Montag, 3. Januar 2011

HB: EU wird nationale wirtschaftspolitische Alleingänge Juni2011 verbieten

Der Euro im Überlebenskampf

Europa hat seine Währung längst nicht wieder im Griff. Anleihen der Schuldenstaaten werden auch im neuen Jahr bei Anlegern nicht sehr beliebt sein. Die Euro-Zone steht vor einer schwierigen Entscheidung: Transferunion oder Zerfall? Sieben Unwägbarkeiten für 2011.

Euro-Skulptur vor dem EZB-Tower: Sieben Risiken werden die Euro-Zone im kommenden Jahr besonders belasten. Quelle: dpaLupe

Euro-Skulptur vor dem EZB-Tower

BRÜSSEL. Mit einem großen Versprechen hat sich die politische Führung der Europäischen Union vom Jahr 2010 verabschiedet: "Wir werden alles Nötige tun, um die Stabilität des gesamten Euro-Währungsgebiets sicherzustellen", sagten die 27 Staats- und Regierungschefs zum Abschluss ihres Gipfeltreffens kurz vor Weihnachten in Brüssel.

Doch die Willensbekundung ist das eine, die Umsetzung das andere. Die Europäer haben es noch längst nicht geschafft, ihre Währung zu retten. "Die Probleme wurden auf die lange Bank geschoben", kritisiert Daniel Gros, Direktor der Brüsseler Denkfabrik Centre for European Policy Studies (CEPS). Wie viele Beobachter rechnet er damit, dass internationale Investoren griechische, portugiesische, spanische und irische Staatsanleihen auch im Jahr 2011 nur mit größter Vorsicht anfassen. Mit neuen spekulativen Attacken sei jederzeit zu rechnen.


Sieben Risiken werden die EU im kommenden Jahr vor allem belasten.

Sparprogramme: Als Erstes sind das die schmerzlichen Sparprogramme. Viel wird davon abhängen, wie konsequent die Regierungen in den Hauptstädten Athen, Lissabon, Madrid und Dublin die Spar- und Sozialreformen durchziehen. Ob der politische Wille dafür auf Dauer überall ausreicht, ist keineswegs sicher. Die erste Bewährungsprobe steht schon zu Beginn des neuen Jahres in Irland bevor. Dort wird gewählt; danach wird wohl die Opposition an die Macht kommen. Sie wirft der jetzigen Regierung vor, die Banken zu schonen und alle Krisenlasten allein der Bevölkerung aufzubürden. Ein Vorwurf, den sich alle Regierungen in Europa anhören müssen. Macht die Noch-Opposition nach einem Regierungswechsel also Ernst, kann es passieren, dass zur Abwechslung einmal die Gläubiger der irischen Banken zur Kasse gebeten und die Steuerzahler entlastet werden.

Banken: Die Banken sind das zweite Risiko. Die EU hat ihre großen Banken immer noch nicht richtig saniert. Würden sie zur Verantwortung gezogen, käme dieses schwere Versäumnis des bisherigen Krisenmanagements erst richtig zum Tragen. Vor allem spanische und deutsche Geldinstitute gelten als unterkapitalisiert. Sie haben längst nicht alle Bilanzrisiken offengelegt - vor allem jene im Zusammenhang mit den kollabierten Immobilienmärkten in Irland und Spanien. Sollten die Iren die staatliche Vollgarantie für die Banken zurückziehen, könnten auch deutsche Kreditinstitute ins Wanken geraten. Auch der für 2011 angekündigte zweite europäische Banken-Stresstest könnte Deutschland in Bedrängnis bringen. Gut möglich, dass Bund, Länder und Sparkassen dann gezwungen sein werden, bei Landesbanken und anderen öffentlichen Instituten Kapital nachzuschießen.

Staatsfinanzen: Das ganze Ausmaß der Krise wird voraussichtlich mit Verspätung, also wohl im kommenden Jahr, voll zutage treten. Das gilt nicht nur für die Banken, sondern auch für die Staatsfinanzen. Das dritte Risiko.

