismus mit persönlicher Freiheit zu tun, dem freien Handel und mit Rechtssicherheit. Trotz aller Schwächen sehe ich keine Alternative, die besser wäre.

1976 erschien das Buch „The Rockefellers: An American Dynasty“ von Collier und Horowitz. Sie sagen, Ihre Familie sei darin verunglimpft worden. Haben Sie deshalb Ihre Memoiren geschrieben?

Ich habe meine Memoiren geschrieben, weil ich glaubte, eine interessante Geschichte erzählen zu können. Und ich glaubte, dass einige Leser sie mögen würden. Das Collier-Horowitz-Buch war nicht sonderlich schmeichelhaft für meine Familie – und es war voll mit sachlichen Fehlern. Wenn ich einige von diesen Fehlern korrigieren konnte, ist das ein Extra, mehr aber auch nicht.

Rockefeller weilt derzeit auf seinem Sommersitz. Das Interview wurde per E-Mail geführt.


Vita

Der Clan

Die Rockefellers gehören zu den bekanntesten und einflussreichsten Familien der jüngeren Weltgeschichte. Davids Vater ist der Milliardär John D. Rockefeller jun., sein Großvater der Ölmagnat John D. Rockefeller sen., einer der reichsten Unternehmer der Neuzeit.

Das Leben

David wurde am 12. Juni 1915 als letzter von fünf Brüdern in New York geboren. Er ist der bekannteste und der letzte, der noch lebt. Er galt in den 1970er-Jahren als einer der einflussreichsten Bankiers der Welt. Von 1960 bis 1981 führte er die Chase Manhattan Bank.

Die Autobiographie

Erst vor kurzem ist die Neuauflage seiner Autobiographie erschienen:
David Rockefeller
„Erinnerungen eines Weltbankiers“
Finanzbuch Verlag, München 2010
698 Seiten, 19,95 Euro. www.finanzbuchverlag.de



Kommentare (7)

  • 18.08. 14:13Spam melden
    [7] george.orwell

    @Hermann Bohle

    Das ist alles richtig, was Sie sagen, mbE jedoch mit einer Ausnahme:

    Ich glaube nicht, dass sich die herrschenden Machtstrukturen von "Wir sind das Volk"-Rufen und Demos beeindrucken lassen werden.

    Ein guter Freund von D. Rockefeller ist Zbigniew Brzezinski,der auch als Politwissenschaftler ein Totalitäres Gesellschaftsmodell entwickelt hat.

    Die Mächtigen dieser Welt fürchten nichts mehr als den Verlust ihrer Macht. Daher kämpfen sie stets um noch mehr Macht, was letztlich das Ende (pseudo)demokratischer Systeme bedeuten wird, sofern nicht ein Wunder geschieht.

