Mittwoch, 8. Dezember 2010

HB: PIGS-Staaten aus Euro-Zone werfen

PIGS-Staaten aus Euro-Zone werfen

Die unter wachsendem Druck stehenden Schuldenländer der Euro-Zone rufen immer lauter nach neuen Instrumenten zur Abwehr einer Staatspleite. Ein einfaches Rezept für einen Neuanfang des krisengeschüttelten Europas hat der renommierte Ökonom Max Otte: die Schuldensünder aus der Euro-Zone werfen, anschließend eine Kerneurozone bilden.

DÜSSELDORF. Der renommierte Krisenökonom Max Otte hat sich angesichts der Debatte über Auswege aus der europäischen Schuldenkrise für einen grundlegenden Neuanfang in der Europäischen Union ausgesprochen. „Griechenland, Irland, Spanien und Portugal sollten aus der Euro-Zone entlassen werden“, sagte der Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Worms Handelsblatt Online. Das entspräche der ökonomischen Theorie, dass für eine Währungsunion auch ein einheitliches Wirtschaftsgebiet nötig sei. „Natürlich würde ein solcher Schritt auch einige Turbulenzen mit sich bringen und müsste durch Überbrückungsprogramme und –Kredite der starken Staaten abgesichert werden“, räumte Otte ein. „Aber letztlich könnten dann die Staaten wieder ihre eigene Politik bestimmen, die Banken würden vorsichtiger, und wir hätten wieder Marktwirtschaft.“

Otte warf in diesem Zusammenhang der Politik vor, sich immer mehr in Richtung Staatswirtschaft zu entwickeln, diktiert von einem Europa von Brüssel mit „zweifelhafter“ demokratischer Legitimität. „Ich bin für eine Kerneurozone und darüber hinaus für ein System fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse“, skizzierte er seine Lösung der europäischen Schuldenproblematik. Das Europäische Währungssystem habe von 1978 bis zur Einführung des Euro „hervorragend“ funktioniert. „Es war genau die richtige Lösung für Europa.“ Die Aufwertung würde der Exportindustrie in der Kerneurozone zwar zunächst zu schaffen machen, aber genau das sei der Anpassungsprozess, der nötig sei. „Spiegelbildlich wären die Exporte der Schwachwährungsländer begünstigt“, so Otte. „So würde automatisch passieren, was heute politisch kontrovers und zum Teil hysterisch diskutiert wird: Wir würden zur Marktwirtschaft zurückehren.“

Otte plädierte überdies für eine geordnete Umschuldung und Insolvenz von Staaten. „Denn wir haben ja nicht Griechenland oder Irland gerettet, sondern die dort exponierten Banken, übrigens auf Kosten der Bevölkerung der jeweiligen Länder und Deutschlands.“ Staatsinsolvenz bedeute für ihn Forderungsverzicht oder Umstrukturierung der Schulden, aber nicht Abwicklung des Staates, betonte der Ökonom. Den jetzt gefundenen Kompromiss, im Grenzfall gegebenenfalls die Gläubiger, also die Banken, einzubeziehen, hält Otte dagegen für zu weich.

Für „fatal“ hält der Wirtschaftsprofessor die Forderung nach einer europäischen Anleihe. „Dann könnten sich die unsolideren Länder ohne Schranken voll aus der guten Kreditwürdigkeit der solideren Länder bedienen“, warnte Otte. „Das ist, wie wenn der arme Neffe den Kredit des reichen Onkels unbegrenzt anzapfen darf. Irgendwann ist dann auch die Kreditwürdigkeit des Onkels ruiniert.“

Portugal hatte sich am Dienstag der Forderung Italiens und Luxemburgs angeschlossen, die Staatsschulden künftig über gemeinsame Euro-Anleihen zu finanzieren. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) fordert eine umfassende Lösung, statt Land für Land unter den von ihm mitgetragenen Euro-Schutzschirm zu ziehen. „Die Salamitaktik ist kein gutes Herangehen“, mahnte IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn in Athen. Die Lage sei ernst - die Einheit Europas stehe auf dem Spiel.

Deutschland, Österreich und die Niederlande lehnen Eurobonds oder einen größeren Schutzschirm ab. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble forderte, unnütze Diskussionen über neue Initiativen einzustellen und das umzusetzen, was schon beschlossen sei.

Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker warf daraufhin Deutschland eine unzulässige Vereinfachung gegnerischer Positionen vor. „Man lehnt unseren Vorschlag ab, bevor man ihn studiert hat“, sagte der Euro-Gruppen-Chef in einem am Mittwoch vorab veröffentlichten Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“. Diese Art, in Europa Tabuzonen zu errichten und sich nicht mit den Ideen anderer zu beschäftigen, wundere ihn sehr.

