Montag, 18. April 2011

FAZ: Finnland:Euro Gegner erreichen hohen Stimmenanteil

Die „Wahren Finnen“

„Wir waren zu weich gegenüber Europa“

Mit ihrer Protest-Agenda haben es die „Wahren Finnen“ in den Kreis der vier großen Parteien Finnlands geschafft. Es ist ein Sieg des Timo Soini. Ein Sieg des Populisten. Große Verliererin der Wahl ist Ministerpräsidentin Kiviniemi.

Von Matthias Wyssuwa

Soini: „Das ist ein historischer Wechsel.“Soini: „Das ist ein historischer Wechsel.“

18. April 2011 2011-04-18 15:31:04

Als er seinen Stimmzettel in die Wahlurne warf, hatte Timo Soini noch den blauen Fanschal einer englischen Zweitliga-Mannschaft um den Hals gelegt. Der FC Millwall ist ein Arbeiterverein aus London, ein Löwe in drohener Pose ziert den Schal. Am späten Abend dann stand Soini in Anzug und Krawatte vor seinen Anhängern im Haus einer Studentenverbindung in Helsingfors und sprach von „den alten Parteien“, die der Wähler bestraft habe. Der Jubel war kräftig, es gab „Timo, Timo“-Rufe. 19 Prozent der Finnen gaben bei den Parlamentswahlen am Sonntag den „Wahren Finnen“ ihre Stimme. Es ist ein Sieg des Timo Soini. Ein Sieg des Populisten. Ein Sieg gegen die EU und die „alten Parteien“. Soini sagte: „Das ist ein historischer Wechsel.“

Für die Wahlen in Finnland scheint selbst die Einordnung „historisch“ nicht unangemessen, das Ergebnis sprengt ein eingefahrenes Parteiensystem auf. In den vergangenen Jahrzehnten ging es vor allen darum, wer aus dem Kreis der drei großen Parteien – der agrarischen Zentrumspartei, den Sozialdemokraten und der konservativen Sammlungspartei – die Führung und somit das Amt des Ministerpräsidenten übernimmt. Zwei der Drei koalierten miteinander, man holte sich kleine Parteien für eine breite Mehrheit hinzu. Die dritte Partei wartete derweil in der Opposition, darauf bedacht, die möglichen künftigen Partner nur nicht zu brüskieren. In den vergangenen vier Jahren regierten die Zentrumspartei und die Sammlungspartei gemeinsam mit den Grünen und der Partei der schwedischsprachigen Minderheit in Finnland, der Schwedischen Volkspartei. Seit dem Ende des Wahlabends am Sonntag aber gibt es nicht mehr nur drei große Parteien in Finnland: Mit den „Wahren Finnen“ ist eine vierte hinzugekommen.

Gegen Homo-Ehe und Abtreibung Sie kritisierten die Europäische Union als zu teuer und zu uneffektiv.

Schmerzhafte Niederlage: Ministerpräsidentin Mari KiviniemiSchmerzhafte Niederlage: Ministerpräsidentin Mari Kiviniemi

Die Umfragewerte für die populistische Partei waren in den vergangenen Monaten stets gut, doch das Wahlergebnis ist noch besser: Mit 19 Prozent der Stimmen konnten die „Wahren Finnen“ ihr Ergebnis von der letzten Parlamentswahl fast verfünffachen, nur knapp liegen sie hinter der Sammlungspartei und den Sozialdemokraten. Die Zentrumspartei der Ministerpräsidentin Mari Kiviniemi überholten sie deutlich. Nach nur zehn Monaten im Amt muss sie die Villa des Ministerpräsidenten wieder verlassen, auch der Absturz ihrer Partei verdient sich die Einordnung „historisch“. Im Wahlkampf hatten sich die „Wahren Finnen“ als Protestpartei geriert, als Alternative zu den „Etablierten“.

