«Das Weibliche ist heute mehr wert als das Männliche»
Von Bettina Weber. Aktualisiert am 07.01.2010
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Zur Person
Der heute 70-jährige Soziologe hat sich Anfang der Neunzigerjahre auf das Gebiet der Männerforschung spezialisiert. Er war 35 Jahre lang Professor an der Freien Universität in Berlin und verfasste zahlreiche Bücher zum Thema. Das letzte heisst «Was vom Manne übrig blieb» (Aufbau-Verlag, Berlin 2008. 304 S., ca. 35 Fr.). Walter Hollstein lebt in Basel.
Sie sind überzeugt: Männer werden diskriminiert.
Dem ist auch so. Zum Beispiel bei der Gesundheit, im Sorgerecht, bei der AHV oder dem Militärdienst. Dem Zeitgeist entsprechend ist das Weibliche heute mehr wert als das Männliche.
Konkret?
Im Baselbiet hat die Rektorin einer Schule nach ihrem Amtsantritt verordnet, dass aus der Spielfläche für Buben auf dem Pausenplatz eine Kommunikationsfläche wird, weil sie fand, dass Reden für Buben wichtiger sei als Toben. Das mag gut gemeint sein, läuft aber völlig an den Bedürfnissen der Buben vorbei. Ich verstehe auch nicht, dass die Väter der Buben nicht eingegriffen haben.
Die Diskriminierung fängt schon bei den Buben an?
Das Grundproblem ist, dass sich heute niemand mehr mit den Eigenheiten und Bedürfnissen von Buben beschäftigt. Ein simples Beispiel: Buben hören signifikant schlechter als Mädchen. Wenn sie dann eine leise sprechende Lehrerin haben und auch noch in den hinteren Schulbänken sitzen, verstehen sie nichts mehr und werden unruhig. Dazu kommt, dass Jungen von Geburt an motorischer sind als Mädchen, gleichzeitig aber sind sie biologisch und physisch schwächer und brauchen mehr Halt. Auf diese Eigenheit muss man im Unterricht eingehen, statt ihnen Ritalin zu verordnen. Leider behauptet der ideologische Feminismus das Gegenteil, und das wirkt auch in den Klassenzimmern.
Was ist das grösste Problem, das Männer zurzeit haben?
Dass sie nicht mehr wissen, wer sie sind. Und gleichzeitig Angst haben, Antworten zu finden. Antworten, die auch bedeuten, dass man sich ein Stück weit verändern müsste, weil sich die gesellschaftlichen Bedingungen verändert haben.
Inwiefern?
Zum Beispiel ist die klassische Definition von Mannsein über Arbeit, Status und die Alleinernährerrolle überholt: Die Wirtschaft entwickelt sich von der männlichen Schwerindustrie immer mehr zur weiblichen Dienstleistung, damit müssen sich Männer neue Eigenschaften wie Empathie, Teamgeist oder Flexibilität erwerben. Und die Arbeitsteilung der Geschlechter hat sich verschoben, wenn Frauen erwerbstätig sind, müssen Männer zu Hause mithelfen.
Damit tun sich die Männer oft noch ziemlich schwer.
Es gibt viele Untersuchungen, die zeigen: 80 Prozent der jungen Frauen haben ein modernes Frauenbild. Sie wollen eine gute Ausbildung, einen Beruf, der ihnen Freude macht, und sie wollen Kinder, aber mit einem partnerschaftlichen Mann. Bei den Männern sind es nicht mal 25 Prozent, die diese Vorstellungen teilen. Das läuft auf einen Clash der Geschlechter hinaus.
Die Frauen haben vorwärtsgemacht, die Männer sind stehen geblieben. Wieso das?
Es war ganz wichtig, dass man vor 30, 40 Jahren Frauen- und Mädchenförderung gemacht hat. Das Problem ist aber, dass man die Buben und Männer links liegen gelassen hat, man versah sie einfach mit dem Label «starkes Geschlecht». Das Resultat ist, dass eine Generation von modernen Frauen entstanden ist, die auf eine Generation traditioneller Männer trifft.
Keine guten Aussichten für glückliche Partnerschaften.
Natürlich nicht. Man weiss aus Untersuchungen in Skandinavien, dass Ehen stabiler sind, in denen Erwerbstätigkeit, Haushalt und Erziehung mit-verantwortlich geteilt werden. Und es nimmt ja nicht nur die Anzahl von Scheidungen und Trennungen zu, sondern vor allem hat sich auch die Ehedauer drastisch verkürzt. Die meisten Scheidungen erfolgen im fünften Jahr, und 75 bis 80 Prozent der Trennungen gehen von Frauen aus, weil sie nicht mehr wie früher aus materieller Notwendigkeit darauf angewiesen sind, in einer Situation auszuharren, die für sie nicht mehr tolerierbar ist.
Ist der Feminismus daran schuld?