Wie Schäuble hatte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel am Wochenbeginn Euro-Bonds abgelehnt. Sie fürchtet, bei einem einheitlichen Zinssatz für alle Euro-Länder würde der Anreiz zum Sparen und für schmerzhafte Wirtschaftsreformen geringer.

Juncker sagte dazu, bei seinem Vorschlag käme es mitnichten zu einem einheitlichen Zinssatz. Stattdessen würden „wir einen Teil der nationalen Schuld auf europäischer Ebene bündeln und mit Euro-Anleihen bedienen. Der größte Teil der Schulden würde aber zu nationalen Zinssätzen verzinst.“ Der Vorschlag stoße in Deutschland nur deswegen auf Widerstand, weil man reagiere, „ohne dem Vorschlag unter den Rock zu schauen“, sagte Juncker.

IWF-Chef Strauss-Kahn hatte zudem mit den Finanzministern am Montag diskutiert und ihnen nahegelegt, den Schutzschirm von aktuell 750 Milliarden Euro zu vergrößern. Am Dienstag warnte er gar vor der Gefahr, dass Europa wegen der Schuldenkrise in zwei Teile zerfallen könnte. Eurogruppen-Chef Juncker berichtete nach der Sitzung der Finanzminister nur knapp, derzeit sei eine Aufstockung des Rettungsschirms nicht notwendig.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy schloss für die Zukunft nicht aus, dass eine Aufstockung in Betracht gezogen werden könnte. Im Moment gebe es aber keinen Grund dafür, die Mittel reichten zur Stützung weiterer Länder aus.

Nachdem Irland als erster Euro-Staat unter den Schirm flüchten musste, hat sich die Lage an den Finanzmärkten kaum beruhigt. In der Euro-Zone wächst die Angst, Portugal, Spanien und womöglich noch andere Staaten könnten in den Strudel aus steigenden Zinsen und Schulden geraten. Die Krise wäre dann völlig außer Kontrolle. Der russische Präsident Dmitri Medwedew sagte nach dem EU-Russland-Gipfel in Brüssel, Russland beobachte genau, was in den Euro-Krisenländern passiere. Bisher habe die EU aber vernünftige Entscheidungen getroffen und werde eine Lösung finden.

Portugal beteuerte erneut, keine Hilfe der Partnerländer zu brauchen. EU-Währungskommissar Olli Rehn forderte die Regierung in Lissabon auf, ihre Einsparungen für 2011 zu konkretisieren und Reformen für mehr Wachstum anzupacken. Die Regierung beklagte mangelnde Solidarität in Europa, kündigte aber an, mit Gewerkschaften und Unternehmen eine Arbeitsmarktreform in Angriff zu nehmen.

Schäuble sagte, die Diskussionen über Eurobonds seien weder zielführend noch notwendig. Deutschland lehnt als Marktführer bei europäischen Staatsanleihen gemeinsame Schuldverschreibungen aus Sorge über steigende Zinsen ab. Doch als Fernziel hält der Minister sie für möglich. Eine gemeinsame Schuldenfinanzierung der Euro-Länder könne es aber erst im Rahmen einer politischen Union geben, sagte Schäuble. Denn bei einer Finanzpolitik in nationaler Zuständigkeit seien Zinsunterschiede das einzige wirksame Disziplinierungsinstrument.

Die EU-Finanzminister billigten unterdessen das milliardenschwere Rettungspaket für Irland. Das Euro-Mitglied soll als erstes Land mit Krediten von insgesamt 85 Milliarden Euro aus dem Schutzschirm vor der Pleite bewahrt werden. Die Regierung in Dublin war nach langem Zögern unter den Schutzschirm geflüchtet. Von den 85 Milliarden Euro stellt Irland 17,5 Milliarden Euro aus Pensionsfonds-Reserven selbst.

Die Regierung in Dublin muss mit dem Geld den angeschlagenen Bankensektor des Landes sanieren und den staatlichen Finanzbedarf decken. Mit der Garantie des Schutzschirms im Rücken sollen für Irland zinsgünstige Kredite am Kapitalmarkt aufgenommen werden, so dass die Regierung in Dublin zwei Jahre lang keine eigenen Anleihen begeben muss. Als Bedingung für die Hilfe muss Irland die Staatsverschuldung rapide abbauen. Das irische Parlament beriet am Dienstag über den Sparhaushalt 2011.

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