Montag, 2. Mai 2011

HB: Haniel: Deutschlands Dynastien

Deutschlands Dynastien:Haniel – der Duisburg Clan

Haniel hat mehr als 250 Jahre überlebt. Die Väter haben Kinder strategisch verheiratet und Manager eingestellt, die keine Rücksicht auf Gewohnheiten nahmen. So wandelten sie die Firma grundlegend - vom Kohlenhändler zum globalen Handelskonzern.

von Harold James
Franz Haniel war der einzige wirklich operative Manager aus der Familie. Seitdem führen angestellte Manager den Haniel-Konzern. Quelle: Pressebild
Franz Haniel war der einzige wirklich operative Manager aus der Familie. Seitdem führen angestellte Manager den Haniel-Konzern. Quelle: Pressebild

DÜSSELDORF. Es ist 1756, als ein Mann namens Jan Willem Noot in einem selbst gebauten Haus in Ruhrort ein Lagerhaltungsgeschäft für Kolonialwaren gründet. Seine Tochter Aletta, die nach ihrer Heirat den Namen Haniel annimmt, wird es später als Speditionshandel weiterführen.

Es ist 2006, als so prominente Gäste wie Bundeswirtschaftsminister Michael Glos und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zu einer Matinee im Duisburger Theater vorfahren. Eine Dynastie mit rund 550 Mitgliedern aus aller Welt feiert eine in der Wirtschaft außergewöhnliche Leistung: 250 Jahre hat ihre Unternehmung nun schon überlebt, vereinigt mehr als 800 Einzelfirmen unter ihrem Dach und setzt jährlich 26 Milliarden Euro um. All das, das Reich der Haniels aus Duisburg, hat seinen Ursprung in Jan Willem Noots Lagerhaltungsgeschäft von einst.

Diese Familie ist den Deutschen weit weniger bekannt als andere Dynastien wie Siemens, Krupp, Quandt oder Thyssen. Dabei kaufen die Deutschen ständig Haniel-Produkte, bei Metro, Kaufhof und Saturn oder beim Pharmagroßhändler Celesio, und sie verwenden Papiertücher des Hygieneartikelherstellers CWS, wenn sie sich die Hände abtrocknen. Aber sie wissen nicht, dass hinter all diesen Produkten die Familie Haniel steht.

Die Geschichte der Haniels ist die eines Chamäleon-Unternehmens. Es ist noch da, weil es sich immer anpassen konnte. Die Eigner haben Hochzeiten strategisch geplant und, wenn Gefahr drohte, sich rechtzeitig gewandelt. So haben die Haniels Kriege überstanden und den Wandel von Gesellschaftsordnungen.

Haniel, vor 200 Jahren ein Kohle- und Eisenhandel, ist längst eine Konsumgüterdynastie, die es geschafft hat, eine oft tödliche Falle des Familienkapitalismus zu umgehen: Die Haniels haben sich früh entschieden, für das Tagesgeschäft nur Manager einzustellen, die nicht zur Familie gehören. In ihrer gesamten Geschichte war einzig Franz Haniel ein wirklich aktiver Manager.

Der Pionier und der Schmuggler

Als Franz Haniel 1779 auf die Welt kommt, ist nicht daran zu denken, dass man ihn einmal als den Mann in Erinnerung behalten wird, der eine Dynastie begründet, der das Ruhrkohle-Feld entwickelt und der den Fortbestand seiner Familie auch dadurch gesichert hat, dass seine Kinder, Neffen, Nichten und Enkel niemanden heirateten, der dem Geschäft nicht nützte.

Haniels Mutter Aletta will, dass der Sohn eine Ausbildung beim "A. Schaaffhausen'schen Bankverein" macht, einer berühmten Kölner Bank. Aber der Sohn will nicht in einer Bank arbeiten und einseitig ausgebildet werden. Er will die Welt sehen.