Noch tut die EU so, als ob Portugal seine Schulden aus eigener Kraft abtragen kann. Doch die Finanzmärkte zweifeln. Die Ratingagentur Moody's drohte erst kurz vor Weihnachten mit einer weiteren Herabstufung des Landes. Viel spricht dafür, dass Portugal im Laufe des neuen Jahres als zweiter Staat nach Irland Milliarden-Kredite aus dem Euro-Rettungsfonds benötigt. "Portugal manövriert ständig am Abgrund entlang", sagt CEPS-Direktor Gros. "Und sogar Spanien könnte in eine Liquiditätsklemme geraten." Ökonomen kritisieren, die EU habe das Übel immer noch nicht an der Wurzel gepackt. Milliardenschwere Kredite aus dem Euro-Rettungsfonds reichen womöglich nicht aus. Am Ende könnte gar eine Teilentschuldung mancher Länder nötig werden. Griechenland ist ein Kandidat hierfür, vielleicht auch Portugal und Irland. Die politische Führung der EU muss einen Plan entwickeln für die Restrukturierung von Staatsschulden.

Dafür wollen die Staats- und Regierungschefs beim nächsten Gipfel im März einen permanenten Krisenbewältigungsmechanismus beschließen, der jedoch erst ab Mitte 2013 greift. Im Januar werden die Finanzminister darüber erstmals in Brüssel beraten; Deutschland und Frankreich wollen bis dahin einen gemeinsamen Vorschlag präsentieren. Die beiden größten Euro-Staaten erwägen die Gründung eines "European Stability and Growth Investment Fund" (EGASIF). Im Notfall soll er die Staatsanleihen klammer Euro-Länder aufkaufen und Kredite an diese Staaten vergeben.

Währungsfonds: Der EGASIF ist das vierte Risiko. Denn Paris und Berlin wollen ihn an harte Bedingungen knüpfen. Das wird die Gemeinschaft auf die Probe stellen. Der Fonds soll in den betroffenen Ländern radikale Wirtschaftsreformen durchsetzen. So steht es in einem Diskussionspapier der Bundesregierung, das dem Handelsblatt vorliegt. Der Bundesfinanzminister erneuert damit einen alten Vorschlag: Wolfgang Schäuble hatte bereits im Frühjahr 2010 einen Währungsfonds für Europa gefordert. Damals fand er dafür in der Euro-Zone keine Unterstützung, nun wagt er einen neuen Vorstoß.

Rezession: Die größte Befürchtung der Mitgliedstaaten ist, das fünfte Risiko, dass die EU in eine erneute Rezession abrutschen könnte. Der harte Sparkurs gefährdet vor allem die hochverschuldeten Länder. Griechenland brauche "Hilfe von außen, um die schmerzhafte Anpassung an ein neues Gleichgewicht abzufedern", mahnt Ökonom Johannes Becker von der Universität Münster. Die EU-Kommission denkt deshalb darüber nach, den Schuldenstaaten gezielt Mittel aus den Fördertöpfen für strukturschwache Regionen zur Verfügung zu stellen.

Grundstruktur: All das weist auf das übergeordnete sechste Risiko hin, das die EU endlich beheben muss: Jahrelang verwies die EU-Kommission vergeblich auf die wachsende Kluft zwischen leistungsstarken Staaten wie Deutschland und wettbewerbsschwachen Ländern wie Griechenland. Nun werden die Klagen endlich erhört. Deutschland und Frankreich haben eine gemeinsame Initiative zur EU-Wirtschafts- und Fiskalpolitik in der Euro-Zone angekündigt. Die Kanzlerin gab die Richtung beim letzten Gipfel vor: Zum Zusammenrücken der Europäer gebe es keine Alternative, sagte Angela Merkel. Davon müsse nun auch die deutsche Bevölkerung überzeugt werden.

Zerfall: Das siebte, stille Risiko, den Zerfall der Union, wagt niemand wirklich auszusprechen.

Europäischer Kalender

Januar: Die Finanzminister der Euro-Gruppe treffen zu Beratungen über die finanzielle und wirtschaftliche Lage in Irland, Portugal, Griechenland und Spanien zusammen.

Februar: Sondergipfel der EU-Staats- und-Regierungschefs - offiziell steht die EU-Energiepolitik auf der Tagesordnung. Doch die Lage der hochverschuldeten Euro-Länder könnte in den Vordergrund rücken, falls die Finanzmärkte bis dahin erneut zur Attacke blasen.

März: EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy lädt zum nächsten EU-Gipfel. Dabei wollen die EU-Regierungschefs einen dauerhaften Krisenlösungsmechanismus für die Euro-Zone beschließen. Er soll den Rettungsfonds ablösen, der Mitte 2013 ausläuft.

Juni: Die EU-Chefs treffen sich zum dritten Mal. Auf der Tagesordnung steht die künftige EU-Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Dazu sollen sechs EU-Gesetze beschlossen werden. Ziel ist es, den Spardruck zu erhöhen und nationale wirtschaftspolitische Alleingänge künftig zu verhindern.

Mitarbeit: Claudia Schumacher


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