Quittung für Jahre der Misswirtschaft
Trotz EU-Zahlungen verbesserte Portugal seine Wettbewerbsfähigkeit nicht – Eigentlich bleibt nur Insolvenz
 
           Nach Griechenland und Irland schlüpft nun auch Portugal unter den EU-Rettungsschirm. Das ärmste Land Westeuropas mit nur zehn Millionen Einwohnern soll mit 80 Milliarden Euro vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch bewahrt werden. Als Gegenleistung für die Notkredite wird von dem Land ein Sparprogramm gefordert, das härter sein wird als das, mit dem die portugiesische Regierung erst vor kurzem gescheitert ist.
Schon bis zum 16. Mai sollen die  Verhandlungen über die Hilfszahlungen und das von der EU geforderte  Sanierungsprogramm beendet sein. Kurz danach sollen die ersten Gelder  aus dem Rettungsfonds fließen – rechtzeitig, bevor am
15. Juni rund  sieben Milliarden Euro für auslaufende portugiesische Staatsanleihen und  Zinszahlungen fällig werden. Das von Brüssel geforderte Sanierungspaket  soll erheblich tiefgreifender sein, als das Sparprogramm, das am 23.  März dem Parlament vorgelegt worden war. Die Ablehnung des Sparkurses  führte zum Scheitern der Regierung von Ministerpräsident Jose Socrates.  Nach seinem Rück-tritt im März wurden Neuwahlen für den 5. Juni  angesetzt. Die Verhandlungen von EU und Internationalem Währungsfonds  (IWF) mit der bis dahin amtierenden Übergangsregierung werden daher  parallel zum Wahlkampf verlaufen. Ein politisches Risiko – die ersten  Hilfszahlungen werden fließen, bevor das neu gewählte Parlament die  Arbeit aufnimmt und in Lissabon eine handlungsfähige Regierung gebildet  wurde.
Aus diesem Grund sollen neben der Übergangsregierung auch die  großen Oppositionsparteien an den Verhandlungen mit der EU-Kommission,  Europäischer Zentralbank und IWF eingebunden werden. Trotzdem bleibt die  Gefahr, dass von einem künftigen Wahlsieger nach dem 5. Juni  Nachverhandlungen gefordert werden. Ausgeschlossen ist auch nicht, dass  es bei den Wahlen zu einem Linksruck kommt und eine neue Regierung dem  gesamten Hilfspaket die Unterschrift verweigert. Aus diesem Grund gibt  es in der EU Überlegungen, zunächst nur die Verhandlungen und  Hilfszahlungen für das Jahr 2011 aufzunehmen und das Gesamtpaket für die  Folgejahre 2012 und 2013 erst mit der im Juni neu gewählten Regierung  zu verhandeln.
Trotz der fast aussichtslosen Lage der  portugiesischen Finanzen hatte sich das Land bisher hartnäckig  geweigert, den EU-Rettungsschirm in Anspruch zu nehmen. Über den Anlass,  warum es nun doch zum offiziellen Hilferuf an die EU kam, kursieren  unterschiedliche Versionen: Der Chef des portugiesischen  Bankenverbandes, Antonio de Sousa, behauptet, dass die Europäische  Zentralbank (EZB) unter ihrem Chef Jean-Claude Trichet die  portugiesischen Banken aufgefordert haben soll, in einen Käuferstreik  für Staatsanleihen des Landes zu treten, falls die Regierung sich  weiterhin weigern sollte, ein Hilfegesuch an die EU zu richten.
Vom  EZB-Chef Trichet wird diese Darstellung bestritten, sollte es sich aber  tatsächlich so zugetragen haben, hätten die portugiesischen Banken, die  am Tropf der EZB hängen, kaum eine Chance gehabt, sich einer solchen  Aufforderung zu widersetzten.
Ausgeschlossen ist nicht, dass  Portugal derart unter Druck gesetzt wurde – in Brüssel ist die Angst vor  einem Übergreifen der Krise auf Spanien groß. Aber auch ohne Druck der  EZB hat sich Portugal in den letzten Monaten nur noch mit Mühe am  Kapitalmarkt halten können. Zuletzt mussten für einjährige Anleihen fast  sechs Prozent Zinsen gezahlt werden, für fünfjährige Papiere musste  Portugal mehr als neun Prozent anbieten. Zinssätze, die sich kein Staat  lange leisten kann. Portugal ist anders als Irland nicht an einem  maroden Bankensektor gescheitert, sondern die Krise hat strukturelle  Gründe. Das Heimatland des Chefs der EU-Kommission, José Manuel Barroso,  gilt nicht als ein Modell für Europa. Nach dem Beitritt zur EWG im Jahr  1986 hat das Land seit mittlerweile 25 Jahren Transferzahlungen aus dem  übrigen Europa erhalten, ist aber nicht wettbewerbsfähiger geworden.
Eine  industrielle Basis ist in dem Land nahezu nicht vorhanden, daran hat  auch das Versagen des Bildungssystems einen Anteil. Nach Angaben der  Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)  haben nur 28 Prozent der Portugiesen zwischen 25 und 64 Jahren eine  abgeschlossene Berufsausbildung oder die Reifeprüfung.   
Die  Gesamtschulden Portugals sind inzwischen auf 92,4 Prozent des  Bruttoinlandsprodukts angewachsen. Im Jahr 2010 betrug das staatliche  Defizit 8,6 Prozent der Wirtschaftsleistung. An den angekündigten  Notkrediten wird Deutschland voraussichtlich mit 25 Milliarden beteiligt  sein. Allerdings ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen,  dass die Kredite nur ein Zwischenschritt hin zu einem Schuldenerlass  sind. Ähnlich wie im Fall Griechenland geht kaum jemand davon aus, dass  Portugal ohne einen solchen Schritt wieder auf die Beine kommen wird.  Betroffen wären vor allem die größten Kreditgeber des Landes, die  spanischen Banken. Sie sind mit etwa 70 Milliarden Euro in Portugal  engagiert und haben selbst mit den Folgen einer Immobilienkrise zu  kämpfen. Über den Umweg des EU-Rettungsschirms für Portugal hat Spaniens  Bankensektor nochmals eine Gnadenfrist erhalten.
Norman Hanert
 
 
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