Dienstag, 1. März 2011

BAZ: Die Mär von der strengen Regulierung


Die Mär von der strengen Regulierung

Markus Diem Meier am Dienstag 1. März 2011

Eine Krise wie damals wird durch die neuen Regeln nicht verhindert.

Die Debatte über die Regulierung der Banken ist zwar noch immer im Gang. Mir scheint aber, die Vorzeichen haben sich gekehrt. Während auf dem Höhepunkt der Finanzkrise die Forderung die Debatten dominiert hat, die Banken möglichst so einzuschränken, dass sie nicht so bald wieder ganze Länder mit in die Krise reissen und diese für die eigene Rettung praktisch in Geiselhaft nehmen können, wird jetzt immer mehr die Frage gestellt, ob die geforderten Regulierungen nicht bereits zu streng seien und die Banken zu sehr einschränken würden.

Wer die zweite Argumentationslinie nur im Geringsten für glaubwürdig hält, dem empfehle ich dringend das Buch «13 Bankers: The Wall Street Takeover and the Next Financial Meltdown» zur Lektüre – verfasst von Simon Johnson und James Kwak. Johnson war einst Chefökonom des Internationalen Währungsfonds IWF und ist heute Professor an der US-Eliteunversität MIT. Die Autoren verdeutlichen glasklar die Mängel der bisher vorgeschlagenen Massnahmen. Zu befürchten sei, dass die Regulierungsbehörden mit den Banken – wo die meisten Regulierer vorher gearbeitet haben oder noch arbeiten wollen – wie schon vor der Krise auf Schmusekurs bleiben. Daher würden verschärfte Aufsichtsregeln wenig taugen. Besser wäre zum Beispiel gleich ein Aufbrechen der Grossbanken, denn diese seien mit der Krise noch grösser geworden, womit sich das«Too Big to Fail»-Problem im Vergleich zu vor der Krise eher noch verschärft hat.

In einem spannenden und gescheiten Interview, das Mark Dittli von der «Finanz und Wirtschaft» mit ihm geführt hat, bringt Johnson auf den Punkt, um was es in der ganzen Regulierungsdebatte geht und warum die vorgeschlagenen Massnahmen nicht genügen. Hier die zentralen Botschaften.

Wie steht es zum Beispiel mit den neuen Basel-III-Regeln, gemäss denen die Banken weltweit ein höheres Eigenkapital halten sollten? 7 Prozent hartes Eigenkapital gemessen an den risikogewichteten Anlagen, ergänzt durch einen antizyklischen Puffer von 2,5 Prozent. Johnson ist nicht beeindruckt:

Die US-Banken hielten im Schnitt der vergangenen zwei Jahrzehnte eine Tier-1-Kapitalquote von etwas über 10%. Lehman Brothers wies am Tag vor ihrem Kollaps eine Tier-1-Quote von 11,5% aus – wie wir wissen, genügte das nicht. Die Basel-III-Vorschläge werden keine echte Verstärkung der Bankbilanzen bringen.

Die Finanzkrise wäre also genauso verlaufen, selbst wenn Basel III bereits in Kraft gewesen wäre. Wie hoch müsste dann eine Eigenkapitaldecke laut Johnson sein?

Ich stehe für eine Eigenkapitaldecke von 20 bis 40% ein – und zwar berechnet auf Basis der gesamten Aktiven. Die Risikogewichtung, wie sie auch Basel III und der Swiss Finish vorsehen, ist heikel. Wir erlauben den Banken, die Risiken in ihrem Portefeuille selbst abzuschätzen. Anleihen von OECD-Staaten beispielsweise dürfen sie mit null Risiko behandeln. Das ist, gelinde gesagt, sehr fragwürdig.

Auch von der Risikogewichtung der Anlagen hält Johnson also nichts. Tatsächlich will man hier die Regeln von vor der Krise – nur etwas verschärft – hinüberretten. Dabei hat man doch in der Krise gelernt, was die Risikomodelle taugen, nach denen solche Gewichtungen vorgenommen werden.