  • 18.08. 13:53Spam melden
    [6] Hermann Bohle

    Die Schlussfolgerung aus Rockefellers Erkenntnissen ist einfach: Die kapitalistische Demokratie wird entweder reformiert, oder sie geht - dann unabwendbar - an sich selbst zugrunde. Dass Kaufleute, also auch Banker, sich gegen die Allgemeinheit "verschwören", wusste schon Adam Smith, der Urvater der Marktwirtschaft. Nur wird diese seine Einsicht als Moraltheologe, der er auch war, selten zitiert. Stattdessen "re"zitieren alle seinen enormen Irrtum, wonach die "unsichtbare Hand" des Marktes alles regele. Als die anderen Mitschuldigen an der jetzigen, zweiten Weltdepression made in USA nennt Rockefeller die Politiker, undzwar neben den Finanzmarktakteuren aller Kategorien. Banker und Börsenjobber haben die von der Politik veranstaltete, geduldete oder geplant herbeigeführte Regellosigkeit des Finanzmarktgeschehens missbraucht. Das alles - und es geschieht bereits wieder - unter drei Vorzeichen: 1. der Leichtfertigkeit der Finanzmärktler ... beim Umgang mit ihnen nicht gehörenden Geldern. Was für das Publikum als kühner, angeblich beispielhafter Risikomut geschönt wird; 2. Des Machtmissbrauchs ... die "Netzwerke" der Finanzmarktprofiteure reichen in alle wesentlichen Regierungsaktivitäten hinein (Englands Tony Blair hatte als Prime Minister von BP benannte, angeblich sogar bezahlte "Berater", in Berlin strick(t)e von der Wirtschaft entsandtes Personal ganze Gesetzentwürfe, die enge Verknüpfung zwischen Wall Street und Capitol/Weissem Haus ist geläufig). Solche Strukturen können dazu dienen, von Rockefeller verlangte, wirksame Kontrollen der Finanzmärkte und ihrer Matadore zu unterbinden. Das geschah und geschieht mit milliardenschwerem Lobbyistenaufwand; das dritte Vorzeichen des Missbrauchs politischer Beliebigkeit im Finanzmarktgeschehen sind (seit den von Jesus verjagten Geldwechselern) die Dreistigkeit und Schamlosigkeit der Akteure. Erst lassen sie sich mit Billionen aus den Steuertöpfen von den Staaten aushalten, weil sie - aber nur im jetzigen System - tatsächlich unentbehrlich sind, nun aber "sahnen sie wieder ab" (so das HB vor einigen Wochen zu den neuerlichen Bankgewinnen). Auch andere Gross- oder auch nur Gutverdiener bekommen keine roten Köpfe angesichts verbreiteter und wachsender Not im Land, ziemlich wenige fallen als Spender auf. Das kann kaum noch lange gut gehen. Auch Rockefeller weiss nicht, ob die jetzige Krise wirklich vorbei ist. Sollte die nächste kommen, weil weder das System wirklich reformiert, geschweige denn sein Personal ausgetauscht wurden, dann fehlen die Steuermilliarden zur nochmaligen Rettung. Dann werden in unseren Demokratien die Völker auf die Strasse gehen wie 1989 in Leipzig und im übrigen Ostdeutschland. Nicht nur der Kassen"s t u r z" ist dann fällig. "Wir sind das Volk" werden sie rufen und (z.B. in Deutschland) den Vollzug des Grundgesetzes verlangen: Denn längst ist die Menschenwürde (die "unantastbare") verletzt in einem Land, wo zigtausend Lehrer und Kitaplätze fehlen, 3 Mio. deutsche Kinder (18 Mio. in der EU) durch das Armutsgitter fallen, andere aber Millionen verdienen ... wo Millionen Lottogewinne an eine Person oder wenige verpulvert statt aufgeteilt zu werden auf mehrere Gewinner oder wo der Regionalverkehr der Bahn - völlig überteuert - verkommt, weil die Bahn jahrelang börsentüchtig gemacht werden sollte statt dem Publikum preiswert zu nutzen. Dazu war sie dermaleinst auf Volkes Kosten eingerichtet worden. Auch hier wie auf den Finanzmärkten hat die Politik abgedankt, der Wirtschaft das Feld überlassen. Schon nennt Prof. Sinn (ifo-München)das Primat, den Vorrang der Politik "naiv". Ein anderer versteigt sich zum Vergleich, das Gesetz der Wirtschaft habe Vorrang vor der Politik ("Flüsse fliessen auch nicht aufwärts). Dass auch nur der Verdacht entstehen konnte, die Strom"versorger" wollten die Regierung "bedrohen, erpressen" mit der eventuellen Schliessung von Kernkraftwerken, zeigt, wie Wirtschaftsmächte unseren demokratischen Staat in zum Nachtwächter entmachten wollen. Die Politik nahm das bisher hin (Rockefeller bestätigt es für die USA). Der anfängliche Reformeifer im Gedränge der Krise 2008 erlahmt schon wieder. Von Neuem werden Regierungen und vor allem Parlamente zu Komplizen ihr eigentlich untergeordneter Gesellschaftskräfte. Die kapitalistische Demokratie zerstört sich damit selbst. Nur "Sozial" funktioniert Marktwirtschaft besser als jedes andere Zweckinstrument zur Wohlstandsentwicklung. Anders verliert sie mit der nächsten Krise die Mehrheitsfähigkeit. Das wäre ansich bedauerlich, dann aber wohl doch vorzuziehen.

  • 18.08. 13:47Spam melden
    [5] george.orwell

    ...klingt ja wirklich alles nett und gesittet und langweilig - vielleicht wird er ja kurz vor seinem Tode sozial.

    Man könnte einem David Rockefeller allerdings wirklich interessantere Fragen stellen!

    zB: Stellt die BILDERBERG-Gruppe, deren Mitglied er ist, eine Welt-Schattenregierung dar?

    Und was sind die Ziele dieser Schattenregierung ?