Er sieht zumindest Mainz, wo er in einem Handelshaus den Umgang mit der französischen Armee und einiges über das Geschäft des Schmuggelns lernt. Als er zurück nach Duisburg kommt, baut er mit seinem älteren Bruder Gerhard ein Handelsunternehmen für Holz, Kohle und Wein auf. Außerdem schmuggelt er nachts Weizen, dessen Export die französischen Besatzer verboten haben, mit dem Schiff auf die rechte Rheinseite.

Napoleons Erfolge als Eroberer und Zerstörer des Heiligen Römischen Reichs haben zu Gebietsverschiebungen geführt, nun steht eine ganze Reihe von Rheinlandhochöfen zum Verkauf. Franz Haniel will eine Hüttengewerkschaft, wie die Stahl- und Erzkomplexe im Ruhrgebiet seinerzeit heißen, begründen, er braucht dafür nur noch Kapital.

Im November 1805 lernt er auf einem Ball in Essen die attraktive Friederike Huyssen kennen. Im Jahr darauf heiratet er sie. Es trifft sich gut, denn sie, die Tochter eines reichen Senators der Stadt Essen, eröffnet Haniel neue finanzielle Möglichkeiten. Als ein Jahr später Haniels Bruder Gerhard die Schwester von Friederike Huyssen heiratet, steht dem Kauf der Gutehoffnungshütte nichts mehr im Weg. Die Brüder tun sich mit einem Schwager und einem Metallspezialisten zusammen, der nicht zur Familie gehört. Zusammen gehören ihnen nun drei Hütten, genug, um eine ernsthafte Unternehmung zu betreiben.

Das ist dann auch der einzige Grund für den Zusammenschluss: die reine Zweckgemeinschaft. Die vier Eigner können einander nicht ausstehen. Sie stellen einen Manager ein, der ihre Meinungsverschiedenheiten moderieren soll. Die Geschäfte führen sie im Rotationsprinzip, jeder jeweils ein Viertel des Jahres, was kaum ein effizientes Arbeiten ermöglicht. Irgendwann will Franz Haniel das Unternehmen allein führen.

So entwickeln sich zwei Geschäftsstränge: die metallurgische Firma Jacobi, Haniel & Huyssen, die spätere Gutehoffnungshütte; und Franz Haniels Handelsfirmen, die die Basis für seine teuren Investitionen in die Ruhrkohle-Industrie werden. Diese Handelsfirmen sind auch der Ursprung des Haniel-Konzerns, wie man ihn heute kennt.

Teilung, Abgründe und Machtkämpfe

Als Franz Haniel 1868 zu Hause in Ruhrort stirbt, ist er 88 Jahre alt. Er hinterlässt sechs Kinder und zwei voneinander getrennte Unternehmen: die offene Handelsgesellschaft Franz Haniel & Co., zu der die zunehmend lukrativen Kohleminen Rheinpreussen und Neumühle gehören, und die berühmtere Gutehoffnungshütte. Die Anteile an der Handelsgesellschaft teilen fünf seiner Kinder untereinander auf, nur einer der Söhne hat andere Pläne. Für die Gutehoffnungshütte gibt es eine andere Regelung.

Ab 1870 sind in Deutschland Aktiengesellschaften ohne spezielle Lizenz erlaubt. Die neue Rechtsform ist sehr reizvoll für eine Unternehmerfamilie, die ständig größer wird. Schließlich lassen sich in einer Aktiengesellschaft Anteile wesentlich leichter aufsplitten und aufteilen. Der "Aktienverein für Bergbau und Hüttenbetrieb Gute Hoffnungs Hütte" hat zu Beginn 47 Anteilseigner, fast alle sind Nachfahren von Franz und Gerhard Haniel. 47 Eigner, das sind aber auch 47 verschiedene Interessen, zwischen denen vermittelt werden muss. Aber wie? Die Lösung ist das, was das Prinzip Haniel werden wird: die Trennung von Familie und Management.

Hugo Haniel ist 63 Jahre alt, als sein Vater stirbt. Lange hat Hugo als derjenige gegolten, der die Rolle des Patriarchen übernehmen würde. Er hatte die einzige Tochter seines Onkels Gerhard geheiratet und damit seine Position in der Familie gefestigt. Allerdings ist er für eine Zukunftshoffnung ziemlich alt, ein echter Unternehmer ist er auch nicht. Er versteht nicht viel vom kaufmännischen Wettbewerb, Ideen und Visionen sind auch nicht seine Welt. Er ist nicht der richtige Mann für diese neue Zeit.

