Genetik "Alle Menschen sind miteinander verwandt"
Der Genetiker Svante Pääbo über Geschichten, die das Erbgut erzählt – und unsere Gemeinsamkeiten mit dem Neandertaler
Woher kommen wir? Wer nach seinen Wurzeln sucht, gräbt selten tief.
In der Erinnerung von Verwandten und in Archiven verliert sich der Faden
jeder Familiengeschichte nach ein paar Generationen. Und selbst die
besten Quellen der Historiker reichen in Mitteleuropa gerade bis zur
Epoche Christi zurück. Von den riesigen Zeiträumen davor erzählen nur
alte Knochen – und Mythen.
Svante Pääbo
indes hat uns die Vergangenheit auf einem neuen Weg zugänglich gemacht:
Er sucht Zeugnisse unserer Herkunft in uns selbst, in unseren Genen. So
hat er gelernt, nicht nur im Erbgut heute lebender Menschen zu lesen –
er rekonstruiert auch die Gene von Vorfahren, die vor Zehntausenden
Jahren starben. Das Ausgangsmaterial gewinnt er aus Mumien, Fossilien
und sogar eingetrockneten Exkrementen aus Höhlen. So hat Pääbo die
Disziplin der
Paläogenetik begründet.
Der Sohn einer estnischen Chemikerin und eines späteren
Medizinnobelpreisträgers wurde 1955 in Stockholm geboren. Heute ist er
Direktor am
Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Wer sein Labor im dritten Stock nicht mit dem Aufzug erreichen will,
durchsteigt eine mit Überhängen gespickte Kletterwand, die der
begeisterte Sportkletterer Pääbo in der Eingangshalle anbringen ließ.
Oben wird der Besucher vom Abguss eines Neandertalerskelettes begrüßt.
Svante Pääbo
geboren 1955, hat mit seinen Forschungen schon
oft für Aufsehen gesorgt. Zuletzt entschlüsselte seine internationale
Forschergruppe das Genom des Neandertalers. Jetzt will er dessen Gene in
die Zellen von Mäusen und Menschen einbauen
ZEITmagazin: Professor Pääbo, Gott soll Adam aus
Lehm geformt haben, die nordamerikanischen Hopi dagegen erzählen
sich, die heilige Spinnenfrau habe die ersten Menschen aus ihrem
Speichel gewebt. Warum regt die Frage, woher wir kommen, die
Fantasie der Menschen dermaßen an?
Svante Pääbo: Weil wir wissen wollen, wer wir eigentlich sind. Und weil wir hoffen, die Geschichte werde es uns verraten.
ZEITmagazin: Wir Europäer sind Neandertaler, wenigstens zum Teil, haben Sie nun erklärt. Was genau haben Sie gefunden?
Stefan Klein
geboren 1965, ist Biophysiker (links im Bild).
Der Wissenschaftsautor hat die Bestseller »Die Glücksformel« und »Zeit.
Der Stoff, aus dem das Leben ist« geschrieben. Zuletzt erschien von ihm
»Der Sinn des Gebens« im Fischer Verlag
Pääbo: Dass die Neandertaler nicht vollständig
ausgestorben sind, sondern, wenn Sie so wollen, in allen Menschen
außerhalb Afrikas fortleben.
ZEITmagazin: Bisher dachte man, sie seien restlos verschwunden, weil der geistig überlegene
Homo sapiens die Neandertaler als Freiwild betrachtete.
Pääbo: Ja. Wir haben aus Fossilien
die Erbsubstanz von Neandertalern gewonnen und das Genom sequenziert...
ZEITmagazin: ...das heißt entschlüsselt.
Pääbo: Wenn Sie nun die Gensequenz der Neandertaler
mit der von heutigen Menschen vergleichen, sehen Sie bei Europäern
gewisse Übereinstimmungen – bei Afrikanern aber nicht.
ZEITmagazin: Einige unserer Vorfahren haben sich mit Neandertalern gepaart.
Pääbo: Das ist jedenfalls die einfachste Erklärung.
Asiaten, die Ureinwohner Amerikas und Ozeanier zeigen denselben Befund
wie Europäer. Vermutlich vermischten sich Neandertaler und moderne
Menschen im Nahen Osten – nachdem die ersten modernen Menschen aus
Afrika ausgezogen waren, auf die dort ansässigen Neandertaler trafen und
bevor sich ihre Nachkommen über alle anderen Kontinente verteilten.