    Wird eine neue Weltordnung angestrebt? Welche?

    http://www.amazon.de/Drahtzieher-Macht-Bilderberger-Verschw%C3%B6rung-Wirtschaft/dp/3426782065/ref=sr_1_2?ie=UTF8&s=books&qid=1282131188&sr=8-2

    http://www.amazon.de/Mit-%C3%96lwaffe-Weltmacht-neuen-Weltordnung/dp/3938516194/ref=sr_1_6?ie=UTF8&s=books&qid=1282131188&sr=8-6


  • 18.08. 13:33Spam melden
    [4] Werna

    Am besten garnicht lesen diesen Blödsinn. Wenn jemand 95 Jahre alt ist hat er sicherlich andere Sorgen.
    Ich kann dem HB auch ein E-Mail Interview von Ludwig Erhard besorgen.
    Mal sehen was der sagt. Hat bestimmt auch eine Meinung dazu.

  • 18.08. 11:23Spam melden
    [3] Martin

    ...fragt sich nur, wie lange!

  • 18.08. 11:10Spam melden
    [2] Paulus

    Mr. Rockefeller übt über seine Stiftungen den größten Einfluss auf die amerikanische Politik aus. Obama wurde vom Council on Foreign Relations als Kandidat vorgeschlagen, er ist also ein Rockefeller und Wall Street Mann. Der neueste Vorschlag ist die Einführung einer Weltwährung, die vom IWF und der Bank für Zahlungsausgleich kontrolliert wird. Die BIZ wird von verschiedenen Großbanken kontrolliert. So würde weltweit die Kontrolle und die Geldschöpfung, wie seit 1913 bereits in den USA, privatisiert. Die Regierungen werden über das Geld kontrolliert und gesteuert. Zur Erinnerung: Die HRE Rettung und der Euro Rettungsfonds wurden in Dringlichkeitssitzungen über Nacht ohne demokratischen Prozess beschlossen. Dabei ist das Budgetrecht das wichtigste Recht des Parlaments.

    Die Hauptursache der Finanzkrise war die Aufhebung des Glass-Steagall Acts im Jahre 1999, wodurch die Trennung von Investmentbanken und Geschäftsbanken aufgehoben wurde, was als Lehre aus der letzten Weltwirtschaftskrise im Jahre 1932 eingeführt wurde. Man hat die Lehren aus der Vergangenheit als nicht mehr notwendig angesehen und dadurch wiederholte sich die Geschichte. Erfolgreich hat man eine Wiedereinführung der Trennung gar nicht erst zur Diskussion gestellt.

  • 18.08. 08:36Spam melden
    [1] Kalthoff

    Alle "Spezialisten" reden über die Fehler und Auslöser der Krise in der Vergangenheit. Die Gegenwart wird nur angedeutet. Keiner, aber auch wirklich keiner spricht über die Zukunft und das MUSS, dass geändert werden müsste. Alle warten nur auf Morgen.
    Dieses Warten macht einen verrückt.

Dienstag, 17. August 2010

Heise:Der Mann, der Merkel die Ideen gibt-Christoph Heusgen

Der Mann, der Merkel die Ideen gibt

Jürgen Elsässer 13.01.2006

Christoph Heusgen ist der außenpolitische Berater der Kanzlerin und steht für einen stärkeren Schulterschluß mit den Bush-Kriegern
Hinter einer starken Frau steht immer ein Mann, könnte man in Umkehrung eines Bonmots sagen. Auch Kanzlerin Angela Merkel braucht Fachmänner, die ihr bei der strategischen Planung helfen oder bei schnellen Entscheidungen soufflieren: Welche Akzente setzt frau beim Tete-a-Tete im Weißen Haus? Wie agiert das offizielle Deutschland in der Iran-Krise oder beim Erdgas-Streit zwischen Moskau und Kiew? Wie bringt man die EU-Kuh vom Eis, das nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden ziemlich dünn geworden ist?



