Donnerstag, 17. Juni 2010

Handelsblatt: Jetzt kommen die Banken-Stresstests ans Licht

Jetzt kommen die Banken-Stresstests ans Licht

Die Europäische Union veröffentlicht die bisher geheimen Banken-Stresstests und will damit wieder Vertrauen auf den Finanzmärkten schaffen. Mit der Entscheidung der Regierungschefs hat der Bundesverband deutscher Banken seinen Widerstand gegen die Veröffentlichung aufgegeben. Die EU wiederum hat für Banken und Finanzmärkte noch ganz andere Instrumente beschlossen.

Angela Merkel (in rot) im Kreise ihrer Kollegen. Quelle: dpaLupe

Angela Merkel (in rot) im Kreise ihrer Kollegen. Quelle: dpa

HB BRÜSSEL. Mit einer Transparenzinitiative will die Europäische Union die Vertrauenskrise auf den Finanzmärkten beenden. Bereits in wenigen Wochen sollen die Ergebnisse von Stresstests an systemrelevanten europäischen Banken veröffentlicht werden, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel mitteilte.

Anders als nach früheren Tests solle das individuelle Ergebnis jeder Bank bekanntgegeben werden, erklärte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Der Vorschlag geht auf den spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodriguez Zapatero zurück, der mit der Offenlegung der Ergebnisse Zweifel an der Stabilität des spanischen Bankensystems zerstreuen will. Wegen der Schieflage mehrerer Sparkassen waren die spanischen Banken in den letzten Wochen unter Generalverdacht geraten. Dies löste die Befürchtung aus, der nach der Wirtschaftskrise tief in die roten Zahlen gerutschte Staat müsse weitere kostspielige Rettungsaktionen auf sich nehmen.

Merkel hat die Einigung der EU-Staaten auf die Veröffentlichung sogenannter Banken-Stresstests begrüßt. „Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Schritt ist, um gegenüber den Märkten deutlich zu machen, dass wir hier auf volle Transparenz gehen“, sagte Merkel nach dem Spitzentreffen mit ihren EU-Amtskollegen. „Ich habe mich gefreut, dass auch alle Mitgliedsstaaten daran teilnehmen werden.“ Dem Beschluss zufolge soll bis Ende Juli offengelegt werden, wie krisensicher die europäischen Großbanken sind.

25 europäische Großbanken sind sogenannten Stresstests bereits unterzogen worden. Dabei wird berechnet, ob eine Bank beispielsweise die Pleite einer Großbank wie Lehman Brothers überleben kann. Der Untergang von Lehman Brothers im September 2008 hatte die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg mit ausgelöst.

Der Bundesverband deutscher Banken hat seinen grundsätzlichen Widerstand gegen die Veröffentlichung der Stresstests für einzelne Institute nach dem EU-Gipfelbeschluss aufgegeben. „Die Veröffentlichung neuer Stresstests muss so erfolgen, dass die Ergebnisse keinen Raum für Fehlinterpretationen liefern. Ist das gewährleistet, kann dies zu einer Vertrauensbildung und Beruhigung an den Märkten beitragen“, sagte Sprecher Lars D. Hofer.

Auf die Frage, ob alle Banken in Zukunft einen Stress-Test machen und veröffentlichen werden, sagte die Kanzlerin: „Es war uns allen klar, dass das im Sinne der gleichen Wettbewerbsverhältnisse“ geschehen müsse. „Die Diskussionen haben natürlich stattgefunden in der festen Überzeugung, dass wir angesichts der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise enger miteinander kooperieren müssen.“ Die Staats- und Regierungschefs wollen mit der Veröffentlichung der Ergebnisse die Wetten an den Finanzmärkten eindämmen. Derzeit spekulieren die Märkte gegen Spanien, weil es dem dortigen Bankensektor offensichtlich nach der geplatzten Immobilienblase schlecht geht.

Die EU will sich außerdem nach Angaben des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy auf dem G-20-Gipfel in Kanada für die Einführung einer Finantransaktionssteuer einsetzen. Auch für eine Bankenabgabe habe sich der EU-Gipfel in Brüssel ausgesprochen, erklärte Sarkozy am Abend. Eine Abgabe der Finanzinstitute müsse dafür sorgen, "dass diese sich an den Kosten der Krise beteiligen", heißt es im Entwurf des Abschlussdokuments, das dem Handelsblatt vorliegt.

Sollte eine Einigung darüber auf Ebene der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) nicht gelingen, würde die EU die Einführung dieses Systems in Europa in Betracht ziehen, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Die EU-Staaten seien sich einig, "dass wir ein System von Abgaben und Steuern für Finanzinstitutionen haben wollen in der EU", sagte Merkel. Doch zuerst solle auf G20-Ebene dafür die Initiative ergriffen werde. "Sollte uns das nicht gelingen, werden wir uns auf europäischer Ebene wieder zusammensetzen."