ZEITmagazin: Woher waren die Neandertaler gekommen?
Pääbo: Ebenfalls aus Afrika. Ihre Vorfahren hatten sich jedoch schon vor vielleicht 400.000 Jahren auf den Weg nach Norden gemacht.
ZEITmagazin: Normalerweise sind es männliche
Eroberer, die sich eine einheimische Frau nehmen. Aber hier
fühlten sich wohl eher die zugereisten
Homo-sapiens-Frauen von
gut gebauten Neandertalern angezogen,
wenn ich Ihre
Veröffentlichung richtig verstehe. In einem bestimmten Teil der
DNA, den nur Frauen auf ihre Nachkommen übertragen, findet man kein
Erbgut der Neandertaler.
Pääbo: Ja, aber das kann Zufall sein. Andere Befunde
von den Geschlechtschromosomen sprechen dagegen: Sowohl Frauen als auch
Männer hatten Sex mit Neandertalern – ob Frauen etwas mehr, können wir
noch nicht sagen.
ZEITmagazin: Jedenfalls lebten moderne Menschen, also Homo sapiens, und Neandertaler längere Zeit nebeneinander.
Pääbo: Sehr lange Zeit. Der moderne Mensch erschien
vor gut 100.000 Jahren im Nahen Osten. Die Neandertaler verschwanden
dort vor vielleicht 60.000 Jahren.
ZEITmagazin: In Europa lebten sie sogar bis vor 30.000 Jahren. Zogen sie sich infolge eines Klimawandels nach Norden zurück?
Pääbo: Wir wissen es nicht. Vielleicht gab es eine Konkurrenz um Ressourcen, die der Neandertaler irgendwann verlor.
ZEITmagazin: Wir haben uns die Vorgeschichte als
eine Art Prozession vorgestellt, in der immer bessere
Ausführungen des Modells Mensch einander schön ordentlich ablösten. Doch
neue Funde zeichnen ein ganz anderes Bild: Verschiedene
Menschenformen bevölkerten gleichzeitig die Erde – als habe die
Evolution mit verschiedenen Typen unserer Art experimentiert.
Gerade
erst erfuhren wir von Zwergmenschen, deren Überreste in einer Höhle
der indonesischen Insel Flores aufgetaucht sind. In Anlehnung
an die Figuren aus dem »Herrn der Ringe« nennt man sie Hobbits.
Pääbo: Sie wurden gerade einmal so groß wie heute ein Kleinkind.
ZEITmagazin: Und sie gingen erst vor 12.000
Jahren unter, als der moderne Mensch sich längst in diesem
Erdteil ausgebreitet hatte.
Voriges Jahr berichteten Sie dann von den
Denisova-Menschen, einer unbekannten Art, die sich noch vor 40.000 Jahren in Sibirien herumtrieb. Wie sahen die aus?
Pääbo: Wir wissen nur, dass sie große Zähne hatten. Sehen Sie mal. (zieht aus einem Schrank eine durchsichtige Dose hervor, darin ein enormer Backenzahn)
Russische Forscher haben den Zahn 2008 in einer sibirischen Höhle
entdeckt. Mehr als dieser Zahn und ein Fragment eines kleinen Fingers
war nicht zu finden. Doch mit Genanalysen konnten wir zeigen, dass es
sich um eine bis dahin unbekannte Menschenform
handelt – und dass diese Leute sich mit den Vorfahren heutiger Bewohner
von Australien, Neuguinea und Ostasien paarten. In Zukunft werden wir
aus solch minimalen Funden sicher noch viel mehr über die
Bevölkerungsgeschichte erfahren.
ZEITmagazin: Hobbits mischen sich unter moderne
Menschen, Neandertalerinnen begehren Denisova-Männer – mich
erinnert das eher an ein Szenario aus einem Science-Fiction-Roman!
Pääbo: Aber es war der Normalfall. Einzigartig sind
vielmehr die letzten 20.000 Jahre, in denen wir als Menschen allein auf
der Welt waren. Ich frage mich, was wäre gewesen, wenn die anderen noch
ein bisschen länger durchgehalten hätten? Hätten wir dann heute einen
Rassismus, schlimmer als alles, was wir kennen? Oder würden wir uns dann
weniger einzigartig fühlen, hätte sich die Trennung zwischen Menschen
und Tieren verwischt?