Seit das neue Recht für Aktiengesellschaften gilt, werden überall im Land Aktiengesellschaften und Firmen gegründet und Fabriken gebaut. Es ist Gründerzeit in Deutschland. Der technische Fortschritt eröffnet neue Möglichkeiten. Die Gutehoffnungshütte entwickelt sich bestens. Doch das alles ist nicht von Dauer.

Am Freitag, dem 9. Mai 1873, nur eine Woche nach Eröffnung der imponierenden Wiener Weltausstellung, kommt es an der Wiener Börse zu dramatischen Kursverlusten, über 100 Firmen gehen bankrott. Um 13 Uhr schließt die Wiener Polizei den Aktienumschlagplatz. Doch die Kettenreaktion ist nicht mehr aufzuhalten. Kurzfristige Kredite werden nicht mehr verlängert, weitere Anleger werden zahlungsunfähig, immer mehr Anleger und Bankkunden verkaufen ihre Wertpapiere und räumen ihre Konten aus Angst vor Wertverlusten leer. Im September muss auch die New Yorker Börse geschlossen werden. Im Oktober die Berliner Börse. Der Geldmarkt ist zusammengebrochen. Die Wirtschaft steckt in einer Krise. In der Industrie geht die Produktion zurück, Unternehmen entlassen massenhaft Mitarbeiter und kürzen Löhne. Bei den Haniels, die durch den Börsenkrach sehr viel Geld verloren haben, kündigt sich ein Machtkampf an.

Eduard James Haniel ist ein ganz anderer Typ als sein Onkel Hugo. Er ist selbstbewusst, wagemutig. Auch er hat beste Kontakte in alle Familienzweige. Auch er hat innerhalb der Familie geheiratet: seine Cousine Henriette. Eduard sieht seine Chance gekommen.

Die Eigentümer und das Management der Gutehoffnungshütte sind zerstritten. Frisches Geld besorgen oder abwarten? Das ist die Frage. Die Eigentümer sind vorsichtig geworden. Ihre Manager dagegen argumentieren, nur mit großen Investitionen sei aus der Misere herauszufinden. Notfalls müsse man das Geld eben bei den neuen Aktienbanken besorgen, die nun überall in Deutschland entstehen.

Paul Reusch wird 1909 Geschäftsführer bei Haniel und plant einen internationalen Mischkonzern. Quelle: PR MAN Aktiengesellschaft
Paul Reusch wird 1909 Geschäftsführer bei Haniel und plant einen internationalen Mischkonzern. Quelle: PR MAN Aktiengesellschaft

Hugo Haniel will das verhindern, er spricht vom unerträglichen "Druck der widerwärtigen Bankier-Kredite". Aber es nutzt nichts. Er hat nicht mehr den nötigen Rückhalt und nicht die Macht, um dem Drängen der jüngeren Eignergeneration zu widerstehen. Eduard James Haniel drängt seinen Onkel aus dem Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden. Nun ist er der starke Mann. Sein Ziel ist die Expansion. Es ist 1880.

Der Rest der Familie hält sich aus dem Tagesgeschäft zunehmend heraus. Die Gründung der Aktiengesellschaft zehn Jahre zuvor hatte der Familie üppige Profite beschert. Der Börsencrash ist überstanden. Die Haniels können sich ihren aufwendigen Hobbys widmen, die gerade in Mode sind: Jagen, Pistolenschießen, Pferderennen, Kunstsammeln oder Malen. Sie können sich sogar Prasserei leisten, ohne dass deshalb gleich die Zukunft des Unternehmens gefährdet wäre. Sie können nun Aristokraten heiraten oder sich mit der Militärelite des Kaiserreichs verbinden. Die Zeit, in der sie Cousins oder Cousinen heiraten mussten, um nicht mit einer falschen Heirat das Kapital der Familie zu schmälern, ist vorbei. In einer Aktiengesellschaft können sie Anteile verkaufen, ohne dass es zwangsläufig Folgen für das Geschäft hat.