Der Feminismus war eine wichtige soziale Bewegung, die die Frauen aus ihren alten Rollen befreit hat. Aber er hatte eben auch fatale Folgen. Die Realität von Männern wurde nur verzerrt wahrgenommen. Sie wurden allesamt als Unterdrücker, als mächtig und privilegiert dargestellt, aber es war – empirisch betrachtet – immer nur eine verschwindend geringe Minderheit von Männern, die im Übrigen ja auch ihre eigenen Geschlechtsgenossen ausgebeutet haben und nicht nur die Frauen. Im Kampf gegen das «Patriarchat» wurde dann ein allumfassendes Feindbild «Mann» konstruiert, statt zu differenzieren. Die Folge ist, dass das einst positive Männerbild verschwunden ist. Der irische Psychiater Anthony Clair schreibt in seinem Buch «Männer haben keine Zukunft», die Gesellschaft werte Männlichkeit inzwischen als pathologische Abweichung.
In Deutschland macht zurzeit das Thema des Maskulismus von sich reden: Männer fühlen sich von diesen souveränen, selbstbewussten Frauen in die Ecke gedrängt und geringgeschätzt.
Das wundert mich nicht. Das deutsche Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend – nur schon der Name ist bezeichnend, Männer kommen gar nicht erst vor – hat vor zwei Jahren eine repräsentative Untersuchung über 20-jährige Frauen und Männer in Auftrag gegeben. Das Ergebnis ist erschreckend: Junge Männer haben Angst, überflüssig zu werden. Die modernen Frauen bräuchten sie nicht mehr, nicht mal zur Zeugung, seit es die Samenbanken gibt, und auch auf dem Arbeitsmarkt seien sie immer weniger gefragt. Daraus ergeben sich deutliche Animositäten gegenüber Mädchen und Frauen. Es herrscht der nicht unberechtigte Eindruck, dass die heute alles besser können und, im Gegensatz zu Buben und jungen Männern, auch noch gefördert werden. Je virulenter diese Angst wird, desto mehr klammert man sich an alte Bilder.
Buben brauchen also dringend neue Vorbilder. Wo sollen sie die hernehmen?
Sie sollten sich primär an ihren Vätern orientieren können und sekundär an ihren Lehrern, aber in beiden Bereichen fehlen die Männer immer mehr. Es braucht in den Erziehungsinstitutionen vor allem deshalb mehr Männer, weil Buben heute in einem weiblichen Ghetto aufwachsen – von der Familie über den Kindergarten bis zum Gymnasium sind sie von Frauen umgeben. Ein Fünftel der Buben wird inzwischen mit einer alleinerziehenden Mutter gross. Wir wissen zur Genüge, dass eine solche Konstellation das grösste Armutsrisiko ist, dass solche Buben signifikant häufiger krank werden, die Schule abbrechen, sich selber töten, im Erwachsenenalter eher depressiv werden und der Fürsorge auf der Tasche liegen.
Die zunehmende Feminisierung hat damit zu tun, dass der Erziehungsberuf abgewertet worden ist, die Männer wollen diesen Job gar nicht mehr machen.
Das ist in der Tat eine soziologische Gesetzmässigkeit: Wenn ein Beruf gesellschaftlich abgewertet wird, danken die Männer ab, und die Frauen springen ein. Mittlerweile haben aber jüngere Männer Berührungsängste, weil dieser Bereich so sehr ein weibliches Biotop ist. Ein junger Mann hat mir mal gesagt: «Um Gottes willen, bloss nicht in diesen Mutti-Muff.»
Die Realität sieht trotzdem anders aus: Männer sind immer noch tonangebend.
Klar, wenn man statistisch die Machtpositionen betrachtet, dann leben wir immer noch in einer männerdominierten Gesellschaft. Aber wenn man von unten die Entwicklung anschaut, sind heute mehr junge Männer als junge Frauen arbeitslos und machen mehr junge Frauen einen Uni-Abschluss. Ganz abgesehen davon, dass sich häufiger Buben umbringen als Mädchen und Buben krankheitsanfälliger und verhaltensauffälliger sind.
Weshalb reagiert die Politik nicht darauf? Diese Buben- und Männerprobleme sind ja offen- kundig, und sie kosten Unmengen an Geld.
Absolut, die Folgekosten sind enorm. Bei Delikten fallen Prozesskosten an, die Versicherungen müssen bezahlen, dann gibt es eventuell eine Massnahme in einem Heim oder eine Therapie. Bei denen, die in der Schule versagen, muss die Arbeitslosenkasse einspringen, später dann die Fürsorge, das kostet Millionen, wenn nicht Milliarden. Es ist doch Wahnsinn, dass diese Unkosten so hingenommen werden. Aber da wirkt noch immer das traditionelle Männerbild: Buben und Männer dürfen keine Probleme haben.
(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 07.01.2010, 10:26 Uhr
1 Kommentar:
LOL
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