ZEITmagazin: Ein Pessimist würde antworten, dass
uns Menschen der lächerlichste Anlass genügt, um zwischen uns
und den anderen eine Grenze zu ziehen.
Pääbo: Eben. Und dann würde der Pessimist sagen:
Nachdem der moderne Mensch alle übrigen Menschenformen erfolgreich
ausgerottet hat, kommen jetzt unsere biologisch nächsten Verwandten dran
– die Schimpansen.
ZEITmagazin: Warum haben wir uns durchgesetzt?
Die Neandertaler waren kräftiger und hatten größere Gehirne als
wir. Sie pflegten ihre Kranken, bauten Hütten, fertigten Werkzeuge und
Schmuck.
Pääbo: Aber sie sind nie hinaus aufs offene Meer
gefahren, obwohl sie es vielleicht gekonnt hätten. So haben sie nie
Amerika und Australien erreicht wie der moderne Mensch. Ihnen fehlte die
Verrücktheit unserer Vorfahren: aufzubrechen, obwohl klar war, dass die
meisten, die das Floß besteigen, untergehen werden. So haben wir die
Erde bis in ihren letzten Winkel besiedelt und werden künftig vielleicht
den Mars besiedeln. Wir hören nie auf. Wir sind eben ein bisschen
wahnsinnig.
ZEITmagazin: Nicht zuletzt verdanken Sie dieser
Art von Verrücktheit Ihre Karriere. Als Student machten Sie
Schlagzeilen, als Sie im Alleingang die Erbsubstanz einer Mumie aus dem
Berliner Pergamonmuseum entschlüsselten. Wie kamen Sie darauf?
Pääbo: Ich habe mich schon immer für das Altertum
interessiert. So begann ich ein Ägyptologiestudium und träumte von
Ausgrabungen. Doch als ich damals in Uppsala vor allem altägyptische
Sprachen büffeln musste, brach ich ab und wechselte aus Verlegenheit zur
Medizin. Während meiner Doktorarbeit erlernte ich die damals neue
Methoden, DNA zu klonieren. Damit konnte man winzige Mengen der
Erbsubstanz vervielfältigen, um sie zu analysieren. Ich fragte mich, ob
sich wohl auch das Erbgut aus ägyptischen Mumien kopieren ließe. Also
besorgte ich mir ein paar Proben.
ZEITmagazin: Wie fand Ihr Doktorvater das?
Pääbo: Er wusste es nicht, ich arbeitete nachts.
Unter dem Mikroskop sah ich, dass in den alten Zellen tatsächlich noch
Erbsubstanz war. Die beste Mumiensammlung gab es im damaligen
Ost-Berlin. Ich fuhr hin, und auf Vermittlung meines alten
Ägyptologieprofessors ließen sie mich tatsächlich an 23 Mumien ran. Bei
einer konnte ich die DNA klonieren, es war die Mumie eines vor 2.400
Jahren gestorbenen Kindes. Erst habe ich das brav in der Zeitschrift der
Ostberliner Akademie veröffentlicht. Ein Jahr später war die Mumie dann
auf dem Titel von
Nature...
ZEITmagazin: ...dem weltweit wohl angesehensten Wissenschaftsmagazin. Das war 1985.
Pääbo: Erst da merkte die Stasi, was geschehen war,
und verhörte jeden im Museum. Als ich dann wieder nach Ost-Berlin kam,
hatte keiner mehr Zeit für mich. Uppsala sei ein bekanntes Zentrum
antisozialistischer Propaganda, hieß es.
ZEITmagazin: Für einen 29-Jährigen ist so viel
Aufsehen ein schöner Erfolg. Drei Jahre zuvor hatte Ihr Vater,
Sune Bergström, den Medizinnobelpreis gewonnen. Standen Sie als Sohn
eines so berühmten Mannes unter besonderem Druck?
Pääbo: Nein, niemand wusste, dass ich sein Sohn war.
Meine Mutter lebte nicht mit ihm zusammen, als Kind sah ich ihn nur
samstags. Er erzählte zu Hause, dass er die Samstage im Labor verbringe,
obwohl seiner Frau alles bekannt war. Aber kurz vor seinem Tod wusste
noch nicht einmal mein Halbbruder von mir. Nach seinem Nobelpreis war
ich darüber froh.
