Freitag, 4. März 2011

BAZ: Sie dachten, im Westen verstehe sowieso niemand die Sprache

«Sie dachten, im Westen verstehe sowieso niemand die Sprache»

Interview: Monica Fahmy, Ras Ajdir. Aktualisiert am 03.03.2011 8 Kommentare

Lemine Ould M. Salem berichtet für «Le Temps» von der libyschen Grenze. Der Journalist, der unter anderem aus Liberia, Kongo und Darfur berichtet hat, erzählt von seinen Einsätzen – und geht mit Kollegen hart ins Gericht.


Sie haben sich gerade bei einem Ihrer Berufskollegen unbeliebt gemacht, was war da los?
Eine Gruppe Journalisten hatte es im Süden über die Grenze geschafft. Ich fragte einen Kollegen gestern, ob er in Nalut Söldner gesehen hätte. Er sagte: Ja, die Einwohner hätten den Journalisten welche vorgeführt. Ich fragte ihn da, ob die Männer Uniformen trugen, wie es die Söldner in Ghadhafis Dienst tragen. Er sagte, Nein. Heute treffe ich hier im Durchgangslager von Ras Ajdir ein paar Malier, die erzählen, sie seien in Nalut Journalisten vorgeführt worden, nachdem sie geschlagen worden waren. Keine Söldner.

Nun ist Ihr Kollege beleidigt, weil sie ihm vorwerfen, er hätte etwas Falsches berichtet?
Er sagt, er hätte von Zentane, einer anderen Stadt gesprochen. Möglich, dass wir von verschiedenen Städten gesprochen haben. Mich interessiert auch nicht, wie der Kollege arbeitet, sondern vielmehr, was die Einwohner der Dörfer Journalisten vorführen. Schwarzafrikaner ohne Uniformen sind kaum Söldner. Und wenn jemand die Männer als Söldner ausgeben will, dann kommt er kaum auf die Idee, ihnen zuerst die Uniformen auszuziehen und sie mit Zivilkleidern ausstatten.

Sie berichten aus Krisengebieten. Könnten Sie es sich da nicht einfacher machen, indem sie Ihre Kollegen nicht verärgern?
Mich stören Journalisten, die für eine knackige Story die Fakten opfern. Ich nenne keine Namen, aber ich war auch schon mit sehr bekannten Kollegen vor Ort, zum Beispiel in Liberia und Tschad, und musste feststellen, dass das, was sie berichteten und das, was wir gesehen hatten, zwei Paar Schuhe waren. Sie hatten einfach etwas erfunden. Was ich auch gesehen habe, sind TV-Journalisten, die Zitate von Afrikanern und Arabern falsch übersetzt haben, im Glauben, von den westlichen Zuschauern verstehe ja sowieso niemand die Sprache.

Sind dies Einzelfälle oder die Regel?
Es arbeiten sicher nicht alle so. Leider gibt es aber auch Vorgesetzte, die es mit den Fakten nicht so genau nehmen. Ich war vom 21. Dezember bis am 9. Januar für einen TV-Sender in Mauretanien und Mali auf einer Reportage über al-Qaida im Maghreb. Im Bericht kommt ein Jugendlicher vor, der für al-Qaida getötet hat und den ich im Gefängnis per Telefon interviewen konnte. In meinem Kommentar schrieb ich, dass alle sich fragen, wie ein Sohn aus gutem Haus zum Terroristen werden konnte. Die Leiterin der Sendung wollte aber, dass ich schreibe, er sei in einer Koranschule radikalisiert worden, die im Bericht vorkommt. Nur gibt es keinen Hinweis darauf. Ich musste zwei Stunden streiten, damit der Satz nicht geändert wurde.

Weshalb sind Sie Journalist geworden?
Aus Leidenschaft, sicher nicht wegen der Bezahlung. Ich habe Politikwissenschaften studiert und hatte die Gelegenheit, mit einer Zeitung zu arbeiten. Es hat mich fasziniert, komplexe Sachverhalte auf den Punkt zu bringen.

Sie haben aus etlichen Ländern berichtet, die, nett ausgedrückt, schwierig sind, wie Tschad, Sudan, Liberia, Elfenbeinküste, Sierra Leone und Kongo. Welche Story hat sie am meisten geprägt?
Es waren zwei. Eine hat mich emotional geprägt, die andere war auf eine gewisse Art traumatisch. Welche wollen Sie hören?

Beide.
Emotional war es sicher eine Reportage über Tschad, als die Truppen der EU kamen. Ich besuchte etliche Dörfer, die Hoffnung dort war so gross, dass sich etwas mit den Europäern ändert. Doch die Truppen waren völlig überfordert, sie unternahmen nichts, während in den Dörfern Frauen vergewaltigt und Männer verletzt und ausgeraubt wurden. Ähnlich ist es in der Elfenbeinküste. Die Uno-Blauhelme sind seit zehn Jahren dort, doch die Lage verschlimmert sich nur.

Und die traumatische Geschichte?
Das war mein Aufenthalt in Libyen, als ich über die Verhaftung von Hannibal al-Ghadhafi berichtete. Ich fühlte mich völlig isoliert. Obwohl ich für ‹Le Temps› berichtete, wollte mich die Schweizer Botschaft nicht empfangen, weil ich kein Schweizer bin. Die französische Botschaft lehnte ebenfalls ab, obwohl ich in Frankreich lebe. Und die Diplomaten aus afrikanischen und arabischen Ländern, die sich mit mir trafen, wollten nicht zitiert werden. Ich habe zehn Tage lang kein Auge zugetan.

Am Mittwoch haben Sie versucht, mit ein paar anderen Journalisten, unter anderem von baz.ch/Newsnetz, in Libyen einzureisen. Wie sieht es aus?
Schlecht. An der Grenze heisst es, als Mauretanier und Tourist sei ich willkommen, als Journalist brauche ich aber die Erlaubnis des Informationsministeriums. Nur bekommt man die zur Zeit nicht, auch wenn man einflussreiche Leute in Libyen kennt.

Weshalb wollten Sie den anderen Journalisten helfen, nach Libyen zu gelangen?
Es ist vielleicht eine Frage der Erziehung oder der Kultur. Es ist wichtiger, jemandem behilflich zu sein, als zu bekommen. Die älteren Journalisten, die niemandem mehr etwas beweisen müssen, sind so. Bei den jüngeren gibt es leider noch oft eine Konkurrenzsituation, die bei der Berichterstattung über Krisengebiete nicht förderlich ist.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in Libyen?
Ghadhafi ist im Vorteil. Die Revolutionäre sind wenig organsiert und sind nicht auf militärische Angriffe vorbereitet. Hinzu kommt, dass Ghadhafis Gegner nur den Wunsch nach seinem Sturz gemeinsam haben. Es sind verschiedene Stämme, Clans. Dann sind die wichtigen Positionen in der Armee in Ghadhafis Hand. Was man nicht vergessen darf, im Süden hat er wichtige Freunde. Mali, Tschad, Niger, Sudan, überall schulden ihm Persönlichkeiten viel, sei es ihre Macht oder ihren Reichtum.

Kann die Opposition gewinnen?
Sie braucht Hilfe vom Ausland. Die Aufständischen müssen trainiert und ausgebildet werden.

Was wäre mit einem militärischen Eingreifen?
Das wäre eine Katastrophe. Die Aufständischen würden nicht mitmachen, wenn die Revolution vom Westen geführt würde.

(baz.ch/Newsnetz)

Erstellt: 03.03.2011, 20:06 Uhr

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