Japaner bleiben lieber unter sich
Tokio hält Einwanderer bewusst fern – Nur kleine Gruppen von Chinesen, Nordkoreanern und Thailändern 
            Zuwanderung als Antwort auf eine alternde Gesellschaft?  Die Japaner, die ähnliche demographische Probleme haben wie Deutschland,  halten wenig von dieser Idee.
Japan ist keine  multikulturelle Gesellschaft und will auch keine werden. Die Probleme  des Westens mit nicht integrationsfähigen oder -willigen  Immigrantenströmen sind für die japanischen Ministerien und die  politischen Entscheidungsträger abschreckend genug. Auch die  demographische Krise ist kein Motiv für eine liberalere  Einwanderungspolitik.
Derzeit leben rund zwei Millionen Ausländer im  127 Millionen Einwohner zählenden Japan. Die Hälfte sind ethnische  Chinesen und Koreaner, zumeist Nachfahren der zweiten oder dritten  Generation ehemaliger Zwangs- oder Fremdarbeiter, die in den  Nachkriegswirren beschlossen hatten, nicht in ihre Heimat  zurückzukehren. Die meisten sind in der japanischen Gesellschaft voll  integriert, vom Parlamentsabgeordneten bis zum Bankpräsidenten.  Ausnahmen sind die Parteigänger Nordkoreas, die große Teile der  Pachinko-Industrie (bestimmte Art von Spielautomaten) kontrollieren und  mit eigenen Schulen und Kulturzentren in Parallelgesellschaften leben,  wo sie dem Kim-Kult huldigen. Dennoch enden viele nach ihrer von der  Partei befohlenen Übersiedlung in das Arbeiter- und Bauernparadies, als  japanische „Spione“ enttarnt und enteignet, bald elend in  Strafarbeitslagern.
Ein weiteres Viertel der Ausländer besteht aus  Brasilianern und Peruanern japanischer Herkunft (Nikkeijin), deren  Vorfahren als arme Bauern aus Kyushu Ende des 19. Jahrhunderts als  Siedler nach Lateinamerika ausgewandert waren. Ihr prominentester  Vertreter war der peruanische Ex-Präsident Alberto Fujimori, den die  Peruaner el Cinese nannten. Die Regierung hatte erwartet, dass jene  Remigranten, die meist nur noch Spanisch oder Portugiesisch sprachen,  aufgrund ihrer Gene und ihrem in Lateinamerika berühmten Fleiß, sich  leichter in die japanische Gesellschaft integrieren würden als andere  Nationalitäten, und ihre Immigration deshalb systematisch gefördert. Das  Experiment gelang jedoch, ähnlich wie bei den Russlanddeutschen, nur in  Ausnahmefällen, zu stark war die mittlerweile in der Ferne  akkulturierte lautstarke Lebensart und das spontane Temperament der  Latinojapaner von der nüchternen und konformistischen Lebensweise der  alten Heimat entfremdet. Mit ihren Sprach- und Ausbildungsdefiziten und  ihrem geringeren Leistungswillen blieb ihnen der Arbeitsmarkt bis auf  die niedrigsten und am schlechtesten bezahlten Hilfsarbeiter- und  Anlernjobs verschlossen. In der Krise von 2008/09 als erste arbeitslos  geworden, zahlt die Regierung ihnen Prämien und den Rückflug unter der  Auflage, sich sobald, das heißt mindestens drei Jahre, in Japan nicht  wieder blicken zu lassen. 
Während der „Seifenblasen-Ökonomie“ der  80er Jahre wurden einige Hunderttausend Asiaten aus China, den  Philippinen, Vietnam, Indonesien, Thailand, aber auch aus Bangladesch,  Sri Lanka, Iran und Pakistan mit befristeten „Trainee“-Visen ins Land  gelassen. Da sie schmutzige und gefährliche Arbeiten machten, die die  Japaner nicht länger tun wollten, wurden ihre  Aufenthaltsüberschreitungen zunächst toleriert. Das galt und gilt auch  für die eingewanderte Damenwelt, die zumeist als aus den Philippinen  stammende „Japan-yuki“ in dem von den Yakuza kontrollierten und  ausgebeuteten Nachtleben ein Auskommen findet.
Mit dem Ende des  Baubooms und dem starken Anwachsen der japanischen Arbeitslosenzahlen  setzte das Justizministerium die zügige Repatriierung der illegalen  Ausländer durch. Ihre beginnende Ghettoisierung und kleinkriminelle  Massentreffpunkte wie Omotesando, das damals schon Klein-Teheran genannt  wurde, wurden aufgelöst und rückgängig gemacht. Xenophobie und  Ausländerkriminalität gibt es deshalb in Japan weiter so gut wie nicht.
Akzeptiert  dagegen wird die temporäre Immigration von Studenten, Sprachlehrern,  qualifizierten Fachkräften und Akademikern für den Bedarf der  japanischen Industrien und ausländischer Niederlassungen sowie von  weiblichen Pflegekräften aus den Philippinen und Thailand, nach denen in  Japans alternder Gesellschaft ein wachsender Bedarf besteht, und die  diese aufreibende Aufgabe besonders gut zu meistern verstehen.
Ende  der 80er Jahre, als die ersten ausländischen Jungmanager in progressiven  Firmen engagiert wurden, wurde lauthals Klage geführt, dass Ausländer  nie in japanische Führungsetagen und Vorstände vordringen würden. Heute  leiten ein Brasilianer libanesischen Ursprungs, Carlos Goshn, Nissan und  ein Amerikaner britischer Herkunft, Sir Howard Springer, Sony. Nicht  zuletzt gibt nicht nur beim Sumo, im Fußball und an den Hochschulen ein  unübersehbares Ausländerkontingent, es gibt sogar mit Marutei Tsurunen  (eigentlich Martti Turunen) einen Oberhausabgeordneten der  Demokratischen Partei finnischer Herkunft, der sich als Missionar hatte  naturalisieren lassen. Ob er in der Bekehrung der politischen Kultur  mehr Erfolg haben wird, ist noch nicht ausgemacht.
Das  Staatsbürgerrecht beruht wie in Kontinentaleuropa auf dem ius sanguinis,  der Abstammung von japanischen Eltern, und nicht wie in früheren  Siedlungskolonien wie den USA auf den Zufälligkeiten des Geburtsortes.  Die Bedingungen für den Erwerb der japanischen Staatsbürgerschaft  erscheinen im Prinzip unschwer zu erfüllen: der ständige Wohnsitz in  Japan während mindestens fünf Jahren, die Volljährigkeit, ein  vorstrafenfreies Wohlverhalten, genügend Kapital oder Fähigkeiten, um  sich selbst wirtschaftlich zu erhalten, sowie die Bereitschaft, die  bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben. Das Justizministerium  überprüft die Erfüllung dieser Kriterien während eines Jahres nach  Antragseingang. Angesichts der teilweise vage formulierten Kriterien hat  es den in Japan üblichen großen Ermessensspielraum für seine  Entscheidung. Jugendliche mit doppelter Staatsangehörigkeit müssen sich  bei Erreichen der Volljährigkeit (das heißt mit 21 Jahren) entscheiden,  ob sie für die japanische Nationalität optieren oder nicht.  Doppelstaatbürgerschaften sind, wie erwähnt, unzulässig. Als  Liberalisierungsschritt wurde die Verpflichtung, einen japanischen  Familiennamen anzunehmen, Ende der 80er Jahre abgeschafft.    
   
Albrecht Rothacher
 
 
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