Der Fremde

Paul Reusch ist ein Außenseiter, Schwabe, ein wuchtiger Typ, eisern, diszipliniert, fleißig. Als er 1909 die Geschäftsführung der GHH übernimmt, ist der Familie noch nicht klar, was das bedeutet.

Schon bald aber kristallisieren sich die Konturen von Reuschs Plan heraus: Er möchte einen internationalen Mischkonzern aufbauen. Er schafft ein neues Selbstbild, die GHH betont die Fähigkeiten ihrer Ingenieure und die Macht der globalen Märkte. Die Eigentümer tun für Reusch nichts zur Sache. In der sonst sehr detaillierten Festschrift zum 100. Geburtstag der GHH von 1910 findet sich fast kein Bezug zu den Generationen von Haniels, die auf den Gründer gefolgt sind.

Reusch will das Reich der Haniels vergrößern. Die Eigentümer versuchen, die Kontrolle nicht zu verlieren. Beides lässt sich nur schwer miteinander vereinbaren. Denn die Familie hat sich längst verteilt, viele Mitglieder leben in Süddeutschland. Das blockiert wichtige Entscheidungen. Zumal dann, wenn es mal wieder Streitigkeiten über die Ausrichtung des Geschäfts gibt. Reusch und die Familie verabreden deshalb, strategische Allianzen miteinander einzugehen. Reusch arbeitet eng mit Franz Haniel, dann mit August Haniel und schließlich mit Karl Haniel zusammen. Sie halten sich dafür im Hintergrund.

Werner Carp, auch einer aus dem immer weiter wachsenden Kreis der Haniels, ist dafür nicht gemacht. Carp hat in der Jugend gegen seine Eltern rebelliert, er hat als Direktor der Darmstädter Bank schon in sehr jungen Jahren Karriere gemacht. Er hat ein gewisses Selbstverständnis. Jetzt will er das Unternehmen seiner Familie umgestalten.

Er kauft Anteile an der GHH - und er denkt in großen Kategorien. Carp will ein neues deutsches Stahlkonglomerat schaffen. Er versucht es im Wirtschaftsaufschwung Mitte der 1920er-Jahre. Aber es gelingt ihm nicht, genug Aktienanteile aus dem Familienbesitz aufzukaufen. Aber er hat eine schwache Stelle ausgemacht. Carp hat herausgefunden, dass Karl Haniel, ein Aufsichtsrat der GHH, Geldprobleme hat und Firmenanteile verkaufen muss. Der Mann mit dem großen Plan sieht seine Chance gekommen und schlägt zu. 1933 wird Carp der neue starke Mann der Familie. Der Mann neben Reusch. Es ist ein zweifelhafter Triumph. Denn die Leitlinien für die Wirtschaft legt inzwischen ein Dritter fest, der mit den Haniels eigentlich nichts zu tun hat.

1932 hat der konservative Reusch den damals aufstrebenden NSPAD-Wahlkämpfer Adolf Hitler getroffen. Ein Jahr vor Hitlers Machtübernahme äußerte Reusch seine Sorgen wegen der unsicheren rechtlichen Lage. Und er wünschte sich, dass Hitler die für die Wirtschaft wichtigen Ministerien mit Fachleuten besetzt, nicht mit Günstlingen. Das hat er Hitler 1932 gesagt.

Obwohl Hitler vielen der wirtschaftspolitischen Wünsche ab 1933 entspricht, entfremden Reusch und das Nazi-Regime sich. Eigentlich ist die Situation wie gemacht für Werner Carp. Er könnte nun versuchen, alle Macht an sich zu reißen. Doch dieses Mal unternimmt er nichts. Er hat selbst genügend Ärger mit den Nationalsozialisten. Die tun alles, um den Außenhandel zu kontrollieren, und Carp ist einer, dessen Händel sie mit großem Missfallen beobachten. Sein Engagement in Unternehmen in der Schweiz und Dänemark gefällt ihnen nicht. Es gibt nichts, was Carp von ihnen fordern könnte. Es wird ruhig um ihn.