Uneins sind die Staaten beim Thema Finanztransaktionssteuer. Deutschland war im Vorfeld offensiv dafür eingetreten. Frankreich schloss sich dieser Haltung an. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy seien dabei, einen entsprechenden Brief an die übrigen G20-Staaten zu formulieren, verlautete aus Diplomatenkreisen.

Massiver Widerstand gegen das Vorhaben kommt unter anderem aus Großbritannien, Schweden und Tschechien. Dort fürchtet man negative Auswirkungen für Unternehmen und Investoren, da die Banken die ihnen durch die Steuer entstehenden Kosten an ihre Kunden weiterreichten. Grundsätzlicher sehen das die Briten: "Eine Transaktionssteuer wird nicht funktionieren", hieß es aus Kreisen britischer Diplomaten. Das habe auch Premierminister David Cameron klargemacht. Der neue britische Regierungschef hatte am Donnerstag zum ersten Mal an einem EU-Gipfel teilgenommen.

Eine Finanztransaktionssteuer könnte auf bestimmte Geschäfte der Geldwirtschaft erhoben werden und soll Spekulationen eindämmen. Das träfe den Finanzstandort London ganz erheblich.

Mit ihrem Vorstoß fordern die europäischen Länder die G20-Gruppe heraus. Im Kreis der mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt (G20) ist das Vorhaben ausgesprochen umstritten. Kanada, Australien und Brasilien halten nichts davon.

Mit Blick auf die Bewältigung der Wirtschafts- und Schuldenkrise wollen die EU-Mitglieder sich künftig besser absprechen. "Die Krise hat eindeutige Schwächen unserer wirtschaftspolitischen Steuerung offengelegt, insbesondere was die haushaltspolitische Überwachung sowie eine umfassendere Überwachung der Wirtschaftspolitik anbelangt", formuliert das Abschlussdokument.

Die Konsequenz: Um ihre Haushalte wieder in Ordnung zu bringen, streben die Staats- und Regierungschefs für die Zukunft eine sehr viel stärkere Beachtung der Schuldenstände und der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen an. Der europäische Stabilitätspakt wird entsprechend mittels einer intensiveren Überwachung der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten gestärkt. Zum anderen sollen weitere Sanktionen bei Verstößen möglich sein. Von 2011 an sollen der EU-Kommission die nationalen Haushalte im Frühjahr vorgelegt werden - also noch vor der Verabschiedung durch die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten.

"Wir müssen den EU-Stabilitätspakt mit frühen und automatischen Sanktionen für Schuldensünder stärken", begrüßte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, ein solches Vorgehen. Entsprechende Rückendeckung benötige Finanzkommissar Olli Rehn als Art "Sparkommissar", sagte Wansleben dem Handelsblatt. Hingegen würde eine Wirtschaftsregierung à la Carte, die von Brüssel aus nach Belieben in souveräne Politik- und Unternehmensentscheidungen europäischer Staaten eingreifen kann, das marktwirtschaftliche Leitbild Europas auf den Kopf stellen: "Jedes Land sollte selbst entscheiden, auf welchem Weg es die Vorgaben erfüllt - die Kontrolle der Ergebnisse sollte dann beim Sparkommissar liegen", betonte Wansleben. Bei Nichteinhaltung der Stabilitätskriterien wäre ein Stimmrechts- oder Fördermittelentzug angebracht. Darüber herrscht aber keine Einigkeit im Rat.

Koordinierung der Wirtschaftspolitik soll EU Wachstumsschub verleihen

Die EU-Staats- und-Regierungschefs haben sich zudem auf einen Zehn-Jahres-Plan für Wachstum geeinigt. Das Programm "Europa 2020" ersetzt die Lissabon-Strategie, die mit ihrem Ziel scheiterte, die Union bis 2010 zum weltweit dynamischsten Wirtschaftsraum zu machen. Die neue Strategie sieht feste Ziele zum Abbau von Armut und für mehr Bildung vor. Zudem sollen auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anwachsende Forschungsausgaben der Wirtschaft zu neuen Impulsen verhelfen. Ohne eine weiter gehende Koordinierung und Beseitigung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der EU wird das Papier aber wohl folgenlos bleiben. "Es ist ein Manko, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten in der Vergangenheit ausgeklammert worden ist", hieß es in Kreisen der deutschen Regierung.

#Quelle http://www.handelsblatt.com/politik/international/regierungschefs-einig-jetzt-kommen-die-banken-stresstests-ans-licht;2603155;0

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