Sonntag, 21. November 2010

FAZ: Irland-Die List der deutschen Banken

Irland-Krise

Die List der deutschen Banken

Deutschland soll jetzt auch Irland retten. Und die deutschen Banken finden das gut. Kein Wunder: Denn das schont ihre Bilanzen vor Abschreibungen. Längst hat die Finanzwelt die Politik fest im Griff.

Von Lisa Nienhaus und Christian Siedenbiedel

21. November 2010


Auf einmal ist Josef Ackermann ganz Staatsmann. In den vergangenen Tagen tourte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank durch Brüssel, besuchte den EU-Kommissionspräsidenten, den Ratspräsidenten, den Binnenmarktkommissar. Und sagte dann: „Europa muss als Einheit bewahrt werden und darf nicht kurzfristigen ökonomischen Erwägungen zum Opfer fallen.“

Wenn der Deutsche-Bank-Chef, ein Schweizer, zum glühenden Europäer wird, ist Vorsicht geboten. Was Ackermann sagt, ist klar: Die EU-Staaten sollen Irland finanziell unter die Arme greifen. Von 50 bis 100 Milliarden Euro ist die Rede, die EU und Internationaler Währungsfonds zur Stützung Irlands aufbringen sollen.

Die irischen Banken haben sich verspekuliert. Und mit ihnen auch die deutschen Banken: die bringen jetzt ihre Schäfchen ins Trockene

© Getty Images/Axiom RM
Die irischen Banken haben sich verspekuliert. Und mit ihnen auch die deutschen Banken: die bringen jetzt ihre Schäfchen ins Trockene

Was Ackermann nicht sagt, wird erst auf den zweiten Blick klar: Wenn Europa Irland hilft, hilft es auch den deutschen Banken. Die nämlich sind zweitgrößter Gläubiger Irlands nach den Briten. Sie haben mehr als hundert Milliarden Euro an Krediten in Irland vergeben, davon allein rund 40 Milliarden an die irischen Banken.

Irland nämlich war einst das Spielhaus Europas. Vieles, was anderswo von Gesetz oder Bankenaufsicht verboten war, ging in Irland. Nun sind die großen irischen Geldhäuser auf staatliche Hilfe angewiesen. Es geht die Angst um, dass der irische Staat das irgendwann nicht mehr schultern kann – und dann womöglich die Gläubiger ranmüssen, also auch die deutschen Banken.

Helft Irland, um uns zu helfen

Die Finanzkrise ist wieder dort angekommen, wo sie einmal anfing: bei den Banken. Und die sind frecher geworden. Bedurfte es einst noch der Lehman-Pleite, um zu beweisen, dass Steuergeld für ihre Rettung notwendig ist, sollen mögliche Krisen jetzt schon vorbeugend von den Steuerzahlern der EU abgewendet werden. Damit die Banken nicht für das haften müssen, wofür sie eigentlich üppige Zinsen kassieren: für das Risiko, dass der Ernstfall eintritt und ein Schuldner nicht zahlen kann.

Es gibt Banker, die das sogar offen zugeben. Lutz Raettig, Aufsichtsratschef von Morgan Stanley Deutschland und Sprecher der Frankfurter Banken, sagt: „Die Forderungen der deutschen Banken an Irland sind wichtig genug, um dem Land zu helfen.“ Er spricht damit aus, was die anderen denken: Helft Irland, um uns zu helfen.

Weniger als die halbe Wahrheit

Welche Geldhäuser es genau sind, die die riesigen Kredite an Irland vergeben haben, darüber sagen die Institute zur Zeit lieber nichts. Wohlweislich, schließlich könnte das den Aktienkurs drücken. In der Deutschen Bank nennt man lediglich 309 Millionen Euro Forderungen gegen den irischen Staat und Gebietskörperschaften – eine läppische Zahl im Vergleich zu den Milliarden, die deutsche Banken in Irland insgesamt verliehen haben.

Und vermutlich weniger als die halbe Wahrheit. Denn wenn man sich die Zahlen für die deutschen Banken insgesamt anguckt, machen Verbindlichkeiten gegenüber dem Staat nur einen winzigen Teil dessen aus, was an Irland verliehen wurde (siehe Grafik). Der Großteil des Geldes ging an irische Banken und Unternehmen. Hier schweigt die Deutsche Bank wie ihre Konkurrenten über die Details.

