Samstag, 14. August 2010

HB: Der Kampf gegen Schmiergeld ist reine Heuchelei

Der Kampf gegen Schmiergeld ist reine Heuchelei“

Der Fall Ferrostaal zeigt: Unternehmen, die Schmiergeld zahlen, drohen Geschäftseinbußen und hohe Strafen. Siemens, Daimler und MAN sind aus dem Schaden klug geworden. Doch ist die Welt wirklich besser geworden oder nur anders? "Ohne Schmiergeld geht es nicht", sagt der mittelständische Rohrleitungsbauer Eginhard Vietz im Interview mit dem Handelsblatt.


Handelsblatt: Herr Vietz, Sie machen Ihr Geschäft hauptsächlich im Ausland. Haben Sie schon einmal Schmiergeld gezahlt?

Eginhard Vietz: Natürlich. Mehr als einmal.

HB: Warum?

Vietz: Weil es nun einmal Länder gibt, in denen es nicht anders geht. In Algerien, Ägypten oder Nigeria kommen Sie ohne solche Zahlungen einfach nicht durch. Das gilt auch für Russland.

HB: Gibt es in diesen Ländern keine Vorschriften gegen Korruption?

Vietz: Wen interessieren denn Vorschriften? In China steht sogar die Todesstrafe auf Bestechung bzw. Bestechlichkeit. Trotzdem habe ich selbst erlebt, dass ich Aufträge nur durch Schmiergeld gewinnen konnte. Und ich habe auch Aufträge verloren, weil ein Konkurrent mehr zahlte.

HB: An wen zahlen Sie das Schmiergeld?

Vietz: An das obere Management im Einkauf. Also die Leute, die entscheiden, wer den Auftrag bekommt. Das sind meist Beamte, man hat es in diesen Ländern ja viel mit Staatsfirmen zu tun.

HB: Und wie wird gezahlt?

Vietz: Das läuft in der Regel ganz ordentlich. Da kommt dann eine Rechnung, auf der steht: Vermittlungsprovision. Und dann ist da ein Konto in der Schweiz angegeben, und dahin wird das Geld überwiesen.

HB: Das heißt, Ihre Marge wird geschmälert.

Vietz: Nein. Der Bestechungsbetrag wird natürlich vorher auf das Angebot draufgeschlagen. Das rangiert so zwischen fünf und zehn Prozent der Auftragssumme.

HB: Sie erzählen das jetzt relativ gelassen.

Vietz: Das ist ja auch kein Weltwunder. Sie müssen sich mal anschauen, vor welchem Hintergrund das abläuft. Die Leute, mit denen man da zu tun hat, sind relativ schlecht bezahlt. Ich war selbst in deren Wohnungen. Da lebt eine dreiköpfige Familie auf 30 Quadratmetern. Und solche Leute entscheiden dann über die Vergabe von Millionenaufträgen.

HB: Sie meinen, Korruption ist eine Frage von Lebensstandard?

Vietz: Natürlich. Sehen Sie, die Entscheidungsträger werden doch von den Anbietern hofiert. Die werden eingeladen nach Deutschland oder die USA, wer immer sich um den Auftrag bemüht. Da werden also die Maschinen gezeigt, die man verkaufen will. Dann geht man schön essen. Aus der Sicht der ausländischen Beamten erleben die auf solchen Reisen den absoluten Luxus. Und davon wollen sie dann etwas abhaben. Das ist ja nur menschlich.

HB: Sagten Sie gerade USA. Die US-Unternehmen reklamieren doch für sich, besonders sauber zu sein.

Vietz: Das ist ein Witz. Mir ist schon klar, das alle zurückzucken, wenn die Amerikaner sich mal wieder aufplustern. Aber die Amerikaner sind die schlimmsten. Die nutzen ihre SEC-Behörde, um Konkurrenten weichzuklopfen, und selber schmieren sie wie die Weltmeister, und zwar mit staatlicher Deckung.

HB: Sie haben da Erfahrung?

Vietz: Allerdings. Ich war vor drei Jahren in Moskau kurz davor, einen großen Auftrag zu bekommen. Ich wusste, dass ich 40 Prozent unter dem Angebot des amerikanischen Konkurrenten war. Plötzlich brachte der den amerikanischen Botschafter mit zum Kundengespräch. Ich habe den Auftrag nicht bekommen.