Der Krieg bricht aus, in den Fabriken der Gutehoffnungshütte arbeiten teilweise 4000 Zwangsarbeiter, Carp spielt keine Rolle mehr. 1945 wird er von den Alliierten verhaftet.

Die Suche nach der verlorenen Macht

Nach dem Krieg ist Duisburg zerbombt, die Industrieanlagen sind es, der größte Teil der Haniel-Frachtschiffe im Ruhrorter Hafen ist versenkt.

Das Deutschland Hitlers ist besiegt, und die Alliierten bauen die deutsche Wirtschaft um. Die Stahlindustrie, die für den Krieg die Waffen geliefert hatte - Flick, Thyssen, Krupp -, sie alle sollen unschädlich gemacht werden. Vor allem den Amerikanern liegt daran, die Macht der großen Industriellenfamilien und ihrer Konzerne an der Ruhr zu brechen. Es ist ihnen klar, dass sie damit ein Netz aus Kontakten, Geschäftsbeziehungen und Eigentümerstrukturen zerschlagen.

Die GHH der Haniels wird in vier Teile zerlegt. Allerdings ist sie schon zu dieser Zeit nicht mehr der Kern des Haniel-Geschäfts. Als der Weltkrieg ausbrach, hielt die Familie noch 65 Prozent an der GHH, inzwischen sind es nur noch 35 Prozent.

Zwar sind die wichtigsten Teile der Familiengruppe nun die Holding Franz Haniel & Cie. GmbH (FHC) und die alten Kohleminen-Unternehmen Rheinpreussen und Neumühl. Dennoch kommen die Haniels über die GHH zu alter Größe zurück.

Im kriegsverwüsteten Deutschland werden Brücken gebraucht. Die GHH baut Brücken, unter anderem die Deutzer Brücke in Köln, die 1948 eingeweiht wird. Das in Trümmern liegende Berlin braucht Material für den Wiederaufbau, Haniel liefert auf dem Weg der Luftbrücke in den Jahren 48 und 49 ein Drittel des dazu nötigen Zements. Getrieben von diesen ersten Nachkriegserfolgen, entsteht eine Art Manager-Dynastie in der Dynastie. Die GHH wird nun von Hermann Reusch geführt, dem Sohn des bisherigen Geschäftsführers.

Bald ist Reusch junior eine ähnlich prägende Figur der Industriepolitik wie zuvor sein Vater. Und wieder ist das für jemanden aus der Familie etwas zu viel Bedeutung für einen Manager, der ja nur angestellter Dienstleister sein soll. Es ist der junge Wolfgang Curtius, ein Neffe Werner Carps, der schließlich eine Revolte gegen Reusch anführt.

Curtius will, dass die Familie sich zusammentut, um ihre Interessen durchzusetzen: "Da es wirklich der letzte Moment ist, in dem die Familie ihre Geschicke in die Hand nehmen kann, müsste es möglich sein, dass sich alle Familienmitglieder unter Zurückstellung von Sonderinteressen hinter einen Repräsentanten scharen." Es ist klar, wen er für die Aufgabe dieser zentralen Führungsfigur im Blick hat: sich selbst. Fortan, bis in die Gegenwart, wird die Familie eine Führungsfigur haben, die aus dem Hintergrund Einfluss auf ihre Unternehmen nimmt: erst Curtius, später Jan van Haeften und heute Franz Marcus

In den 1950er-Jahren beginnt die Familie, sich regelmäßig zu treffen, um über die Ausrichtung des Geschäfts zu diskutieren. Es kann laut werden auf diesen Treffen. Es haben sich Gräben aufgetan, manche Familienmitglieder kennen einander nicht persönlich. Es ist schwierig, in dieser inzwischen zersplitterten Gruppe so etwas wie eine Identität zu stiften. Erst 1958 verpflichten sich die Haniels, ausschließlich über ein Familienbüro in Düsseldorf Anteile am Unternehmen zu verkaufen. Erst jetzt besteht ein juristisch verankertes Familienunternehmen.