ZEITmagazin: Wollten Sie mit Ihren Genstudien eigentlich die wahren Verwandtschaftsverhältnisse der Pharaonen aufklären?
Pääbo: Ich träumte davon, fundamentale Fragen der
ägyptischen Geschichte zu beantworten, über die Textquellen keine
Auskunft geben. Kamen etwa mit Alexander dem Großen tatsächlich viele
Griechen ins Land? Aber es hat nicht funktioniert.
ZEITmagazin: Warum nicht?
Pääbo: Die Mumien-Erbsubstanz ist zu stark abgebaut.
Und wenn man sie unvorsichtig entnimmt, wird sie sehr leicht mit
moderner DNA kontaminiert. Aber das wussten wir damals noch nicht.
ZEITmagazin: Die Nature-Veröffentlichung
beruhte auf einem Irrtum: Was Sie für die Gene eines
Pharaonenkindes hielten, waren in Wirklichkeit Ihre eigenen.
Pääbo: Der Nachweis der DNA in den alten Zellkernen
war schon richtig. Aber die Sequenzen kamen wohl von meinen Genen. Wir
haben diese Tatsache, dass die Sequenzen wahrscheinlich nicht alt waren,
ein paar Jahre später selbst veröffentlicht. Nach meiner Promotion
stand ich also vor der Frage: Sollte ich es weiter versuchen – oder doch
lieber etwas medizinisch Nützliches machen? Ich entschied mich für den
ersten Weg und ging in ein Labor in Berkeley, Kalifornien. Dort
arbeitete man am Erbgut von
Quaggas.
Bei diesen ausgestorbenen Zebras kamen wir um das Problem der
Kontamination herum, weil die menschliche DNA anders aussieht. Dann habe
ich mit den Genen anderer ausgestorbener Tiere gearbeitet. Ich
untersuchte das Riesenfaultier, den australischen Beutelwolf, alle
möglichen Laufvögel.
ZEITmagazin: Das war, bevor
Jurassic Park ein Welterfolg wurde.
Pääbo: Der Roman von
Michael Crichton,
auf dem der Film beruht, war von unserem Labor inspiriert. »Alles
begann damit, dass ein paar Wissenschaftler die DNA ausgestorbener
Pferde aufgespürt haben«, heißt es im Buch.
ZEITmagazin: In
Jurassic Park werden diese Geschöpfe wiedererweckt. Können Sie sich so etwas vorstellen?
Pääbo: Mit Dinosauriern?
ZEITmagazin: Sagen wir, mit Mammuts.
Pääbo: Nicht in dieser naiven Form. Da bräuchte man
Zellen von einem gefrorenen Mammut, in denen jedes einzelne Gen intakt
ist. So etwas wird man nie und nimmer finden. Aber mein Harvard-Kollege
George Church
geht ja mit einem anderen Szenario hausieren: Nachdem wir jetzt das
Neandertalergenom kennten, lasse sich doch die DNA eines heutigen
Menschen gewissermaßen in einen Neandertalerzustand umprogrammieren.
Wenn man das Ganze in einer menschlichen embryonalen Stammzelle mache,
könne man ein Neandertalerbaby erzeugen.
ZEITmagazin: Man bräuchte nur noch eine Leihmutter, die es austrägt.
Pääbo: Aber von allen technischen Schwierigkeiten
einmal abgesehen – so etwas darf man natürlich mit menschlichem Erbgut
nicht tun. Wenn ich Church das sage, antwortet er: »Gut, dann bauen wir
eben ein Schimpansengenom um.« Als ob es das besser machte! Dann hätten
Sie noch immer aus reiner Neugier ein menschliches Wesen erzeugt. Aber
ich kann mir etwas anderes vorstellen: Man könnte ein paar
Neandertalergene in erwachsene menschliche Stammzellen einschleusen und
sehen, was sie dort tun.
ZEITmagazin: Wenn alles gut geht, würde sich aus
den Stammzellen Organgewebe entwickeln. Dann hätten Sie die
Neandertalerleber im Reagenzglas. Oder Neandertalerneuronen. Arbeiten
Sie daran?
Pääbo: Im Moment nicht. Aber ich kann mir denken, dass es so kommt.
