Freitag, 25. März 2011

HB: Es geht um Bauernfängerei, nicht um die Sache

Parteienforscher:„Es geht um Bauernfängerei, nicht um die Sache“

exklusiv Nichts läuft derzeit rund in der Regierungspolitik. Nun sorgt auch noch Minister Brüderle für zusätzliche Verunsicherung. Die Quittung für Schwarz-Gelb droht bei den Landtagswahlen, meint Parteienforscher Patzelt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht mit Wirtschaftsminister Rainer Brüderle vor dem Atomgipfel mit den Ministerpräsidenten. Quelle: dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht mit Wirtschaftsminister Rainer Brüderle vor dem Atomgipfel mit den Ministerpräsidenten. Quelle: dpa

Handelsblatt Online: Herr Professor Patzelt, in Sachsen-Anhalt ist die FDP nach der Wahl nicht mehr im Landtag vertreten: Droht den Liberalen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein ähnliches Schicksal - vor allem, nachdem Herr Brüderle angeblich eingeräumt hat, dass das Atom-Moratorium der Bundesregierung ein Wahlkampfmanöver sei?

Werner J. Patzelt: Das ist nicht auszuschließen – zumal nach dem Offenbarungseid des Wirtschaftsministers, man betreibe reine Ankündigungspolitik ganz nach demoskopischem Bedarf. Am Fall der angeblichen „Atomwende“ wird aufs Unangenehmste deutlich, was man bei dieser Regierung schon lange vermutet hat: Es geht um Bauernfängerei, nicht um die Sache. Kein Wunder also, dass die FDP seit dem Amtsantritt der schwarz-gelben Koalition auf Bundesebene unter der unplausiblen Politik sowohl der ganzen Bundesregierung als auch des eigenen Parteivorsitzenden leidet, der gerade als Außenminister keine gute Figur macht. Und weil die früheren Wahlerfolge der Liberalen bloß Vorschuss auf künftige Leistungen waren, drückt die umfassende Erfolglosigkeit des bürgerlichen Lagers die FDP jetzt nach unten.

Die großen Gewinner in Sachsen-Anhalt waren die Grünen - wohl auch wegen der aktuellen Atomdebatte. Wird sich dieser Trend nach oben fortsetzen?

Das ist wahrscheinlich. Erstens werden die Grünen, sieht man vom NRW-Schlamassel ab, derzeit nicht durch sonderlich sichtbare Regierungsverantwortung belastet. Zweitens hat sich die Union die Anti-Atompositionen der Grünen aus Angst vor den Wählern faktisch zu eigen gemacht, was den Grünen zusätzlichen Kredit verschafft. Und drittens hat Rot-Grün eine nicht nur realistische, sondern den Wählern auch willkommene Machtperspektive.

Atompolitik

Inwiefern ist die Wahl in Baden-Württemberg eine Schicksalswahl für Angela Merkel?

Schicksalswahl ist zu hoch gegriffen. Doch sehr wohl wird eine weitere dunkle Wolke am sich eintrübenden Himmel der Kanzlerin aufziehen. Denn diese hat es nicht nur geschafft, viele tüchtige Unions-Politiker vom Spielfeld zu vertreiben und klassische CDU-Werte wie Ehrlichkeit als politisch unwichtig hinzustellen, sondern sie hat auch noch typische Unionspositionen populistisch aufgegeben sowie angefangen, sich als regierende Parteipolitikerin über die Rechte des Bundestages zu erheben. Das stößt gerade die eigene Klientel vor den Kopf und mehrt die Zahl derer, die an der Parteivorsitzenden Merkel verzweifeln. Wankt aber der Parteivorsitz, dann schwankt auch der Kanzlerstuhl.

Auch die Südwest-FDP könnte einen Rückschlag erleiden. Wird die Debatte um den Parteichef Guido Westerwelle dann wieder von vorne losgehen?

Ich vermute das und rate es der FDP auch. Es ist nämlich zweierlei, ein geschniegelter und schön redender Oppositionspolitiker zu sein - oder ein hohes Staatsamt unter komplizierten außen- wie innenpolitischen Umständen erfolgreich zu versehen. An Westerwelle merkt man, dass er im Grunde außer Politik nichts gelernt hat und deswegen keinen Kompass besitzt, der zu mehr als zum innerparteilichen Aufstieg und zu tagesaktueller Taktik taugt. Das reicht, wenn man als Oppositioneller auf den Wogen der Regierungspolitik surft. Es reicht nicht mehr, wenn man selbst den Wellengang zu beeinflussen hat.

