Dienstag, 20. März 2012

DerStandart: Gut inszeniert, die Mainstream-Meinung

Kurt Gritsch

Gut inszeniert, die Mainstream-Meinung

Leser-Kommentar | 14. März 2012 09:15

Sind bürgerliche Qualitätszeitungen Kriegshetzer? Medienkritik aus Sicht eines Konfliktforschers

Lesen Sie gerne Zeitung? Und wenn ja, gehören auch Sie zu jenen, die bürgerlichen Qualitätsblättern wie "FAZ", "NZZ", "Süddeutscher Zeitung" oder "Die Zeit" die Stange halten? Ich bekenne: Ich gehöre nicht dazu. Nicht mehr, seit ich über viele Jahre feststellen musste, dass die publizistische Vorbereitung von Krieg dort Methode hat. Starker Tobak, meinen Sie?
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Sachlage scheint "objektiv" und eindeutig
Als Student las ich 1998 von gewaltsamen Übergriffen von Polizeieinheiten auf Zivilisten im Kosovo. Die Sachlage schien eindeutig, so gut wie niemand wäre ohne Sympathie für die verfolgten Albaner gewesen. Zugleich fanden wir alle, dass man Serbien mit seinem "neuen Hitler" Slobodan Milosevic, der nicht auf diplomatische Verhandlungen reagierte und "seine eigenen Bürger" ermordete, zur Räson bringen musste, notfalls auch mit Gewalt. Der Krieg sollte mit Krieg gestoppt werden. Dass dadurch die Zahl der Toten am Ende mehr als verzehnfacht würden, konnten wir uns nicht vorstellen.
Im Frühjahr 1999 schickte die NATO Kampfflugzeuge, die ausschließlich serbische Militäreinrichtungen bombardierten (von den planvoll getroffenen Schulen und Krankenhäusern erfuhr ich erst viel später), was die Albaner vor einem "neuen Auschwitz" (Joschka Fischer) retten sollte. Doch als die Massenbombardements auf Serben überraschenderweise doch keine Menschenrechte schützten, sondern zur Massenvertreibung der Albaner führten, kam plötzlich Skepsis auf. Irgendetwas konnte da nicht stimmen, auch wenn alle maßgeblichen deutschsprachigen Massenmedien weiterhin behaupteten, dass die Luftschläge (das Wort "Krieg" wurde tunlichst vermieden) erfolgreich seien.
Wurden Fakten einfach unterschlagen?
Die Mainstream-Meinung sprach nur von zwei Alternativen: eingreifen oder zusehen, wobei letzteres mit dem Vorwurf ergänzt wurde, dass man so niemals Krieg gegen Hitler hätte führen können. Ein dritter Weg schien nicht zu existieren (die schon 1998 vorhandenen Lösungsvorschläge der Friedensforscher schafften es nämlich erst gegen Kriegsende in die großen Medien), Fakten wurden einfach unterschlagen, wie z. B. die Strategie der albanischen Terroreinheit UCK, einen Bürgerkrieg anzufachen, die eigenen Leute zu opfern und dadurch die NATO zum Eingreifen zu bewegen (von wegen Holocaust!).
Nichts zu hören war auch von politischen, ökonomischen und geostrategischen Interessen der Interventionsstaaten. Das Ziel der NATO war nämlich in Wirklichkeit die Wandlung des Bündnisses vom Verteidigungspakt zur globalen Eingreiftruppe gewesen. Und der Krieg hatte nicht geführt werden müssen, weil die Diplomatie gescheitert war, sondern weil die USA und ihre Verbündeten die Verhandlungen hatten scheitern lassen, um einen Vorwand für den längst entschiedenen Krieg zu bekommen. In den etablierten deutschsprachigen Massenmedien war dies 1998/99 (mit Ausnahme des sozialistischen Spektrums) allerdings nirgendwo zu lesen.
Meinung versus Fakten
So viel zum Unterschied zwischen Meinung und Fakten. Bittere Erkenntnis dabei: Was ich, was wir 1998 für unsere Meinung gehalten hatten, war kaum mehr gewesen als ein Wiederkäuen der gängigen Positionen bürgerlicher Medien. Wenn "FAZ", "Süddeutsche" und "NZZ" unisono vor "ethnischen Säuberungen" und einem "Genozid" an den Albanern warnten, musste Serbien doch gestoppt werden. Was lag also näher, als die Forderung nach einer militärischen Intervention zu unterstützen, weil die UNO zu schwach war?
