Montag, 20. Juni 2011

Zeit: ie Helmut Schmidt Herausgeber der ZEIT wurde

Helmut Schmidt Vom Kanzleramt ins Pressehaus

Wie Helmut Schmidt Herausgeber der ZEIT wurde. Ein Auszug aus dem neuen Buch.

Um ein Haar wäre Helmut Schmidt 1949 Journalist geworden. Nachdem er im Juni sein Examen als Diplomvolkswirt bestanden hatte, dachte er sich einige Zeitungsartikel aus, weil er hoffte, beim Hamburger Echo Beschäftigung zu finden. In dem vom Bombenkrieg ziemlich mitgenommenen Pressehaus am Speersort residierten damals neben dem Echo auch die Morgenpost, der Spiegel die ZEIT, der stern und die Zeitschrift Wild und Hund, die sich zunächst alle eine Rotationspresse teilten. Aber es wurde nichts aus Schmidts Vorhaben, weil die Zeitung ihn nicht haben wollte. So ging er zuerst in die Verwaltung der Hansestadt, dann in die Politik. Es dauerte vierunddreißig Jahre, bis er schließlich doch noch im Pressehaus landete.

Dass der Altbundeskanzler zur ZEIT kam,ist einem Geniestreich von Gerd Bucerius zu verdanken, dem Gründer und Inhaber des Blattes. Im Sommer 1982 neigte sich die achtjährige Amtszeit des Bundeskanzlers Helmut Schmidt unübersehbar ihrem Ende zu. Die sozialliberale Koalition lag in Agonie. Auf entscheidenden Politikfeldern hatte der Kanzler Probleme mit der eigenen Partei. Bucerius, von 1949 bis 1962 Bundestagsabgeordneter der CDU, sah das Ende der sozialliberalen Koalition voraus; den Rücktritt des Kanzlers hielt er für möglich. Im Sommer 1982 bereits fragte er den ehemaligen Bundesbankpräsidenten Karl Klasen, mit dem beide befreundet waren, ob es vorstellbar sei, Helmut Schmidt als ZEIT- Herausgeber neben Marion Gräfin Dönhoff zu gewinnen.

Es erwies sich nicht nur als vorstellbar, sondern als machbar. Am 1. Oktober 1982 wurde der Bundeskanzler Helmut Schmidt per konstruktivem Misstrauen abgewählt, am 9. Oktober schon saß Bucerius bei ihm am Neubergerweg in Hamburg-Langenhorn. Es war das erste einer Reihe von Gesprächen, teils auf dem gelben Sofa im Bucerius-Büro, teils im Neubergerweg, einmal auch auf einem – zufälligerweise gemeinsamen – Flug nach Tokio. Dabei zimmerten sie eine Basis für die Zusammenarbeit.

Freilich kamen dem Verleger zwischendurch doch immer wieder Bedenken, zumal als die SPD Helmut Schmidt für die Bundestagswahlen im März 1983 ein weiteres Mal die Spitzenkandidatur antrug und er vier Wochen lang mit der Frage rang, ob er sich nicht erneut in die Pflicht nehmen lassen müsse. Zwar erteilte er seiner Partei Ende Oktober eine Absage; zu tief war der Riss, der ihn von großen Teilen der SPD trennte. Auch erklärte er Bucerius, er wolle sich als Elder Statesman in der aktiven Politik beschränken, seinen Wahlkreis verteidigen, im Jahr eine, vielleicht zwei Bundestagsreden halten und im Übrigen aus der Parteispitze ausscheiden. Doch als der ZEIT- Inhaber erfuhr, dass Schmidt zehn Wahlkampfreden zu halten gedachte, schreckte er zurück. »Mit Marion Dönhoff war ich mir sofort einig«, schrieb er im Dezember an Schmidt: »Das waren zehn Reden zu viel. Schade, wir hatten uns auf die Zusammenarbeit gefreut; richtiger: uns viel davon versprochen.«