ZEITmagazin: Als wir uns vor ein paar Jahren das
letzte Mal trafen, erzählten Sie, Sie wollten ein für die
menschliche Sprachentwicklung zuständiges Gen namens FOXP2 in Mäuse
einbauen. Was ist daraus geworden?
Pääbo: Sie sprechen.
ZEITmagazin: Und? Was sagen sie?
Pääbo: Na gut, unsere humanisierten Mäuse reden
nicht wirklich. Aber sie vokalisieren anders als normale Mäuse. Kurz
gesagt, haben sie eine tiefere Stimme. Auch fanden wir Unterschiede in
Teilen des Gehirns, die für die Muskelsteuerung zuständig sind. Und es
scheint, dass sie lernfähiger sind.
ZEITmagazin: Dasselbe Gen FOXP2 haben Sie beim Neandertaler gefunden. Müssen wir nun annehmen, er konnte sprechen?
Pääbo: Jedenfalls haben wir einen Grund weniger, zu
spekulieren, dass er es nicht konnte. FOXP2 ist vermutlich dafür nötig,
dass wir in Millisekunden Stimmlippen, Zunge und Lippen aufeinander
abstimmen können, um uns zu artikulieren. Schimpansen sind zu solch
präzisen Bewegungen außerstande. Natürlich könnten dem Neandertaler
andere Genveränderungen fehlen, die zum Sprechen notwendig sind. Indem
wir solche Fragen systematisch angehen, werden wir eines Tages
definieren können, was uns biologisch zu modernen Menschen macht. Das
ist mein Traum.
ZEITmagazin: Ich frage mich nur, wie viel das
Genom über uns sagen kann. Stellen Sie sich vor, Außerirdische
hätten sich sämtliche Gensequenzen von modernen Menschen, Neandertalern
und Schimpansen verschafft. Was wüssten sie dann über uns?
Pääbo: Sehr wenig – solange den Fremden unklar ist,
was diese Gene in unserem Organismus bewirken. Und davon verstehen wir
noch fast nichts. Neuerdings gibt es ja Firmen, bei denen jeder für ein
paar Hundert Euro sein Genom untersuchen lassen kann. Ich würde so etwas
nicht unterstützen, bekam aber einen Gutschein geschenkt. Also schickte
ich eine Speichelprobe dorthin. Und was erfuhr ich? Dass ich leicht
Schuppenflechte bekommen würde, aber nicht Thrombosen. Leider ist es
genau andersherum: Psoriasis hatte ich nie, dafür eine Thrombose.
Immerhin konnten sie sagen, dass ich aus Nordeuropa stamme. Vielen Dank,
das wusste ich schon.
ZEITmagazin: Sie haben also eine Zusammensetzung von Genen, die für Skandinavier typisch ist. Was sagt das über Sie?
Pääbo: Nur oberflächliche Dinge. Wir kennen heute
gut 1.000 Genome von Menschen aus aller Welt. Natürlich hat man nach
Merkmalen gesucht, die das Erbgut unterschiedlicher Populationen wie
Europäer und Afrikaner auszeichnet. Man fand nur, dass bestimmte
Genvarianten für Äußerlichkeiten wie Hautfarbe, Haarstruktur, Verdauung
und für einige Eigenschaften der Immunabwehr hier häufiger und da
seltener sind. An Organen, die direkt Umwelteinflüssen ausgesetzt sind,
greift die natürliche Selektion am stärksten.
ZEITmagazin: Klar, ohne Sonnencreme kann ein
Schwede in Afrika nicht lange bestehen. Aber zählt wirklich nur
solche Anpassung an die Umgebung? Intelligenz und Fähigkeit zur
Kooperation sind nicht minder entscheidend für den evolutionären
Erfolg, würde man denken.
Pääbo: Ja, aber die zahlen sich überall aus. Darum sehen wir hier keine genetischen Unterschiede zwischen den Populationen.
ZEITmagazin: Was die Intelligenz angeht, mag das
so sein. In Sachen Kooperation habe ich Zweifel. Hier scheint
die Umgebung sehr wohl eine Rolle zu spielen, wie neue Untersuchungen
zeigen. Beispielsweise ist das
Gerechtigkeitsempfinden umso
stärker entwickelt, je mehr Menschen aufeinander angewiesen
sind, um sich zu ernähren. Warum haben sich diese Unterschiede nicht
in den Genen niedergeschlagen?