Die Fakten sahen anders aus: Während UN-Generalsekretär Kofi Annan eine "politische Lösung" forderte und Serbien und die UCK gleichermaßen für die Eskalation verantwortlich machte, sinnierte z. B. "Die Zeit" nur noch darüber, ob Deutschland bei einem NATO-Einsatz (das Wort "Krieg" wurde tunlichst vermieden) mitmachen sollte oder nicht. Damit rief das wohl angesehenste deutsche Wochenblatt zum Verfassungsbruch auf und half tatkräftig mit, den ersten deutschen Krieg seit 1945 vorzubereiten. Im Mai 1999 rechtfertigte es dann nochmals diese Entscheidung in einem langen Fischer-Interview unter dem völlig ironiefrei gewählten Titel "Wie Deutschland in den Krieg geriet".
Blick zu aktuellen Brennpunkten
Wozu dieser ellenlange Blick in die Vergangenheit? Erstens, weil wir Historiker am liebsten sowieso immer bei Adam und Eva anfangen würden. Und zweitens, weil sich die Geschichte zwar nie wiederholt, aber häufig ähnelt. Eine dieser Ähnlichkeiten ließ sich an den "Arabischen Revolutionen" feststellen: Sobald in einem Staat bürgerkriegsähnliche Unruhen entbrannten, waren die bürgerlichen Medien zur Stelle, um als Lösung für das publizistisch mit entfachte Krisenfeuer was anzubieten? Sie erraten es schon: einen NATO-Einsatz (das Wort "Krieg" wurde tunlichst vermieden).
Als die BRD sich im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthielt und jene Resolution 1973, die zur Grundlage der Bombardierung und Zerstörung Libyens wurde, nicht mittrug, kritisierte "Die Zeit", Deutschland könne sich Isolationismus nicht leisten. Will heißen: Bitteschön in erster Reihe marschieren und bombardieren. Der Kriegseinsatz gegen Gaddafi sei "richtig und gerecht", er verliere erst dann seine Legitimität, "wenn der Feldzug zum Fehlschlag wird". Will heißen: Erfolgreiche Kriege sind automatisch legitim. Will weiters heißen: Wenn sich die NATO als das mit Abstand stärkste Militärbündnis der Welt einen schwachen Staat als Gegner auswählt, dann ist das immer legitim, weil sie nämlich erfolgreich ist.
Sprache schafft Wirklichkeit
Und dann, wenig später, Syrien: Wieder lässt ein böser Diktator unbewaffnete Zivilisten erschießen. Um nicht missverstanden zu werden: Es steht außer Frage, dass das Assad-Regime schwerste Menschenrechtsverletzungen begeht. Die entscheidende Frage ist aber, wie man die Gewaltspirale stoppt. Und die Vergangenheit zeigt ganz klar: Bombardierungen im Rahmen sogenannter "humanitärer Interventionen" machen alles nur noch schlimmer. Weniger Gewalt ist allenfalls durch Verhandlungen und Kompromisse, selbst mit einem Diktator, zu erreichen.
Wann und wie geraten internationalen Ereignisse in den medialen Fokus?
Dass unter den laut UN im Februar 2012 geschätzten 5.000 Toten rund 2.000 Soldaten und Sicherheitskräfte sind, wird allerdings in den meisten bürgerlichen Printmedien kaum erwähnt. Kein Wort davon, dass "der Westen" einen Regimewechsel erzwingen will wie in Libyen, damit das strategisch wichtige Syrien sich von Russland weg und zu den USA und der EU hin orientiert. Oder wussten Sie, dass das Assad-Regime 2011 mit Reformen begonnen hat? Dass der seit 1963 geltende Ausnahmezustand aufgehoben, Gefangene freigelassen, korrupte Gouverneure abgesetzt und die alleinigen Herrschaftsansprüche der Regierungspartei aufgegeben wurden? Wo stand zu lesen, dass Teile der innersyrischen Opposition einen Machtkompromiss mit Assad einzugehen bereit sind, während die u. a. von den USA mit Geld unterstützte Exilopposition zu keinem Entgegenkommen bereit ist?