Bucerius übertrieb die ablehnende Haltung der Gräfin bei Weitem। Zusammen mit dem Chefredakteur setzte die Herausgeberin vielmehr alles daran, Bucerius seine Zweifel auszureden. Doch der Verleger tat sich schwer mit seiner Entscheidung. Er schob sie vor sich her, und wie so oft in schwierigen Situationen flüchtete er sich in eine Angina. Am 17. Dezember schrieb er an Schmidt: »Eine fiebrige Halsentzündung hat mich wieder überfallen. Nach meiner Erfahrung bin ich Sonntag noch nicht wieder so hergestellt, daß ich mit klaren Gedanken verbindliche Abreden treffen kann. Vor allem geht es mir darum, Ihre Zukunftspläne zu erfahren und zu sehen, ob sie mit unseren Erfordernissen übereinstimmen. […] Der Aufschub tut mir leid. Übrigens fliegen wir wohl in derselben Maschine nach Tokio.«

Auf diesem Flug müssen die beiden manches geklärt haben. Letztlich war es dann wohl die Überzeugungskraft von Karl Klasen, die den Verleger dazu brachte, es trotz all seiner Bedenken zu versuchen. Am 31. Dezember 1982 schickte Bucerius dem in der Casa de los Musicos von Justus Frantz und Christoph Eschenbach auf Gran Canaria urlaubenden Bundeskanzler a. D. sein Angebot. »Lieber Herr Schmidt«, schrieb er, »darf ich Ihnen nach neuen Gesprächen mit Gräfin Dönhoff und Dr. Sommer meinen Vorschlag machen und begründen?« Die Begründung nahm sich eher merkwürdig aus – Bucerius war wohl der Einzige im Lande, der bei den bevorstehenden Bundestagswahlen einen Sieg der Sozialdemokraten für möglich hielt. Doch die Job-Offerte war eindeutig: »Einer im (dank Ihrer Hilfe: furiosen) Bundestagswahlkampf triumphierenden SPD kann man nicht außerdem noch als Trophäe die ZEIT mitgeben. DIE ZEIT geht mit dem Sieger, würde es dann heißen. Das wäre gegen die Tradition des Blattes. Bleibt aber eine CDU-Regierung (vielleicht mit der FDP), dann wäre es die Tradition der ZEIT, dem Gegner eine Plattform zu bieten, zum Beispiel als Herausgeber. Das also ist mein Vorschlag. Aufgabe der Herausgeber: Verlag und Redaktion zu beraten

Nach der Bundestagswahl schlug Schmidt ein. Konkretes wurde nicht vereinbart. Lose war von »vier tragenden Artikeln im Jahr« die Rede. Zimmer plus Vorzimmer wurden im Pressehaus eingeplant; es solle »nicht repräsentativ« sein, hatte Schmidt gesagt. Ums Geld ging es ihm nicht, denn er war sich sicher, dass er mit Büchern und Vorträgen genug verdienen würde. Das gleiche Gehalt wie die Gräfin war seine Vorstellung; am ersten Zahltag ging ihm allerdings auf, wie bescheiden die Löhnung war und blieb. Ein schriftlicher Vertrag wurde nicht geschlossen – übrigens bis zuletzt nicht; ein Handschlag reicht unter Hanseaten noch immer aus.

Es war ein Coup für Bucerius, dass Helmut Schmidt nach der Wahlniederlage der SPD am 6. März 1983 Anfang Mai in die Führungsetage der ZEIT einzog, in das 16 Quadratmeter große Zimmer 605 im Pressehaus am Speersort. Dort residierte er bis 1995. Nach dem Tod des Verlegers bezog er ein paar Türen weiter im sechsten Stock dessen – auch nicht viel größeres – Eckbüro. Seitdem sitzt er dort zwischen prall gefüllten Bücherwänden an einem schlichten weißen Resopalschreibtisch. Originalkarikaturen erinnern an die Kanzlerzeit. Ein kleiner Konferenztisch und eine braune Sofaecke ergänzen die Einrichtung. Die Anspruchslosigkeit des Mobiliars wird durch den grandiosen Ausblick über die Hansestadt wettgemacht. Die Türme von vier Kirchen – St. Katharinen, St. Nikolai, St. Michaelis, St. Petri – stechen in den Hamburger Himmel, dazu der Rathausturm. Auf der anderen Seite fällt der Blick auf die Speicherstadt, die Kräne des Hafens und die im Wachsen befindliche Elbphilharmonie.

Das Panoramazimmer über den Dächern Hamburgs wurde Helmut Schmidt zur publizistischen Heimstatt und Werkstatt.


Theo Sommer: Unser Schmidt

Der Staatsmann und der Publizist; Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010; 416 S., 22,- €

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