Mittwoch, 26. Januar 2011

HB: Staatlichen Dirigismus im Wirtschaftsleben und die Durchsetzung unfairer Geschäftspraktiken nehmen zu



von Dorit Heß und Torsten Riecke

Der Siegeszug der asiatischen Werte

Mit dem wirtschaftlichen Siegeszug der neuen Weltmacht China wird immer deutlicher: Die westliche Kultur verliert an Strahlkraft, asiatische Normen gewinnen an Dominanz. Deutschen Managern jagt das Angst ein: Sie fürchten staatlichen Dirigismus und unfaire Geschäftspraktiken.

BERLIN/DAVOS. Das Wirtschaftsforum in Davos beschäftigt sich ab heute mit der Wertefrage im Zeitalter der Globalisierung. Die offizielle Variante der Wahrheit lautet: "Wer vor Asien Angst hat, hat einen schlechten Ratgeber", sagte Jürgen Hambrecht, Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und Chef von BASF.

Die inoffizielle Variante der Wahrheit hört sich anders an. Im Handelsblatt Business-Monitor, einer bundesweiten, anonymen Umfrage unter mehr als 700 Führungskräften, zeigt sich das wahre Asien-Bild der Topmanager. Es wird auch in Davos zur Sprache kommen - aber nur unter Ausschluss der Fernsehkameras.

Dieses Asien-Bild ist zwar auch geprägt von der Anerkennung des dort Geleisteten, aber mindestens genau so stark von der Furcht vor einem Siegeszug der asiatischen Kultur. Fast jede zweite deutsche Führungskraft (47 Prozent) ist überzeugt, dass sich "eher östliche, asiatische Normen" durchsetzen werden. Nur 29 Prozent erwarten, dass westliche Normen in den nächsten Jahren die Oberhand behalten werden.

Unter asiatischen Werten verstehen die Führungskräfte nicht nur die Strenge im Erziehungssystem, sondern vor allem staatlichen Dirigismus im Wirtschaftsleben und die Durchsetzung unfairer Geschäftspraktiken. Mehr als 80 Prozent der Topmanager sind der Meinung, dass die Vorstellung von Fair Play in Asien eine andere ist als im Westen. 27 Prozent der Befragten geben sogar an, selbst bereits negative Erfahrungen gemacht und "unfair von Geschäftspartnern behandelt" worden zu sein.

Allein in China sind rund 4 500 deutsche Unternehmen tätig. Die häufigsten Klagen betreffen den fehlenden Schutz geistigen Eigentums und protektionistische Hürden aller Art.

Für die Diskrepanz zwischen offiziellem Statement und wirklicher Meinung gibt es eine Erklärung. "Wer die wirtschaftliche Macht hat, bestimmt im Wesentlichen auch die Rahmenbedingungen mit", sagt Jürgen Heraeus, Aufsichtsratschef des gleichnamigen Technologiekonzerns. Keines der international tätigen Unternehmen kann es sich leisten, auf die boomenden Wachstumsmärkte Asiens zu verzichten.

Das erste Opfer beim Siegeszug der asiatischen Werte ist offenbar die Wahrhaftigkeit.

So etwas gab es in Davos noch nie: eine Veranstaltung über chinesische Unternehmen, bei der nicht die Konferenzsprache Englisch gilt - sondern Mandarin. China, das verdeutlicht schon dieses Novum, ist zum Dreh- und Angelpunkt des am Mittwoch beginnenden Weltwirtschaftsforums geworden. Die Zahl der chinesischen Teilnehmer hat sich in den vergangenen Jahren fast verfünffacht. China ist zur wirtschaftlichen Weltmacht aufgestiegen.

