Montag, 29. November 2010

FAZ: Wolfgang Schäuble Die Schuldenminister

Wolfgang Schäuble

Die Schuldenminister

Wolfgang Schäuble verkauft das Rettungspaket für Irland in Höhe von 85 Milliarden Euro als „Erfolg“. Dabei hat er sich in den Verhandlungen schon wieder nicht durchsetzen können – oder wollen. Selten hat ein Finanzminister die Interessen deutscher Steuerzahler leichtfertiger geopfert. Ein Kommentar von Holger Steltzner.

29. November 2010


Für die Bundesregierung kommt die Veröffentlichung geheimer Dossiers des amerikanischen Außenministeriums nicht ungelegen. Weil es viel unterhaltsamer ist, sich mit teils peinlichen Einschätzungen deutscher Politiker durch amerikanische Diplomaten zu beschäftigen, braucht die Regierung dem Steuerzahler nicht erklären, warum er nun auch noch für Schulden des irischen Staats und der irischen Banken bürgen muss.

Ohne störende Nachfragen kann Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble das Rettungspaket für Irland in Höhe von 85 Milliarden Euro als „Erfolg“ verkaufen, obwohl er sich schon wieder in den Verhandlungen mit den EU-Finanzministern nicht durchsetzen konnte – oder wollte. Jedenfalls ist von der ursprünglich zwingenden Beteiligung der Gläubiger an den Kosten einer Staatsschuldenkrise nicht viel geblieben. Nur im „Extremfall“ sollen sich Banken künftig an der Rettung von Staaten beteiligen, private Gläubiger sollen lediglich „ermutigt“ werden, doch bitte die Staatsanleihen noch ein wenig länger zu halten. Aus dem von Kanzlerin Angela Merkel angekündigten dauerhaften Krisenmechanismus könnte nichts weiter werden als die Fortschreibung des eigentlich 2013 auslaufenden Rettungsfonds in der Europäischen Währungsunion. Wenn man dann noch den Bürgschaftsrahmen ausdehnt, steht das Tor zur Transferunion endgültig weit offen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit seiner französischen Kollegin Christine Lagarde: Statt mit einem Schuldenschnitt zu helfen, packen die Euro-Finanzminister neue auf alte Schulden.
© dpa
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit seiner französischen Kollegin Christine Lagarde: Statt mit einem Schuldenschnitt zu helfen, packen die Euro-Finanzminister neue auf alte Schulden.

Selten zuvor hat ein Bundesfinanzminister die Interessen deutscher Steuerzahler leichtfertiger einem unbestimmten, angeblich überwölbenden europäischen Gemeinwohl geopfert. Deutschland habe von der Einführung des Euro stärker als andere Länder profitiert, deshalb müssten die Deutschen bereit sein, für andere zu haften, behaupten Schäuble und die Banken.

Das kann man auch anders sehen!

Das größte Geschenk der Währungsunion waren extrem niedrige Zinsen für ehemalige Weichwährungsländer, die dort zu einem Boom geführt und zu einer Ausweitung der Verschuldung und der Spekulation mit Häusern verführt haben.

Die Stabilität des Euro ist nicht in Gefahr

Wegen der Inflationsgefahren in der boomenden Peripherie der Währungsunion hatte die Europäische Zentralbank in der ersten Dekade die Zinsen höher gehalten als es für die stagnierende deutsche Volkswirtschaft gut war, die übrigens auch darunter litt, dass heimische Banken die Spargelder ihrer Kunden in der Welt verteilten, aber nicht in Deutschland investierten. An diese schwierigen Jahre, die geprägt waren von Lohnverzicht, Mehrarbeit und zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen, können sich viele Arbeitnehmer hierzulande noch gut erinnern. Für Deutschland waren das keine goldenen Jahre, anders als in Griechenland, Irland, Spanien oder Portugal. Wenn heute, zu Beginn einer spiegelverkehrten Entwicklung, in der Deutschlands Aufschwung vom niedrigen Zins und dem schwächeren Euro begünstigt wird, von den Deutschen ein Euro-Sonderopfer verlangt wird, kann man das auch als ungerecht empfinden.

Das wiederholte Beschwören der angeblichen Euro-Krise mit drohender Ansteckungsgefahr für Spanien oder Portugal fällt auf diejenigen zurück, die irreführend dramatisieren. Die Stabilität des Euro ist nicht in Gefahr, es geht nicht um den inneren oder äußeren Wert der gemeinsamen Währung. Vielmehr handelt es sich um eine Staatsschuldenkrise von Ländern, die über Gebühr lange Zeit auf Pump gelebt haben. Länder mit gesunden Staatsfinanzen werden nicht über Nacht vom Schuldenvirus befallen. Der Vorwurf, die Märkte spekulierten gegen Irland und gäben dem Land kein Geld mehr, ist ebenfalls falsch. Bis Mitte kommenden Jahres muss Irland kein Geld am Kapitalmarkt aufnehmen. Der Rettungsschirm wurde dem Land von den EU-Partnern geradezu aufgezwungen.