Inwiefern sind die aktuellen weltpolitischen Themen - Libyen-Krise, Euro-Debatte, Atomdebatte - geeignet, die Landtagswahlen entscheidend zu beeinflussen?

Alle drei Debatten berühren den Nerv der Deutschen: nie wieder Krieg, nie wieder Inflation, nie wieder eine Zerstörung des eigenen Landes. Bei Libyen liegt die Bundesregierung zwar sachlich richtig, hat aber den falschen Weg - nämlich Aufrufe zum Sturz Gaddafis - zu ihrer jetzigen Position genommen. Bei der Atomdebatte beschädigte die Vollbremsung nach der Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke die innere Statik der bürgerlichen Parteien und in Sachen Euro regiert die Koalition munter über die Köpfe der Deutschen und ihrer Volksvertretung hinweg. Schade nur, dass über diese bundespolitischen Fehlleistungen bei Landtagswahlen gerichtet wird.


Professor Dr. Werner J. Patzelt ist Gründungsprofessor des Dresdner Instituts für Politikwissenschaft und hat den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich seit 1991 inne.


24.03.2011, 21:01 Uhrmargrit117888

Genau so ist es. Eine Demokratie sind wir schon lange nicht mehr. Selbst der große Staatsrechtler von Arnim sagt das. Deutschland ist ein Parteienstaat geworden. Die Parteien haben sich das Land unter sich aufgeteilt und halten es im Griff wie eine große Krake.
Aber wie schon richtig gesagt, den Deutschen geht es offenbar noch viel zu gut. Hinzu kommt, dass sie ja auch über viele Jahre verblödet wurden. Man muß doch nur mal hören, wenn Abiturienten den Mund aufmachen, da zieht es mir die Schuhe aus.
Durch Deutschland muß ein Tsunami gehen mit Haupteinschlag in Berlin im Reichstag, im Regierungsviertel.
Wir haben mehr und mehr Zustände wie in der Weimarer Republik, auch damals waren die Parteien so zerstritten wie heute und hatten vergssen, dass sie dem Land dienen sollen. Das ist gefährlich denn es läßt Raum für rechte oder linke Diktatoren.


Kommentare:

24.03.2011, 15:43 UhrAnonymer Benutzer: Yuppie_warme_Luft_keine_Substanz

Herr Werner bringt es exakt auf den Punkt.
Dem gilt es noch eine weitere Facette hinzuzufügen.
Nicht zuletzt aufgrund seiner Homosexualität hat WW eine "Ihr kauft mir nicht den Schneid ab" Mentalität verinnerlicht. Es ist sozusagen sein Lebenselixier, als Aussenseiter und Individualist die Mehrheit zu provozieren und trotzdem stehenzubleiben. Eine denkbar ungünstige Voraussetzung für einen Aussenminister. Westerwelle ist aufgrund seiner Persönlichkeit dabei, die deutsche Aussenpolitik in Schutt und Asche legen, um dann mit geschwollener Brust zu verkünden:"Ihr kauft mir nicht den Schneid ab, ich bleibe stehen". Dieser Narziss reisst uns alle in den Abgrund.

24.03.2011, 17:42 UhrAnonymer Benutzer: Luegenpack

Hier noch etwas zum Thema Glaubwürdigkeit von Spitzenpolitikern vom Schlage eines FDP-Brüderle:

http://www.welt.de/wirtschaft/article11248506/Bruederle-gibt-Entwarnung-fuer-Portugal-Spanien-amp-Co.html

24.03.2011, 20:35 UhrAnonymer Benutzer: Alfred_H

"...wird aufs Unangenehmste deutlich, was man bei dieser Regierung schon lange vermutet hat: Es geht um Bauernfängerei, nicht um die Sache..."

Wieso nur vermutet? Man konnte es schon lange mit eigenen Augen sehen. Und mal so nebenbei gesagt. Zur Bauernfängerei gehören auch jede Menge dumme Bauern, die sich fangen lassen. Und davon ist Deutschland leider übervölkert.


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