Beim Hauptthema des Forums, der Suche nach gemeinsamen Werten, müssen sich die Vertreter der Volksrepublik allerdings auf kritische Fragen gefasst machen. Die westlichen Manager wird vor allem interessieren, ob China bereit ist, seine gefürchteten unfairen Geschäftspraktiken aufzugeben und ausländischen Unternehmen einen gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Aufträgen zu gewähren. Außerdem verlangt der Westen einen besseren Schutz seines geistigen Eigentums. Denn die Volksrepublik ist für viele nicht nur der Export-, sondern auch der Kopierweltmeister.

Auch im jüngsten Fall von Industriespionage beim französischen Autohersteller Renault geriet China in Verdacht. Nach französischen Berichten sollen zwei Renault-Manager von einem chinesischen Staatskonzern dafür bezahlt worden sein, geheime Details über ein Elektroauto weitergegeben zu haben. China bestreitet die Vorwürfe.

Doch es gibt noch viele andere Schwachstellen in den Beziehungen Chinas zur westlichen Welt: Die deutsche Autoindustrie etwa klagt über ungerechte Bedingungen. Ihre Unternehmen dürfen auch nach 30 Jahren Öffnungspolitik ausschließlich in Gemeinschaftsunternehmen produzieren.

Der chinesische Windkraftmarkt ist ein anderes Problem: Er ist seit Jahren für westliche Firmen abgeriegelt. Ausschreibungen zu gewinnen ist für europäische Firmen praktisch aussichtslos. Deutsche Firmen, etwa Versicherer, ärgern sich über endlos lange Genehmigungsverfahren zur Eröffnung weiterer Filialen in China.

Trotz aller Schwierigkeiten kann die deutsche Wirtschaft aber nicht auf die boomenden asiatischen Märkte verzichten. "Die Herausforderung müssen wir annehmen und uns immer wieder neu bewaffnen mit besseren Technologien", sagt Firmenpatriarch Jürgen Heraeus, der eben erst in die Handelsblatt Hall of Fame aufgenommen wurde. "Es hilft nicht, über das Auftreten der Chinesen und ihre Geschäftspraktiken ständig zu klagen."

Immerhin räumt Peking inzwischen ein, dass es in dem Riesenreich Missstände gibt. So kündigte Präsident Hu Jintao jüngst mehrere Maßnahmen an, um das ramponierte Geschäftsimage aufzupolieren. Durch verschärfte Kontrollen soll sichergestellt werden, dass staatliche Behörden keine illegal kopierte Software mehr verwenden. Außerdem deutete Hu an, dass chinesische Staatsunternehmen bei ihrem Einkauf von Technologieprodukten nicht mehr darauf pochen werden, dass deren Patente in China entwickelt und registriert sein müssen. Das hatte bislang zum Ausschluss vieler ausländischer Anbieter geführt.

In Davos werden die großen Ungleichgewichte auf den Güter- und Kapitalmärkten ein weiteres Hauptthema sein. Während Schwellenländer wie China die lockere Geldpolitik der US-Notenbank für die Schieflage in der Weltwirtschaft verantwortlich machen, zeigen die Amerikaner mit dem Finger auf die Währungsmanipulationen der Führung in Peking. China hält seit langem den Wechselkurs seiner Währung, des Yuans, künstlich niedrig.

Der Business-Monitor zeigt, wie groß das Unbehagen in der Wirtschaft über staatliche Eingriffe auf den Kapitalmärkten ist: 62 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Staaten sich hier heraushalten sollen. Doch sosehr sie sich auch gegen staatliche Kapitalmarkteingriffe aussprechen: Insgesamt erwarten die Manager, dass Kontrollen des Staates und Eingriffe in die Wirtschaft in den kommenden Jahren zunehmen werden. Davon gehen drei Viertel der für den Handelsblatt Business-Monitor befragten Führungskräfte aus Deutschland zumindest aus. "Die Manager ziehen offenbar Schlüsse aus der Wirtschafts- und Finanzkrise, die vor allem durch die Eingriffe der Staaten bekämpft wurde", sagt Psephos-Chef Hans-Jürgen Hoffmann.

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