Für alle diese Fragen hat sich die Bundeskanzlerin einen Experten gesucht, der – zumindest für ihre Ziele – ein Höchstmaß an Qualifikation mitbringt: das CDU-Mitglied Christoph Heusgen. Im Kanzleramt, wo es für alle Politikerfelder der Bundesministerien jeweils eine zusätzliche eigene Abteilung gibt, ist er für die Außenpolitik zuständig. Genauso wenig wie Gerhard Schröder als Bundeskanzler die internationalen Beziehungen allein dem zuständigen Minister – und politischen Rivalen – Joschka Fischer überlassen wollte und mit Hilfe seines Beraters Bernd Mützelburg immer wieder eigene Akzente setzte, will Merkel dieses Feld an Fischers Nachfolger Frank-Walter Steinmeier ([local] Der neue starke Sozi) und dessen Staatssekretär Reinhard Silberberg, beides gestandene Sozialdemokraten, [extern] überantworten. Dabei soll Heusgen helfen.

Augenblicklich konzentriert sich die öffentliche Kritik auf den Außenminister. Er war 1998-1999 Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragter für die Nachrichtendienste und ab 1999 Chef des Bundeskanzleramtes. In seiner Funktion hatte Steinmeier sicher Kenntnis über den Einsatz von BND-Agenten in Bagdad während des Irak-Krieges und müßte auch über die sogenannte Folterflüge der CIA auf dem Laufenden gewesen sein. Doch bei aller diesbezüglichen Aufregung sollte nicht übersehen werden, dass Steinmeier auch ein Architekt des Schröderschen Schulterschlusses mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem französischen Amtskollegen Jacques Chirac war – die sogenannte Achse Paris-Berlin-Moskau. Im Unterschied zur Kanzlerin, die einen Besuch im Kreml bisher nicht für nötig befunden hat, [extern] versicherte Steinmeier bei einem Antrittsbesuch in Moskau weiter sein Interesse an einer "strategischen Partnerschaft" mit Rußland.

An diesem Punkt unterscheidet sich Heusgen. Er ist zwar nicht ganz so verbissen pro-amerikanisch wie Friedbert Pflüger, den Merkel ursprünglich für das Amt vorgesehen hatte. Aber mit seinem diplomatischen Geschick wird er vermutlich eher und schneller eine Kursänderung erreichen, die Berlin von Moskau entfernt und wieder Washington annähert, als der oft ungalante Pflüger. Zu den Dingen, die er "gerne anders machen würde", wie er mit Understatement formuliert, gehört jedenfalls ein Mehr an Engagement für die kleineren und kleinen Mitgliedsstaaten der EU, insbesondere für die "baltischen Tiger" Estland, Lettland und Litauen, die sich allesamt durch eine mehr oder weniger schroffe Diskriminierung ihrer russischen Minderheiten auszeichnen und sich gegen das "Alte Europa" mit der von Bush geführten Koalition verbündeten.

Statt der Abstimmung mit dem Kreml [extern] will Heusgen eine Wiederbelebung des "Weimarer Dreiecks" Paris-Berlin-Warschau – wohl wissend, dass für Warschau die Torpedierung der von Putin und Schröder vereinbarten Ostseepipeline ganz oben auf der Agenda steht.
Mit Paris scheint das Ganze auch nicht abgesprochen. Zu bedenken geben sollte schließlich seine Positionierung zum nahöstlichen Brandherd: "Für ihn war es ein Fehler, daß Schröder sich 2002 im Wahlkampf von vornherein gegen jede Beteiligung Deutschlands an einer bewaffneten Intervention festlegte", wußte die FAZ am 18. November 2005. Dieser schlimme Fehler wird sich bei einem US-Angriff auf den Iran also nicht wiederholen.

Von 1993 bis 1997 arbeitete Heusgen im Büro von Außenminister Klaus Kinkel – also in jener Zeit, als der FDP-Mann zu den schärfsten Fürsprechern einer Bundeswehr-Intervention auf dem Balkan zählte (bekannt sein Bonmot, die Serben müßten "in die Knie gezwungen" werden) und die Beteiligung der deutschen Luftwaffe an Kampfeinsätzen in Bosnien-Herzegowina durchsetzte. Von 1999 bis zu seinem aktuellen Wechsel nach Berlin war Heusgen dann Büroleiter von Javier Solana, den "Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" der EU. Seine Bedeutung in dieser Funktion war nicht zu unterschätzen: Er lieferte die Konzepte, die Solana dann öffentlichkeitswirksam vertrat.