Der Ausverkauf

Als sich das deutsche Wirtschaftswunder entfaltet, wird klar, dass, um erfolgreich zu sein, die unterschiedlichen Unternehmen, die im Konzern miteinander verbunden sind, mehr Geld brauchen. Wolfgang Curtius muss eine Lösung finden.

Curtius beschließt, Haniels Beteiligungen zu konzentrieren und sich von denen zu trennen, die zu teuer oder nicht wichtig genug sind.

Der erste größere Verkauf ist der der Zechengesellschaft Rheinpreussen im Jahr 1959. Der Käufer, die Deutsche Erdöl AG, bietet statt Geld einen Aktientausch an. Die Anteile verkauft Haniel 1965 weiter. Das Geld aus diesem Verkauf fließt in eine Ein-Drittel-Minderheit bei der neuen Großhandels-Kette Metro. Die Abkehr vom bisherigen Geschäft hat begonnen.

Noch bis in die Mitte der 1970er-Jahre ist Haniel ein weitgehend traditionelles Unternehmen mit Wurzeln in der Schwerindustrie. Doch als in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft der Glaube daran verfliegt, dass das Wirtschaftswunder unendlich ist, passiert, was in der Geschichte der Haniels in solchen Fällen immer passiert: Die Jungen rebellieren. Es passt ihnen nicht, dass Curtius und seine Unterstützer, die sie spöttisch "die Ober-Onkels" nennen, alles dominieren.

Der Anführer ist ein Mann mit langem, leicht gewelltem Haar, ein Mann mit der Aura eines Bohemien, charmant, redegewandt: Jan von Haeften, ein Neffe von Curtius bringt die Familie hinter sich. Haeften glaubt, dass die GHH ihre beste Zeit hinter sich hat. Einen Sitz im Aufsichtsrat hat er deshalb abgelehnt. Er schlägt vor, was für viele Traditionalisten in der Gruppe lange Jahre schlicht undenkbar war: Er will die Familienanteile an der GHH, der traditionsreichsten und prägendsten Beteiligung in der Geschichte der Dynastie, schrittweise verkaufen. Haeften möchte ein Portfolio mit mehreren, breit gestreuten Beteiligungen, die die Familie - je nach Lage - kaufen und verkaufen kann.

Haniel kauft zum Beispiel CWS, einen Hersteller vor allem von Bad-Hygiene-Artikeln und Arbeitskleidung. Das ist damals bemerkenswert für ein Unternehmen, das von dem Selbstverständnis geprägt ist, über Jahrzehnte führend in der mächtigen Schwerindustrie gewesen zu sein. Aus der Handelsgesellschaft Franz Haniel & Co. wird in atemberaubender Geschwindigkeit eine völlig neue Firma. International, ständig wachsend, ständig im Wandel.

Schon 1984 macht die FHC den größten Teil ihrer Geschäfte mit Unternehmen, die sie seit 1977 gekauft hat. Im selben Jahr hat der Konzern erstmals mehr Beschäftigte im Ausland - 12 035 - als in Deutschland, wo es 7212 sind. Überhaupt macht die Familie ihr Unternehmen immer weiter zu einem global operierenden Konzern. Seit den 2000er-Jahren etwa besorgen sich die Haniels das Geld für ihre Unternehmen an den Kapitalmärkten. Das bedeutet zwar eine gewisse Freiheit, aber auch ein höheres Risiko. Und wann immer die Eigentümer sich versammeln, droht Streit über die künftige Ausrichtung des Geschäfts. Die Schwankungen an den Kapitalmärkten sind groß und unberechenbar.

Hochzeit und neuer Manager

Franz Markus Haniel ist ein eleganter Mann Mitte 50. Er weiß sich gewählt auszudrücken. Er hat Sprachen studiert und Maschinenbau. Er ist derjenige, auf den es nun ankommt bei Haniel. Er ist der Aufsichtsratschef, von der Familie gewähltes Gegengewicht zur Geschäftsführung.

Er sagt, man müsse den Zusammenhalt in der Familie organisieren.