Es ist unprofessionell, erst zu schwätzen und dann nachzudenken

Natürlich hat das planlose Gerede über die Beteiligung privater Gläubiger die Märkte verunsichert und die Zinsen auch für Spanien, Italien oder Portugal in die Höhe getrieben. Es ist unprofessionell, erst zu schwätzen und dann nachzudenken, wie man die untragbar gewordene Kreditlast eines Euro-Landes umschulden könnte. Trotzdem ist es nur recht und billig, wenn Käufer von Staatsanleihen nicht nur die Rendite einstreichen, sondern auch ein Teil des Risikos tragen. Die Instrumente hierfür müssen nicht neu erfunden werden. Im Pariser Club wurden in den vergangenen 54 Jahren 419 Umschuldungen für 88 Länder vorgenommen, ohne dass Banken wie Dominosteine fielen

Am Beginn der finanziellen Gesundung eines Schuldners steht üblicherweise der Verzicht der Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderung. Das gilt für Privatleute wie für Unternehmen und Staaten. Warum das ausgerechnet für Länder der Währungsunion nicht gelten darf, weiß nur die Euro-Gruppe. Statt in einer Umschuldung etwa ein Fünftel der Kredite zu streichen und die eine oder andere Bank – wenn nötig – aufzufangen, packen sie auf zu hohe alte Staatsschulden verbürgte neue obendrauf. Die Euro-Finanzminister sollten sich nicht wundern, wenn ein durch radikales Sparen geschwächter Schuldner vor seinem Zusammenbruch die Bürgschaften zieht und sie nicht zurückzahlen kann.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa

Lesermeinungen zum Beitrag

29. November 2010 21:15
"Schuldenminister"? Mir fallen da noch ganz andere Begriffe ein... [12]
Bryan Hayes (bhayes)

die ich lediglich aus formalen Gründen hier nicht anführe.
Die Vorgänge sind absolut unglaublich, wo hat es das schon gegeben, dass ein Land einfach auf einen Schlag die Wirtschaftsleistung eines ganzes Jahres ans Ausland verschenkt (wenn es dumm läuft) und für alle Folgejahre 10% oder mehr der Wirtschaftsleistung auf unbeschränkte Zeit verschenkt, ohne jede Gegenleistung, ohne jeden Grund?
Sind wir nach einem 10-jährigem Krieg tributpflichtig geworden?
Der Schaden entspricht ja der kompletten Zerbombung mehrerer Großstädte. Jahr für Jahr!

Ein wahrer Schüler Helmtu Kohls [<10]
david nopotis (davidnopotis)

Das leichtfertige Preisgeben deutscher Interessen haben wir in einem bis dahin nie gekanntem Ausmaß in den 16 Jahren der Regierung Kohl miterleben dürfen. Auch damals wurde öffentliches Geld nach aussen verplempert ohne dass es dafür auch nur halbwegs gewichtige nationale Gründe gab. Vielleich wollte man sich auch nur ein bisschen wichtig machen. Verstanden hat man schon wegen der fehlenden Sprachkenntnisse im Kreise der anderen Staatenlenker ohnehin nichts.
Als Schüler von Kohl macht Schäuble hier einfach weiter und bemerkt gar nicht, dass wir wegen all der übernommenen Lasten auch schon bald bei einer öffentlichen Verschuldung ankommen, die dem jährlichen Inlandsprodukt entspricht. Schäuble hinterlässt den Eindruck eines kranken Menschen der der Herausforderung seines Amtes in einer Zeit, in der es um das finanzielle Überleben unseres Landes geht, nicht gewachsen scheint.
Er sollte platz machen.


so traurig wie wahr [<10]
Thomas Gehrenberg (tgehrenberg)

die Inflation sieht man schon daran, daß sich bei Griechenland Frau Merkel selbst hinterher noch ans Mikrofon bemüht hat. Bei Irland reicht als öffentliche Info schon ein rudimentäres Statement des Finanzministers und bei Portugal wird diese unliebsame Aufgabe sicher an die Staatssekretärsebene weitergereicht.
Die Reaktion der Märkte spricht jedenfalls eine deutliche Sprache.

Systemzweifel jetzt auch an Deutschland [<10]
Ron Schmitz (Ron777)

Das Finanzsystem zweifelt mittlerweile nicht mehr nur an einzelnen (Krisen-)Ländern, es zweifelt an Europa als Ganzheit. Wie bereits mehrfach gewarnt, überschlagen sich nun die Ereignisse und wir stehen vor einem Systemcrash, der nur Verlierer kennen wird. Trotz 85-Milliarden-Paket für Irland beruhigen sich die Märkte - wie abzusehen war - nicht. Der Außenwert des Euros verfällt weiter, die Risikoaufschläge für europäische Anleihen erreichen neue Höchstkurse. Auch für Deutschland wird die Lage mittlerweile hochexplosiv. Wir bürgen derzeit mit fast 400 Millarden für die diversen Rettungsgelder und Stützungsverkäufe der EZB. Dem Finanzmarkt dämmert es, dass Deutschland diese gigantischen Beträge zum großen Teil abschreiben kann. Und solange Deutschlands Politiker sich der Realität versperren und weiter fleißig Deckungszusagen für EU-Krisenländer machen, werden die neuen Schulden bald die Dimension des Aufbaus Ost ausmachen - mit dem Unterschied, dass dessen Transferleistungen über einen Zeitraum von 20 Jahren geschultert werden mussten. Die Realitätsblindheit lässt die Risikoprämien nun auch für deutsche Finanzanleihen in die Höhe schießen. Bald werden auch wir 5 Prozent Anleihezinsen zahlen müssen.

Auf alle deutschen Schulden gerechnet hätten wir dann 60 Milliarden Euro zusätzliche jährliche Zinszahlungen zu verkraften. Das hält auch unsere Volkswirtschaft nicht aus. - Wir müssen schleunigst die Notbremse ziehen. Das Bundesverfassungsgericht muss handeln und weitere Transferzahlungen verbieten. Unsere Zukunft steht auf dem Spiel! Noch mal zur Erinnerung: Ohne den Euro hätten Deutschland und auch alle anderen Krisenländer keine der jetzigen Probleme! Raus aus dieser Chaoswährung!

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