Freitag, 3. Dezember 2010

BZ: Das Wunder von Wörgl


Das Wunder von Wörgl

FINANZMARKT - Die krisengeschüttelten Regierungen der Welt pumpen Milliarden in ihre Wirtschaft. Ein riskantes Manöver, um die Konjunktur wieder anzukurbeln. Ist zu viel Geld unterwegs, droht Inflation.
Svenja Schönbeck

BERLIN. Das Jahr 1932 geht zu Ende. Die ganze Welt ist erschüttert von der bis dahin größten Wirtschaftskrise. Industriezweige brechen komplett zusammen, die Arbeitslosigkeit steigt. Armut und Verzweiflung greifen um sich. Nur ein kleiner Ort im österreichischen Tirol trotzt der Krise. Dort wird emsig gebaut, Geld ausgegeben und über sinkende Beschäftigungszahlen erfahren die Einwohner nur aus den Zeitungen und vom Hören-Sagen.

Zunächst aber geraten natürlich auch die gerade Mal 12 000 Einwohner der Stadt Wörgl in den Strudel der Weltwirtschaftskrise. Die Kohlebetriebe, Zellulose-Fabriken, die Handwerker und Landwirte der Stadt haben mit sinkender Nachfrage und Geldwertverfall zu kämpfen. Die Wörgler machen, was alle Menschen in Krisenzeiten machen. Sie geben nichts aus, sparen für noch härtere Zeiten. Das Geld staut sich in den Banken. Da keiner was kauft, staut sich die Waren in den Geschäftsregalen.

Doch dann kommt die Wirtschaft wieder in Fahrt mit Hilfe einer einfachen Idee: Regionalgeld. In der Theorie klingt das Modell bestechend einfach. Wer Geld hat, das in kurzer Zeit an Wert verliert und das nur in der Region gültig ist, wird es schnell und eben in der Region ausgeben. Der Konsum wird so angeregt, die Nachfrage steigt und alle sind zufrieden. Im Juli 1932 beginnt das Experiment. Es wird das Wunder von Wörgl.

Den Anfang machen die Mitarbeiter der Stadt. Bürgermeister Michael Unterguggenberger lässt das Gehalt von ihnen auf der örtlichen Raiffeisenkasse ruhen. In die Hand bekommen die Stadtangestellten statt Bares sogenannte Arbeitswertscheine. Das sind Gutscheine, die in ihrem Wert dem jeweiligen Gehalt des Angestellten entsprechen. Das Besondere an den Scheinen ist: Sie verlieren in einem Monat ein Prozent ihres Wertes. Den Verlust können die Mitarbeiter nur aufhalten, wenn sie die Gutscheine mit Wertmarken bekleben. Diese Marken müssen sie aber kaufen. Natürlich haben die Mitarbeiter auch die Möglichkeit, auf die Bank zu gehen, und sich ihr Gehalt in Schilling ausbezahlen zu lassen. Doch auch der Umtausch der Gutscheine in echtes Geld kostet eine Gebühr.

Gutscheine statt Geld

Und daher passiert, was beabsichtigt ist. Die Bewohner geben die Arbeitswertscheine lieber aus. Die Folgen sind sofort zu spüren: Es befindet sich ständig "Geld" im Umlauf. Das ist entscheidend für eine gut funktionierende lokale Volkswirtschaft.

Die Arbeitswertscheine wechseln häufig ihren Besitzer, die Geschäfte der Region nehmen die regionale Währung an und können somit ihre Steuern und Schulden bezahlen.

Unabhängig davon arbeiten die echten Schillinge auf der Bank und bringen Zinsen. Denn die lokale Raiffeisenbank verleiht sie an zahlungsfähige Großhändler weiter. Später verzichtet die Bank auf die Zinsen und überlässt sie stattdessen der Gemeinde.

Ebenfalls im Juli 1932 startet ein großes Konjunkturprogramm in Wörgl. Wie beim aktuellen Konjunkturprogramm geht es vor allem um Bauaufträge. Bei den sogenannten Notstandsarbeiten werden unter anderem Straßen kanalisiert und asphaltiert. Arbeiten im Wert von mehr als 100 000 Schilling werden in Auftrag gegeben. 50 bis 60 Jobs entstehen auf den Baustellen, mehrere Dutzend sind in der Zulieferung beschäftigt. Die Gemeinde bezahlt ihre Rechnungen aber nicht mit Geld, sondern wie ihre Angestellten mit Wertscheinen. Innerhalb kürzester Zeit akzeptieren alle Unternehmen und Geschäfte das sogenannte Freigeld als Zahlungsmittel und zahlen auch ihre Mitarbeiter damit aus. Die Müllnertal-Brücke am Eingang der Schlucht von Wörgl zeugt heute noch von dem damaligen Wirtschaftsprojekt. Ein Schild macht den Wanderer darauf aufmerksam: "Mit Freigeld erbaut".

Während im Krisenjahr 1932 in ganz Österreich ständig die Arbeitslosigkeit zunimmt und schließlich im Schnitt auf 19 Prozent steigt, fängt sie in Wörgl an zu sinken. Sie fällt auf 16 Prozent und die Tendenz zeigt weiter nach unten. Doch dann schreitet die Österreichische Nationalbank, ein Privatunternehmen, ein. Ein Jahr, nachdem das Projekt in Wörgl gestartet ist, klagt sie vor dem Verwaltungsgerichtshof. Sie sieht ihr Banknotenprivileg bedroht. Die Bank hat Erfolg, am 15. September 1933 müssen die Bewohner der Region das Experiment aufgeben. Dabei hat es im Jahr zuvor viele Befürworter gegeben. Unter anderem besucht der ehemalige französische Premierminister Édouard Daladier im Sommer 1933 den kleinen Ort in Österreich.

Heute hält der Verein Unterguggenberger Institut die Erinnerung an das Freigeld wach. Es gibt sogar ein Museum dazu in Wörgl. Nur ein weiteres Experiment mit Regionalgeld wird nicht mehr gewagt.

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