Die Schweizer Vorschläge für das nötige Eigenkapital der Grossbanken kommen den Vorstellungen von Johnson noch am nächsten. Es soll 19 Prozent betragen, allerdings ebenfalls gemessen an risikogewichteten Anlagen und unter Einschluss von 9 Prozent so genannter Contingent Convertible Bonds (CoCo). So heissen Wandelanleihen, die beim Unterschreiten einer vorgegebenen Schwelle automatisch in Aktien getauscht werden müssen. Johnson hält wenig davon:

Ich habe aber grundsätzliche Vorbehalte gegenüber Coco: Es handelt sich dabei um sehr komplexe Instrumente, und es ist nicht sicher, wie ihre Umwandlung im Krisenfall wirklich ablaufen würde. Das Kleingedruckte wird sehr wichtig sein. Wir sollten generell den weniger komplexen Weg gehen, um die Bankbilanzen krisenresistenter zu machen: mit viel, viel mehr Eigenkapital.

Und wieder das Kleingedruckte, wieder Vernebelungen, wieder Verkomplizierungen, die am Ende Ausweichmanöver erlauben und in einer späteren Krise dem Vertrauen abträglich sind. Wieso nicht gleich den direkten Weg gehen und einen viel höheren Anteil an echtem Eigenkapital fordern. Aber ist denn ein höheres Eigenkapital nicht zu teuer für die Banken? Keinesfalls meint Johnson:

Das ist ein Fehlschluss. Eigenkapital per se ist nicht teuer. Es erscheint nur teuer, weil die Fremdkapitalkosten der Banken staatlich subventioniert sind und weil die vom Markt verlangte Risikoprämie auf dem dünnen Eigenkapitalpolster so hoch ist. Vier Ökonomen von der Universität Stanford und vom Max-Planck-Institut haben diesen Sachverhalt schön dargelegt. Wenn die Banken mehr Eigenkapital halten, wird ihre Bilanz sicherer, und ergo sinkt die Risikoprämie auf ihren Kapitalkosten.

Hier die erwähnte Studie. Der zentrale Hinweis: Ein höheres Risiko durch ein geringeres Eigenkapital lohnt sich für die Banken gerade deshalb, weil der Staat einspringen muss, wenn die Rechnung nicht aufgeht. Das verbilligt die Fremdkapitalkosten, denn die Gläubiger wissen, dass sie auf den Staat zählen können. Zudem sorgt eine geringe Eigenkapitaldecke für einen starken Hebel bei den Gewinnrenditen auf dem Eigenkapital – was wiederum die Boni steigen lässt. Der starke Hebel wirkt aber auch bei Verlusten und ist damit bloss Ausdruck für das erhöhte Risiko. Johnson meint daher, es gehöre nach wie vor zum «Geschäftsmodell» der Grossbanken, im Notfall von ihrem Heimatstaat gerettet zu werden:

Sie erhalten gratis eine implizite Staatsgarantie und kommen dadurch in den Genuss abnormal tiefer Kapitalkosten. Standard & Poor’s gibt zwei Ratings für Grossbanken ab: eines auf Stand-alone-Basis und eines, das die Finanzkraft des Heimatstaates explizit berücksichtigt. Das ist der beste Beweis für das Vorhandensein einer Staatsgarantie. Es ist klar, dass die Banken gegen neue Regulierungen lobbyieren: Sie wollen ihr Geschäftsmodell nicht zerstören.

Angesichts seiner Ansichten zur Durschlagskraft der bisher beschlossenen neuen Regeln verwundert kaum, was Johnson auf die Frage antwortet, ob wir uns wieder auf eine Finanzkrise zubewegen:

Mit Sicherheit.

Und Johnson meint damit nicht, dies werde in ferner Zukunft wieder geschehen und erklärt am Ende des Interviews:

Innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre werden wir wieder eine Finanzkrise erleben.

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