Das ist, ohne jede Übertreibung, eine Herkulesaufgabe. Denn Haniel im Jahr 2010, das ist nicht nur die Holding Franz Haniel & Cie. GmbH mit einem Jahresumsatz von rund 24,5 Milliarden Euro, die unter ihrem Dach 800 einzelne Firmen und 53 000 Mitarbeiter in aller Welt vereint. Bei kaum einer Großfamilie sind die Verhältnisse unüberschaubarer. Denn Haniel, das heißt auch: rund 650 Familienmitglieder, also Gesellschafter, aufgeteilt in zig Familienstämme. Kaum einer hat den Überblick, wer zu wem gehört. Viele Haniels heißen nicht einmal so, sondern Horstmann von der Tann oder Böninger. Deswegen gibt es genau festgelegte Spielregeln, was wann wie zu passieren hat.

Alle Haniels achten auf paritätischen Einfluss der Familienstämme. Ein System von internen Treffs und Informationsrunden formuliert die Leitlinien der Gruppe, die ein angestellter Manager umzusetzen hat. Zweimal im Jahr tagt ein Beirat, in dem die 30 größten Anteilseigner Sitz und Stimme haben. Vor jeder Aufsichtsratssitzung kommt der "kleine Kreis" zusammen. In ihm diskutieren die Familienvertreter die Firmenstrategie. Damit sich die Erben über die Verwaltung des Unternehmens nicht zerstreiten, gibt es festgelegte Regeln.

Du sollst nicht langfristig mehr als 25 Prozent des Nettogewinns nach Steuern aus dem Unternehmen ziehen.

Du sollst dich aus dem Tagesgeschäft heraushalten. Das sind zwei der wichtigsten Gebote.

So haben es die gewollt, die das Unternehmen großmachten. Das gilt noch immer.

Seit Beginn dieses Jahres gibt es einen neuen Mann, der den Haniel-Kosmos steuern soll. Sein Name ist Jürgen Kluge, früher McKinsey-Chef. Er ist der Nächste, der den Konzern umbauen soll. Die Familie hat ihn als Krisenmanager geholt.

Denn sein Vorgänger, der frühere Mercedes-Chef Eckhard Cordes, stand vor einer unlösbaren Aufgabe. In einer Doppelfunktion sollte er die Familienholding der Haniels und deren größte Beteiligung, die Metro AG, führen. Ein Mann kann sich aber nicht zweiteilen - weswegen Cordes die Führung der Familienholding Anfang 2010 an Kluge übergab.

Cordes konzentriert sich nun auf die Metro. Dort machte ihm die Finanzkrise einen Strich durch die Rechnung. Der Aktienkurs halbierte sich. Und bei Haniels zweitgrößter Beteiligung, dem Stuttgarter Pharmahändler Celesio, blieben die Gewinne aus. Die Duisburger Holding geriet unter Druck. Das Kreditrating sackte von einem guten "A"-Wert auf "BBB-" ab. Im vergangenen Jahr reichte das Konzernergebnis nicht mehr aus, um daraus die Dividende zu bezahlen.

Das ist die Situation, mit der Kluge nun konfrontiert ist. Und es sieht so aus, als bekomme er die Probleme in den Griff. Der Umsatz im ersten Halbjahr 2010 stieg um 17 Prozent, der Vorsteuergewinn sogar um 38 Prozent. Seine eigentliche Aufgabe aber hat er noch vor sich: die Neuordnung der Beteiligungen.

Fast vier Fünftel des Beteiligungsbesitzes sind in nur zwei Sparten gebunden: bei Metro und bei Celesio. Kritiker monieren deshalb, das Portfolio sei zu sehr abhängig vom Börsengeschehen. Dessen Schwankungen seien eine große Gefahr.

Das größere Problem aber, das die Familie plagt: Eine Gruppe, die sich fast vollständig von zwei Geschäftsbereichen abhängig macht, ist wesentlich anfälliger für konjunkturelle Schwankungen, weil es nicht mehr ausreichend verschiedene Geschäftsbereiche gibt, die sich gegenseitig ausgleichen können.