Reflexion über Recherquellen
Ist dieses Verschweigen von Fakten Zufall oder Methode? Vielleicht ist die Frage zu hart: Auch Journalisten können nicht alles wissen. Immerhin versorgen in den USA geschulte Kampagnenaktivisten die Massenmedien mit täglichen 'Nachrichten', Videos und Telefonaten unklarer Herkunft, immerhin gibt die verbotene Muslimbruderschaft mit der in Schweden erstellten Internetseite 'Syrische Revolution 2011' ihre Ziele (Sturz Assads und Flugverbotszone - das Wort "Krieg" wird, Sie haben richtig geraten, tunlichst vermieden) als jene des "syrischen Volkes" aus.
Auch Journalisten können politischen und medialen Manipulationen wie der Anti-Assad-Kampagne (u. a. im Internet von AVAAZ) von EU, USA und den arabischen Verbündeten (Katar, Saudi-Arabien, Jordanien) auf den Leim gehen. Doch halt: Sollten Journalisten nicht einen geschulten Umgang in Konfliktberichterstattung haben? Müssten ihnen nicht Manipulationsversuche bekannt sein, müssten sie nicht darüber Bescheid wissen, dass eine gewaltsame Einmischung in einen Bürgerkrieg nur zu noch mehr Gewalt und Toten führt? Und woher plötzlich dieser Glaube an das Gute "der militärischen Mission Menschenrechte", wo doch im selben Atemzug NATO-Verbündete wie das als überaus demokratisch bekannte Saudi Arabien oder Katar, das seine eigenen Demonstrationen mithilfe saudischer Soldaten niedergeschlagen hat, erwähnt werden? Und ein Letztes: Müsste Qualitätsjournalismus nicht zumindest ein paar Grundkenntnisse darüber haben, dass alle Staaten, auch die unsrigen, Interessen haben und dafür notfalls auch bereit sind, über Leichen zu gehen?
Voreilige Stigmatisierung?
Stattdessen werden Russland und China, die mit ihrem Veto im Sicherheitsrat gegen eine militärische Eskalation stimmten, als "Helfer des Mörders" Assad diffamiert ("Die Zeit"), der "gegen das eigene Volk" kämpft. Assad, so weiß es ein Kommentar in der Süddeutschen Mitte Februar 2012, "löscht das Feuer der Rebellion mit Blut". Nur konsequent fordert das bürgerliche Spektrum nun also auch für Syrien die militärische Intervention, pardon: Es spielt den objektiven Beobachter: "Die Forderung, die internationale Staatengemeinschaft müsse eingreifen, wird immer lauter" ("Süddeutsche"). Die Frage, die dabei die "NZZ" beunruhigt, ist nicht etwa jene nach den Folgen der Eskalation, sondern danach, wer schlussendlich bereit ist, die Drecksarbeit zu übernehmen und Truppen nach Syrien zu schicken.
Das ist Kriegstreiberei und gehört auch als solche bezeichnet. Es gibt nämlich noch einen anderen Weg, wie der Bundesausschuss Friedensratschlag der deutschen Friedensforscher Ende Jänner 2012 in seiner Pressemitteilung klar gemacht hat: "Wer es also wirklich ehrlich meint mit dem Wunsch nach mehr Demokratie und Partizipation der Menschen (...), muss sich jeglichem gewaltsamen Einmischungsversuch von Außen widersetzen."
Von bürgerlichen Qualitätszeitungen sollte erwartet werden dürfen, dass sie sich zum Thema Kriege und Konflikte an die diesbezüglichen Spezialisten wenden, an die Friedens- und Konfliktforscher. Denn, wie Jürgen Todenhöfer in der "FAZ" im Dezember 2011 klargestellt hat: "Jeder hat ein Recht auf eigene Meinung, aber keiner auf eigene Fakten." (Leserkommentar, Kurt Gritsch, derStandard.at, 14.3.2012)
Autor
Kurt Gritsch, Historiker und Konfliktforscher. Forschungsschwerpunkte: Jugoslawien, vergleichende Konfliktforschung der Arabischen Revolutionen. Zuletzt erschienen: "Inszenierung eines gerechten Krieges? Intellektuelle, Medien und der Kosovo-Krieg", Georg Olms Verlag 1999.

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