Sie traten für „finnische Werte“ ein, sie verlangten eine restriktive Einwanderungspolitik, lehnten die Homo-Ehe ab und auch Abtreibung. Vor allem aber kritisierten sie die Europäische Union als zu teuer und zu uneffektiv. Bei Wahlkampfauftritten wetterte Soini gegen den EU-Rettungsmechanismus, Finanzhilfen für Griechenland, Irland und Portugal lehnte er ab. Zu den ersten wichtigen Entscheidungen des neuen Parlaments wird in wenigen Wochen gerade die Abstimmung über den EU-Rettungsmechanismus gehören. Am Montag sagte Soini nach Agenturangaben: „Wir waren bisher zu weich gegenüber Europa. Das muss sich ändern.“

Die Forderungen der „Wahren Finnen“ werden künftig Jyrki Katainen Kopfschmerzen bereiten. Er ist der Wahlgewinner im Schatten von Soini. Mit 20,4 Prozent wurde seine Sammlungspartei stärkste Kraft – zum ersten Mal überhaupt. Der 39 Jahre alte bisherige Finanzminister dürfte so auch der nächste Ministerpräsident Finnlands werden, aber erst muss er seine Regierung bilden – und die Partner in Europa beruhigen. Schon am Wahlabend sagte er mit Blick auf die anderen europäischen Hauptstädte: „Finnland war immer schon ein verantwortlicher Problemlöser, nie ein Problemverursacher.“

Wie Katainen es schaffen will, auch gemeinsam mit den „Wahren Finnen“ nicht zu einem Problemverursacher in Europa zu werden, ist noch offen. Dass die Populisten aber an der nächsten Regierung beteiligt werden, gilt als sehr wahrscheinlich. Zu stark hat die Partei hinzugewonnen, als dass sie sich ausgrenzen ließe. Auch rechnen Beobachter damit, dass die „Wahren Finnen“ sich in der Regierung immerhin recht schnell entzaubern ließen – außer Soini gehören ihnen kaum erfahrene oder bekannte Politiker an. Katainen hatte sich im Wahlkampf bemüht, nur keine Gräben zwischen ihm und Soini aufreißen zu lassen. Offene Angriffe gab es nicht.

Schon vor der Wahl ist die Sammlungspartei den „Wahren Finnen“ auch bei ihrer Position zur Einwanderungspolitik entgegengekommen: Strengere Regeln für den Familiennachzug würden geprüft. Doch werden sich in den Koalitionsverhandlungen vor allem zwei Wahlkampfversprechen gegenüber stehen: Die Zustimmung zu den EU-Rettungsmechanismen für Portugal und Co. (Katainen) gegen die strikte Ablehnung (Soini). An dieser Frage wird sich die Regierungsbildung entscheiden – und Finnlands künftige Rolle in Europa. Katainen sagte dazu: „Wenn verantwortliche Menschen an einem Tisch sitzen und Themen von finnischem Interesse diskutieren, dann werden sich immer Lösungen finden lassen.“ Soini sagte Ähnliches, auch wenn er die Sauna als Verhandlungsort vorschlug.

Schwedisch als Pflichtfach abzuschaffen

Die „Wahren Finnen“ werden Jyrki Katainen Kopfschmerzen bereitenDie „Wahren Finnen“ werden Jyrki Katainen Kopfschmerzen bereiten

Ebenso offen ist, wer noch in die Regierung einzieht. Sammlungspartei und „Wahre Finnen“ kommen im neuen Parlament gemeinsam auf 83 von 200 Sitzen. Die Zentrumspartei fällt offenbar als Partner aus: Mari Kiviniemi sagte am Wahlabend, mit dem Ergebnis „werden wir uns in der Opposition wiederfinden“. Die Sozialdemokraten dürften dafür im Gegenzug die Oppositionsbänke verlassen. Bei vielen Programmpunkten sind sie nicht weit von den „Wahren Finnen“ entfernt, bei den EU-Finanzhilfen wollen sie zumindest die Finanzierung neu verhandeln, Banken und Investoren stärker belasten. Vor der Wahl zählte ein Kandidat der „Wahren Finnen“ in Helsinki einmal seine Lieblingskoalitionen auf: Die Sozialdemokraten gehörten stets zu den bevorzugten Partnern. Die Sammlungspartei galt ihm als Notlösung. Gemeinsam könnten die Parteien nun bald die neue Regierung Finnlands bilden.

Nur eine Partei ist dann wohl nicht mehr dabei, die in der Vergangenheit stets mitregierte: Seit gut drei Jahrzehnten sitzt die Schwedische Volkspartei in der Regierung, in allen möglichen Konstellationen stellte sie Minister. Die „Wahren Finnen“ aber haben im Wahlkampf gefordert, Schwedisch als Pflichtfach an finnischen Schulen abzuschaffen. Die Schwedische Volkspartei dürfte daher wohl freiwillig in die Opposition wechseln – auch das wäre dann historisch zu nennen.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: AFP, dpa, REUTERS

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