HB: Zusammengefasst: Alle schmieren, also machen Sie es auch.

Vietz: Genau. Wo es ohne geht, machen wir es natürlich nicht.

HB: Der Siemens-Konzern sagt, man hätte keine Auftragseinbußen verzeichnet, seit man nur noch saubere Geschäfte macht.

Vietz: Ich kann nicht für Siemens sprechen. Vielleicht hat ein Großkonzern da andere Möglichkeiten. Aber ich bezweifle, dass irgendjemand in Ländern wie Nigeria Großanlagen bauen kann, ohne bestimmte Zuwendungen zu machen. Da kommen Sie noch nicht mal von Flughafen weg, ohne jemandem einen Schein in die Hand zu drücken.

HB: Sie haben also kein schlechtes Gewissen?

Vietz: Ich? Warum denn? Mir als Unternehmer ist doch die Pistole auf die Brust gesetzt. Es ist gerade vier Wochen her, da haben wir eine Verhandlung in Afrika gehabt. Da ist uns sogar schriftlich mitgeteilt worden, dass zehn Prozent Bakschisch gezahlt werden müssen.

HB: Sie hätten den Auftrag ablehnen können.

Vietz: Und dann? Soll ich meine Leute nach Hause schicken? Ich kann doch die Welt nicht verändern.

HB: Haben Sie eigentlich gar keine Angst vor den deutschen Behörden?

Vietz: Ich spreche nur aus, was alle wissen.

HB: Aber die Zahlung von Schmiergeld ist strafbar.

Vietz: Niemand hat einen Nachteil aus dem, was ich tue. Um genau zu sein: Ich habe ihnen vorhin gesagt, dass ich Schmiergeld gegen Rechnung zahle. Wenn keine Rechnung kommt, dann zahle ich das Schmiergeld von meinem privaten Konto. Sonst würde ich ja Steuerbetrug begehen.

HB: Sie vertreten eine klare Position. Was halten Sie von der aktuellen Debatte um den Kampf der Unternehmen gegen Korruption und den Ausbau der Compliance-Systeme?

Vietz: Für mich ist das reine Heuchelei.

HB: Die Unternehmen machen nur das, was der Gesetzgeber fordert.

Vietz: Ich würde mir wünschen, dass man die Augen aufmacht und anerkennt, wie die Welt da draußen eben aussieht. Die meisten Politiker wissen das längst. Aber die Vorschriften und Gesetze entfernen sich immer weiter von der Realität. Und es ist unglaublich viel Scheinheiligkeit im Spiel.

HB: Wie meinen Sie das?

Vietz: Viele Schmiergeld-Skandale kommen doch nur aus Neid an die Öffentlichkeit. Zwei Konzerne konkurrieren um ein Angebot. Beide schmieren so gut es geht. Und der, der den Auftrag dann nicht bekommt, läuft zu den Behörden und beschwert sich, dass der andere geschmiert hat.

HB: Aber viele Konzerne bauen doch gerade ihre Antikorruptionssysteme aus.

Vietz: Mag sein. Ich kenne allerdings nur Unternehmen, denen ihre Aufträge wichtiger sind als ihre Compliance-Abteilung.

HB: Gibt es in Ihrem Unternehmen eine Compliance-Abteilung?

Vietz: Nein. Bei uns mache ich das selbst.

Die Fragen stellte Sönke Iwersen.

Der Unternehmer

Eginhard Vietz Der 69-Jährige ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Vietz GmbH in Hannover. Der Unternehmer ist seit drei Jahrzehnten im Rohrleitungsbau tätig und liefert seine Schweißraupen, Hebegeräte und Biegemaschinen in alle Welt. Sein Jahresumsatz liegt nach eigenen Angaben bei 55 Mio. Euro. Er hat zahlreiche hohe Politiker auf Auslandsreisen begleitet. Vor drei Jahren erregte Vietz Aufsehen, als er offen über seine desaströsen Erfahrungen in China berichtete, wo ihm Geschäftspartner sein geistigen Eigentum stahlen. Vietz hat sich aus China zurückgezogen.

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