Donnerstag, 14. April 2011

Zeit: Schäuble und EADS verleihen Polizisten an Saudi Arabien

Saudi-Arabien Zweifelhafter Einsatz der Bundespolizei

Rund 30 Bundespolizisten bilden in Saudi-Arabien Grenzer aus – mit zweifelhaftem Rechtsstatus. Das Projekt dient auch Interessen der Industrie.

Der Grenzposten al-Wadia zwischen Saudi-Arabien und dem Jemen. (Archivbild)

Der Grenzposten al-Wadia zwischen Saudi-Arabien und dem Jemen. (Archivbild)

Bei sengender Sonne in einem Ausbildungslager in der Wüste saudische Grenzer auszubilden, gehört nicht zu den Traumjobs eines deutschen Polizisten. Vor allem nicht, wenn in den Nachbarländern Irak und Jemen Bürgerkrieg herrscht, und in Bahrain und Jordanien das Volk aufbegehrt. Doch die Beamten der Bundespolizei sind heikle Aufträge gewöhnt: In Deutschland schützen Bundespolizisten radioaktiven Müll, der in Castor-Transporten in Richtung Zwischenlager rollt, und stehen bei Fußballspielen zwischen verfeindeten Fans. Im Ausland bewachen sie deutsche Botschaften und bilden Kollegen aus – etwa in Afghanistan. Die Mission der Bundespolizisten in Saudi-Arabien wirkt daher auf den ersten Blick wie eine unter vielen. Doch der Einsatz der Polizisten in dem arabischen Land kam unter merkwürdigen Rahmenbedingungen zustande. Er erzürnt die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Opposition im Bundestag.

Denn zwischen der Entsendung der deutschen Beamten und dem Abschluss eines Rüstungsvertrages über mehrere Milliarden Euro bestehe ein direkter Zusammenhang, berichtet das ARD-Magazin Fakt vorab. Am Montagabend wird Fakt über ein Geschäft zwischen Saudi-Arabien und dem europäischen Rüstungsriesen EADS berichten, das anscheinend nur Dank der Hilfe deutscher Behörden möglich wurde: die Errichtung einer umfassenden Grenzsicherungsanlage in Saudi-Arabien. Durch Recherchen des MDR wurde aufgedeckt, dass deutsche Polizisten geradezu zur "Verhandlungsmasse" bei dem Vertragsabschluss geworden sein sollen, da die Saudis auf die Ausbildung ihrer Grenzer durch deutsche Beamte bestanden hätten.

Im Mai 2009 besuchte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble Saudi-Arabien. Ein "Thema des Besuchs" war laut der Bundespolizei "die Unterstützungsleistungen Deutschlands für Saudi-Arabien bei der Modernisierung seiner landesweiten Grenzsicherung". In einer Mitteilung hieß es: "Im Rahmen dieser bilateralen grenzpolizeilichen Zusammenarbeit führen Experten der Bundespolizei seit Beginn diesen Jahres Trainingsmaßnahmen zur Qualifizierung von Führungskräften des saudischen Grenzschutzes durch."

Wenige Tage nach dem Ministerbesuch in Riad dürften in der Chefetage des Rüstungskonzerns EADS die Champagnerkorken geknallt haben – der Milliardenvertrag war unterschriftsreif. Stolz teilte das europäische Rüstungskonsortium im Juni 2009 mit, das Königreich Saudi-Arabien als Kunden für ein Megaprojekt gewonnen zu haben. "Bei diesem international stark umkämpften Vertrag, der in den kommenden fünf Jahren abgewickelt wird, handelt es sich um das weltweit größte Projekt, das jemals als Gesamtlösung vergeben wurde", hieß es damals in einer Pressemeldung. Auch in einem Ausblick bis 2020 bezeichnet EADS das Grenzsicherungssystem für Saudi-Arabien als eines der wichtigsten Projekte des Konzerns. Andere Staaten wie Algerien haben bereits Interesse an ähnlichen Anlagen angemeldet. EADS war für eine Stellungnahme am Wochenende nicht zu erreichen.

Die enge Kooperation mit der Bundespolizei erwähnte EADS nicht. Doch die dauerhafte Entsendung von 30 bis 40 deutschen Beamten nach Saudi-Arabien beunruhigt die GdP. "Wir wussten, dass die Bundespolizei in Riad ein Projektbüro eingerichtet hat", sagt Jürgen Stark, Vorstandsmitglied der GdP-Bundespolizei. "Was wir nicht wussten war, dass es eine so enge Verknüpfung zur Firma EADS gibt. Der Konzern hat den Auftrag wohl nur bekommen, weil deutsche Polizisten die Ausbildung übernommen haben. Erstmals wird die deutsche Polizei zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen genutzt."

Stark, der bei der Gewerkschaft für Auslandseinsätze der Bundespolizisten zuständig ist, prangert gegenüber ZEIT ONLINE die "fehlende Rechtsgrundlage" der Mission in Saudi-Arabien an: Die Gewerkschaft habe vom Bundesinnenministerium bis heute nicht das Abkommen zwischen Deutschland und Saudi-Arabien erhalten, das die Zusammenarbeit der Behörden regelt. Die GdP hat über Umwege erfahren, das darin lediglich ein Informationsaustausch vorgesehen ist.