„Immer das selbe Spiel“

Ökonomen bringt das in Rage. Hans-Werner Sinn, der Leiter des Münchner Ifo-Instituts, sieht „eine Achse von der Europäischen Union zu den deutschen Banken, um Unterstützung für die Rettungspakete für Irland zu generieren“. Dabei ist er sicher, dass Irland die Hilfe eigentlich überhaupt nicht braucht. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liege 20 Prozent über dem deutschen, die Schuldenquote sei beherrschbar, selbst wenn sie jetzt noch ansteige. „Irland ist nicht bankrott.“ Stattdessen dramatisierten die Banken die Krise, um das gewünschte politische Ergebnis herbeizuführen. „Es ist immer dasselbe Spiel. Langsam wird es langweilig.“

Langweilig, mag sein. Aber auch sehr teuer. Und das Spiel funktioniert. Irland hat tatsächlich lange gar nicht um Hilfe gebeten. Die Politiker des Landes betonten immer wieder, dass sie bis Mitte 2011 keine neuen Kredite benötigten. Doch jetzt wird in Dublin verhandelt, und es deutet sich an, dass womöglich ein zweistelliger Milliardenbetrag als Hilfe an die Insel fließen wird.

„Anlagenotstand beseitigen“

Die Gewinner dieses Spiels sind zuallererst die Gläubigerbanken. Sie haben sich schön aus der Affäre gezogen – und können Sätze sagen wie Martin Blessing, Vorstandsvorsitzender der Commerzbank. „Aus der Banken- und Wirtschaftskrise ist jetzt eine Krise der Staatsschulden geworden.“ Übersetzt: Am Anfang waren wir schuld, jetzt aber die anderen. Das mag für Griechenland stimmen. Für Irland stimmt es nicht: Dort gibt es eine massive Bankenkrise.

Und schon wieder wittern die deutschen Banken den großen Reibach. Wenn nämlich die EU an Irland Geld vergibt, wird es sicherer, in ganz Europa anzulegen – und die Banken machen wieder mehr Geschäft. Derzeit lassen sie das Geld vor allem in Deutschland, Ifo-Chef Sinn nennt das einen „Anlagenotstand“ und ist sicher: „Die Banken wollen, dass dieser Notstand beseitigt wird und sie das deutsche Spargeld wieder fröhlich in die Welt hinaustragen können. Und dafür soll am besten auch noch der deutsche Steuerzahler bürgen.“ EU-Hilfen für Irland brächten für die Banken also einen doppelten Gewinn. Sie schonen die Bilanzen vor Kreditverlusten und eröffnen neues Geschäft.

Solidaritätssemantik schüren

Die Politik macht das Spiel mit und schweigt über die Banken. Denn Bankenrettung ist seit HRE & Co nicht sehr populär. „Wir retten Irland, damit wir nicht die Banken retten müssen“, sagt Bankwissenschaftler Hans-Peter Burghof. Solidarität mit Irland ist politisch eher zu verkaufen als Solidarität mit Josef Ackermann.

Die Banker schüren diese Solidaritätssemantik nach Kräften. Sie sprechen von Kettenreaktionen und Dominoeffekten, die auf Irland folgen könnten. Und skizzieren Schreckensszenarien, die eintreten würden, wenn man sie selbst an den Hilfen für Irland beteiligte. Jürgen Fitschen, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, etwa schickt zwar vor, dass es auf Dauer Regeln geben solle, wie die Gläubiger von Staatsschulden an den Ausfällen beteiligt werden. Doch dann droht er: „Wenn man das jetzt aber für Irland macht, könnte es an den Märkten eine Katastrophe geben.“ Das Argument wird ihm das nächste Mal auch wieder einfallen.

Überzogene Angst der Banker

Ohnehin muss man die Drohungen der Banker bezweifeln. Stefan Homburg, Finanzwissenschaftler an der Universität Hannover, ist überzeugt, dass die Angst überzogen ist. „Es geht nicht um die Existenz der deutschen Banken, es geht um Abschreibungen, die man verhindern will.“ Seiner Meinung nach sind die Spitzen-Banker längst mächtiger als die Politiker – und viel klüger.

Homburg hat eine Möglichkeit gefunden, um sich als Steuerzahler zu entschädigen. Er kaufte in der Krise Aktien der Deutschen Bank. Bei jeder Rettungsaktion steigt nun deren Wert. „Die Gewinne entschädigen mich für die zusätzlichen Steuern, die fällig werden, weil die Banken gerettet werden.“

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: AFP, dapd, dpa, F.A.Z., Getty Images/Axiom RM

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