Unter ihrer beider Federführung entwickelte sich die EU zu einer Interventionsstreitmacht. Heusgen selbst rechnet die EU-Militäreinsätze in Mazedonien (2001), in Kongo/Ituri (2003), die Übernahme der Besatzungsaufgaben von der SFOR durch eine EUFOR in Bosnien (2004) sowie die Einmischung in die Krisen in der Ukraine (2004) und in Moldawien/Transnistrien (noch andauernd) zu seinen [extern] Erfolgen. Um nur beim Beispiel Mazedonien zu bleiben: Auf Druck von Solana/Heusgen musste die Regierung in Skopje im August 2001 einem Waffelstillstand mit den albanischen Aufständischen zustimmen, die das Land mit einem mehrmonatigen Bürgerkrieg überzogen hatten. Das sogenannte Ohrid-Abkommen wurde von einer NATO-geführten Besatzungsmacht mit Bundeswehrbeteiligung garantiert, die ohne UN-Mandat in das Land entsandt wurde. Es sah vor, dass die aufständischen UCK-Terroristen entwaffnet – und ohne weitere Strafverfahren als Minister in die neue Regierung aufgenommen wurden. (http://www.juergen-elsaesser.de/de/artikel/template_artikel.php?nr=112) Die "Zeit" [extern] bilanzierte Mitte November 2005: "Auch an seiner Analyse liegt es, daß die EU heute Polizisten auf den Balkan, Soldaten in den Kongo und militärische Beobachter nach Indonesien schickt. Elf Missionen laufen derzeit unter europäischer Flagge, auf vier Kontinenten. Und Heusgen will noch mehr. Schon in der kommenden Woche sollen 50 Polizisten in Rafah den kleinen Grenzverkehr zwischen Israel und den ehemals besetzten Gebieten überwachen."

Als Leiter von Solanas "Strategieplanungs- und Frühwarneinheit", in der Amtsumgangssprache auch als [extern] Politischer Stab bezeichnet, war Heusgen außerdem der Kopf der 2003 vom Europäischen Rat verabschiedeten [extern] EU-Sicherheitsdoktrin. Seinem geschickten Händchen ist es [extern] zuzuschreiben, dass darin nicht von "preemptive", sondern von "preventive" Interventionen die Rede ist – damit die Nähe zur aktuellen US-Strategie nicht allzusehr auffällt. In diesem Leitliniendokument findet sich ansonsten alles, was zur militärischen Weiterentwicklung der EU für notwendig erachtet wurde, unter anderem – so [extern] Heusgen im O-Ton – "die Gründung eines Militärstabs und eines –komitees, der Aufbau eines guten Verhältnisses zur NATO, ... und der Abschluß des Berlin-Plus-Abkommens, das die militärische Zusammenarbeit der EU und der NATO regelt", sowie die Einrichtung einer europäischen Rüstungsagentur, "die dazu beitragen soll, die Kapazitäten besser zu bündeln".

In diesem Rahmen war ebenfalls vorgesehen, das Amt eines EU-Außenministers (und damit kaum noch kontrollierbare Vollmachten für Javier Solana) sowie ein integriertes EU-Oberkommando zu schaffen. Dieser Vorstoß liegt mit dem Sieg des Nein bei den EU-Referenden in unseren Nachbarländern erst mal auf Eis. Für Heusgen ist das allerdings kein Grund zum Verzagen: Er will die außenpolitischen Vorgaben der abgelehnten EU-Verfassung über "prozedurale Einzelschritte" [extern] durchsetzen, etwa indem die EU-Ratspräsidentschaft Solana entsprechende Vollmachten per ordre de mufti überträgt. Motto: Wo ein politischer Wille ist, findet sich auch ein juristischer Weg.

Die schnelle Eingreiftruppe der EU übt derweil schon mal, wie zuletzt Ende November im Rahmen der Stabsrahmenübung [extern] Milex 2005. "Das Szenarium auf der fiktiven Insel Atlantia – gut dreitausend Kilometer von Brüssel entfernt, so beschreibt die EU bisher ihren militärischen Aktionsradius – wird in militärischen Kreisen der Union schon seit Jahren benutzt. Die Namen klingen künstlich, die beschriebene Lage ist es kaum. Diesmal ... hat man das Geschehen bis zu einem Punkt real durchgespielt, an dem ein Einsatz vom zuständigen Brüsseler Gremium, dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK), tatsächlich hätte beschlossen werden können", berichtete die FAZ am 22.12.2005 (siehe auch [local] Die Nato soll Pipelines und Energieressourcen sichern).

Heusgen wird in seinem neuen Amt diese Planungen vorantreiben helfen.