Das bestätigt der MDR, dem das Abkommen vorliegt. Darin werde die Entsendung von Beamten nicht erwähnt, heißt es beim Mitteldeutschen Rundfunk. Lediglich die Zusammenarbeit auf Informationsebene werde präzisiert. Das Interesse in der westlichen Welt an Informationen aus der Region ist seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hoch – aus Saudi-Arabien stammten die meisten der Attentäter. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Saudi-Arabien im Sicherheitsbereich bestand aber bereits viele Jahre vor dem Terrorangriff auf die USA. Der Gründer der deutschen Anti-Terror-Einheit GSG9 beriet die Saudis beispielsweise beim Aufbau einer Spezialtruppe.

Das saudische Regime gilt im Westen als wichtiger Verbündeter. Der Bundessicherheitsrat stimmte in der Vergangenheit immer wieder Rüstungsexporten deutscher Firmen in das arabische Land zu. Saudi-Arabien finanziert mit den Einnahmen aus der Ölförderung den Kauf von Kampfjets, Kriegsschiffen und Sicherheitstechnik. Allein 2009 investierte Riad 41 Milliarden Euro in die Ausrüstung seiner Streitkräfte. Das Land hat den höchsten Sicherheitsetat in der Region. Davon wollen viele europäische und amerikanische Rüstungsfirmen profitieren. "Wir müssen jetzt dahin, wo die Militärausgaben zweistellig steigen, wie etwa in Indien, Brasilien oder dem Mittleren Osten", sagte Cassidian-Vorstandschef Stefan Zoller der Financial Times Deutschland Ende März. Cassidian gehört zum Konzern EADS und bündelt dessen Rüstungssparte.

Die GdP kritisiert, dass Deutschland dem Konzern anscheinend indirekt bei der Kundenakquise geholfen habe. Der Bundestag sei darüber nicht informiert worden, sagt Stark. "Die Innenpolitiker sind erstaunt, wie die Dinge gelaufen sind. Wir fordern, dass ein Entsendegesetz für Polizisten auf den Weg gebracht wird und dass das Parlament in die Auslandseinsätze der Bundespolizei einbezogen wird."

In der Vergangenheit habe es mehrere parlamentarische Anfragen zu Einsätzen deutscher Polizeibeamter im Ausland gegeben, berichtet der MDR. Die Anzahl der eingesetzten Polizisten in Saudi-Arabien sei von der Bundesregierung nur mit einem Sicherheitsbeamten angegeben worden. Innenpolitiker der Grünen äußerten sich gegenüber Fakt empört über die Informationspolitik des Kabinetts: "Die haben uns hinter die Fichte geführt", sagte der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland. Er forderte, dass die Verträge zwischen Bundesinnenministerium und EADS offengelegt werden.

Das dürfte beiden Parteien nicht gefallen. Denn EADS bezahle ein Extra-Honorar an die Ausbilder in Saudi-Arabien, berichtet Stark, weil die Beamten nicht wie üblich einen Auslandszuschuss vom Staat bekämen. Die Polizisten vor Ort haben den Gewerkschaftern noch weitere merkwürdige Details der Mission verraten. So müssten die deutschen Polizisten alle 30 Tage Saudi-Arabien verlassen und ins benachbarte Bahrain reisen, weil es kein Visa-Abkommen für den Einsatz gebe. Nach zwei Tage bekämen die Polizisten dann ein neues Visum in Riad ausgestellt. Die Beamten würden zudem lediglich ihren Dienstausweis verwenden und verfügten nicht über einen Diplomatenpass und damit auch nicht über eine Immunität. "Das ist nicht normal", sagt der Gewerkschafter. "Mit Afghanistan gibt es beispielsweise ein Staatsabkommen, das den Status der deutschen Beamten regelt. Was passiert, wenn die deutschen Polizisten in Saudi-Arabien rechtliche Probleme bekommen? Wer holt sie dann raus?"

Ungefährlich ist der Auftrag der deutschen Beamten nicht. Gegen die Errichtung des Grenzzauns zum Jemen protestierte bereits die Bevölkerung in der Region Dschisan. Die Stämme dort leben seit Jahrhunderten auf beiden Seiten der Grenze. Im November 2009 starb ein saudischer Grenzpolizist bei einer Auseinandersetzung mit jemenitischen Rebellen. In dem Nachbarland kämpfen Aufständische im Norden und Süden sowie Terroristen gegen die Regierung in Sanaa. Saudi-Arabien mischt sich mit Kampfjets und seiner Marine immer wieder in die Kämpfe ein.

Unter Sicherheitsexperten gilt die Grenze zum Jemen als kaum zu kontrollieren. Sie verläuft durch Gebirge und durch die Wüste Rub al-Khali. In der Grenzregion operieren Schmuggler und radikale Gruppen. Jemeniten transportieren heimlich die Droge Qat nach Saudi-Arabien, Schlepper schleusen illegale Migranten in das reiche Land.

Die deutschen Polizisten zeigen ihren saudischen Kollegen, wie sie Personenkontrollen durchführen und mit der Hightech made in Germany Fahrzeuge verfolgen können. Das Training könnten auch Mitarbeiter von EADS machen, sagt Stark. Aber die deutschen Polizisten genössen hohes Ansehen im Ausland. "Was würde passieren, wenn die Bundespolizei die Beamten abziehen würde?", fragt Jürgen Stark. "Verlöre EADS dann den Auftrag?" Diese Fragen dürften theoretisch bleiben. Denn für 2012 und 2013 suche das Bundesinnenministerium anscheinend noch mehr Beamte als momentan für den Einsatz in Nahost, heißt es bei der GdP. Saudi-Arabien will künftig auch den Schutz seiner Küste verbessern und dabei wie gehabt auf die Unterstützung seiner deutschen Freunde setzen.

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