Pääbo: Weil keine Zeit dazu war. Um solch komplexe
Eigenschaften zu ändern, müsste die Natur an sehr vielen Genen
schrauben. Dabei hat der Mensch eine viel schnellere Antwort auf das
Problem der Anpassung – die Kultur. Noch dazu haben sich unsere
Vorfahren, seit sie vor 100.000 Jahren aus Afrika auszogen, immer wieder
vermischt.
ZEITmagazin: Man kann diese genetische
Ähnlichkeit in eine wahre Geschichte packen, die mich
beeindruckt hat:
Die Stammbäume sämtlicher heute lebenden Menschen
lassen sich auf eine einzige Frau zurückverfolgen, die vor knapp
150.000 Jahren in Afrika gelebt haben muss. So gesehen, sind
wir sieben Milliarden Menschen...
Pääbo: ...alle ziemlich eng verwandte Brüder und
Schwestern. Dass die genetischen Unterschiede zwischen uns alles andere
als tiefgreifend sind, ist die wohl wichtigste Einsicht. Als ich mit der
Genetik begann, wollten viele Zeitgenossen nicht wahrhaben, dass unsere
biologische Herkunft etwas bedeutet. Heute verfallen wir leicht ins
andere Extrem und überbewerten unsere genetische Geschichte. Wir
vergessen oft, dass die Kultur uns weit stärker prägt.
ZEITmagazin: Doch Gemeinschaften können nur
existieren, wenn sie festlegen, wer dazugehört und wer nicht.
Vielleicht gibt es Rassismus, weil die sichtbaren Unterschiede der
Menschen in Körperbau oder Hautfarbe solch verführerisch
einfache Merkmale sind, um diese Entscheidung zu treffen.
Pääbo: Aber schon die Einteilung in Rassen ist
willkürlich. Ich träume davon, einmal mit einem Boot von Alexandria den
Nil hinaufzufahren. Alle 50 Kilometer würde ich Menschen, die mir
begegnen, Blutproben für Gentests abnehmen und ihre Hauthelligkeit
messen. Dabei würde sich zeigen, dass es nicht einmal zwischen den
hellen Menschen vom Mittelmeer und den dunklen am Viktoriasee eine klare
Abgrenzung gibt: Die Übergänge sind fließend.
Wo immer wir Trennlinien
ziehen, tun wir es willkürlich.
ZEITmagazin: Noch weniger ist unsere Idee von Völkern genetisch gedeckt.
Pääbo: Unsere Gene spiegeln vor allem die
Siedlungsgeschichte während der Eiszeit und der Epoche, in der sich
Ackerbau verbreitete. Da gab es noch keine Deutschen, Franzosen und
Polen. Von »Völkern« zu reden ist reine Politik.
ZEITmagazin: Mehrere Auszüge aus Afrika,
verschiedene Menschenformen nebeneinander, deutlich sichtbare
und doch unbedeutende Unterschiede zwischen den Rassen: Die
Menschheitsgeschichte, wie sie die Paläogenetik erzählt, ist
kompliziert...
Pääbo: ...was vielleicht nur bedeutet, dass wir sie noch nicht richtig verstanden haben.
ZEITmagazin: Verstehen Sie Menschen, die sich nach einfacheren Erklärungen sehnen?
Pääbo: Meinen Sie religiöse Erklärungen?
ZEITmagazin: Ja.
Pääbo: Ich verstehe, dass Menschen, die vor
existenziellen Herausforderungen stehen, religiöse Bedürfnisse haben.
Die habe ich auch. Manchmal stelle ich mir vor, dass ich mit mir
nahestehenden Verstorbenen geistig Kontakt aufnehmen kann. Das hilft mir
dann, die Trennung zu verarbeiten. Trotzdem finde ich es naiv, an einen
persönlichen Schöpfer zu glauben.
ZEITmagazin: Ist das nicht inkonsequent?
Pääbo: Wer ist schon immer konsequent? Ich hatte
einmal einen Doktoranden, der war fundamentalistischer Muslim. Er litt,
denn natürlich glaubte er an die Schöpfung.
Doch wir konnten uns
einigen. Denn können wir kategorisch ausschließen, dass es einen
allmächtigen und unergründlichen Gott gibt? Vielleicht ist die
molekulare Evolution sein Plan, den wir nur nicht durchschauen.