Mittwoch, 7. Juli 2010

Warnung vor Transferunion

Warnung vor Transferunion
Mehrere deutsche Professorengruppen klagen gegen den Euro-Rettungsschirm. Sie sprechen von einem „Putsch“ und von „kriminellem Umgang mit der Verfassung“. Die Bürger hätten dagegen sogar das Recht auf Widerstand.

Von Joachim Jahn, Berlin

Die Professoren Wilhelm Hankel, Wilhelm Noelling, Karl Albrecht Schachtschneider und Joachim Starbatty (von links), stehen nach der Übergabe ihrer Klageschrift vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

Die Professoren Wilhelm Hankel, Wilhelm Noelling, Karl Albrecht Schachtschneider und Joachim Starbatty (von links), stehen nach der Übergabe ihrer Klageschrift vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
07. Juli 2010

Die Gruppe von Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlern um den Tübinger Ökonomen Joachim Starbatty hat ihre Verfassungsbeschwerde gegen den Euro-Rettungsschirm ausgeweitet. „Die weiteren politischen Entscheidungen in Brüssel haben uns bestärkt“, sagte Starbatty in einer Pressekonferenz in Berlin. „Die handstreichartige Missachtung des Lissabon-Vertrags verstößt gegen zentrale Rechte der Bürger aus dem Grundgesetz.“ Für den „Schutzschirm“ hat Deutschland Garantien für Kredite an Euro-Länder bis zu 148 Milliarden Euro bewilligt. Damit sollen die Finanzmärkte von weiteren Spekulationen auf Staatspleiten im Euro-Raum abgebracht werden.

Auch der Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler (CSU) hat Klage gegen die Bürgschaften eingereicht, ebenso eine Gruppe um den Berliner Finanz- und Rechtswissenschaftler Markus C. Kerber sowie mehrere Einzelpersonen. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang lediglich Anträge auf einstweilige Anordnungen abgelehnt, aber nicht inhaltlich über die Klagen entschieden.

Kerber hofft auf eine „Bürgerrevolte“

Starbatty sagte, mittlerweile habe Europa praktisch eine Wirtschaftsregierung. „Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren fällt aus.“ Die Bundeskanzlerin habe den Bundespräsidenten „genötigt“, beide „Notstandsgesetze“ zu unterzeichnen. Die Kläger sehen darin einen „Putsch“. Starbattys Mitstreiter, der frühere Hamburger Wirtschaftssenator Wilhelm Nölling, bezeichnete es als Märchen, dass Deutschland von der Währungsunion besonders profitiert habe. Deutschland und Europa würden „ausbluten“, der Lebensstandard sinken, wenn vor allem der deutsche Steuerzahler auf unbegrenzte Zeit die Finanzierung anderer Staaten mitbezahlen müsse.

Der Volkswirt Wilhelm Hankel bezeichnete eine Zerrüttung der Staatsfinanzen durch Hilfe für Griechenland und womöglich weitere Euro-Länder als „kriminellen Umgang mit unserer Verfassung und den europäischen Verträgen“. Dies werde zu einer Flucht aus dem Euro führen. Der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider zeigte sich zuversichtlich, dass das höchste Gericht der Beschwerde stattgeben werde. „Im Lissabon-Urteil hat es die Bürger geradezu aufgefordert, gegen ausbrechende Rechtsakte Beschwerde einzulegen.“ Er sieht das demokratische Teilhaberecht der Bürger verletzt, durch eine drohende Inflation zudem den Eigentumsschutz und das Sozialstaatsgebot.


Die Klägergruppe um Kerber, der an der Technischen Universität in Berlin lehrt, wendet sich ebenfalls gegen die Umwandlung der Währungsunion in eine Haftungsgemeinschaft durch ein „Generalermächtigungsgesetz“. Das Verfassungsgericht solle den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorlegen. Kerber hofft auf eine „Bürgerrevolte“. Die Beschwerdeführer meinen gar: Sollte das Gericht ihren Anträgen nicht stattgeben, hätten die Bürger „nicht nur das Recht, sondern sogar Pflicht zum Widerstand“ nach Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Auch das in Freiburg angesiedelte Centrum für Europäische Politik (CEP) wirft der Regierung vor, die Öffentlichkeit in mehreren Punkten getäuscht zu haben. Entgegen den Verlautbarungen sei der finanzielle Beistand der EU weder auf 60 Milliarden Euro noch auf drei Jahre beschränkt. Der nun beschlossene Mechanismus verstoße gegen das „Bail-Out-Verbot“ in den Europaverträgen. Auch seien Bundestag und Europarlament nicht genügend beteiligt worden.

Studie: Euro-Schuldenfalle

Die europäische Währungsunion hat einige Staaten vor allem in Südeuropa in eine „Schuldenfalle“ geführt und ist mit verantwortlich für die bedrohlich hohen Schuldenstände etwa in Griechenland. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Es gebe eine verhängnisvolle „Schuldenmechanik“ im Euro-Raum. Ärmere Länder hätten mit Eintritt in die Währungsunion eine längere Phase durchlaufen, in der sie durch reale Zinsen (nominaler Zinssatz abzüglich der Inflationsrate) von weniger als 0 Prozent zum Schuldenmachen animiert worden seien. Hinzu kam eine kurzfristige Klientelpolitik in diesen Staaten. Die Kredite seien vorrangig in den Konsum geflossen. Das Hauptproblem seien überzogene Einkommenserwartung der Bürger. Aus der Schuldenfalle könnten und müssten sich die Südeuropäer aus eigener Kraft wieder befreien, indem sie ihre Haushalte durch Sparen konsolidierten und eine moderate Lohnpolitik betrieben. Eine EU-Koordination der Wirtschaftspolitik helfe dagegen nicht. Auch Beistandskredite änderten nichts an dem Grundproblem.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: APN

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