Kluge ist angetreten, das zu ändern. Er will neue Firmen übernehmen. Insbesondere der Bereich Recycling-Rohstoffe, sagte er im vergangenen Frühjahr, biete Potenzial. Es wäre eine erneute Wandlung des Chamäleon-Konzerns. Kluge kann ein neuer starker Mann in der Geschichte der Haniels werden. Aber es wäre ein Wunder, wenn nicht auch er ein Dienstleister bliebe wie fast alle Manager vor ihm. In den inneren Kreis sind sie nie gelangt. Der innere Kreis ist Privatsache.

Zu dem, was Franz Markus Haniel "Zusammenhalt organisieren" nennt, gehört es nach wie vor, Ehen zu stiften. Die Jugendtreffen, die er regelmäßig für den Nachwuchs der Familie organisiert, hätten durchaus den Sinn, dass "man mal sieht, dass es in diesem Kreis auch nette Familienmitglieder gibt", sagte er einmal in einer Fernsehdokumentation. Inzwischen ist die Familie groß genug, dass sie unter sich bleiben kann.

James Quelle: Pressebild
James Quelle: Pressebild

Der Autor Harold James, Jahrgang 1956, ist einer der profiliertesten Wirtschaftshistoriker unserer Zeit. Er ist Professor für Geschichte sowie für Internationale Politik an der Princeton University und Autor zahlreicher Bücher, in denen er sich auch mit neuerer deutscher Geschichte befasst, etwa "Familienunternehmen in Europa" oder "Die Deutsche Bank im Dritten Reich".

Für seine Arbeit bekam er unter anderem den Ludwig-Erhard-Preis.


Eine Übersicht über die Beteiligungen als Bildergalerie im Handelsblatt:


Mischkonzern:Metro beschert Haniel Gewinnsprung

Der Familienkonzern Haniel hat im vergangenen Jahr Gewinn und Umsatz deutlich steigern können. Verantwortlich waren vor allem die guten Geschäfte der Beteiligung Metro.


Haniel-Chef Kluge: "2011 wird das Jahr der Umsetzung sein". Quelle: dpa
Haniel-Chef Kluge: "2011 wird das Jahr der Umsetzung sein". Quelle: dpa

DuisburgDer Chef des Mischkonzerns Haniel, Jürgen Kluge, will seine Pläne zum Umbau des Portfolios vorantreiben. "Analysieren und planen, das waren für Haniel im vergangenen Jahr die Aufgaben. 2011 wird das Jahr der Umsetzung sein", sagte Kluge am Montag auf
der Bilanzpressekonferenz in Duisburg. Der Familienkonzern, der unter anderem an dem Handelsriesen Metro beteiligt ist und die Mehrheit an dem Pharmahändler Celesio hält, wolle sein Portfolio stärker ausbalancieren.

"Wir streben eine ausgewogene Mischung aus kleineren und größeren Unternehmen an, aus solchen, die vollständig in unserem Besitz sind oder an der Börse notieren." Details nannte der seit Anfang 2010 amtierende Kluge zunächst nicht.

Zur weiteren Geschäftsentwicklung äußerte er sich verhalten optimistisch. Die wirtschaftlichen Folgen der Naturkatastrophe in Japan und der politisch unsicheren Lage in Nordafrika seien zwar noch nicht abzusehen. Der Vorstand gehe aber davon aus, dass Umsatz und Ergebnis operativ leicht steigen würden.

2009 waren Umsatz und Gewinn von Haniel wegen der hohen Konjunkturabhängigkeit einiger Beteiligungen deutlich zurückgegangen. Im vergangenen Jahr steigerte Haniel den Umsatz um zwölf Prozent auf 27,4 Milliarden Euro. Der Vorsteuergewinn kletterte auf 620 (Vorjahr: 164) Millionen Euro, nach Steuern fuhr Haniel einen Gewinn von 454 (21) Millionen Euro ein. ("Ergibt eine Steuerbelastung von nur 26,8%")

Zuwächse verzeichnete Haniel vor allem dank der besseren Geschäfte des Metro-Konzerns, an dem die Duisburger rund 34 Prozent halten. Der Ergebnisbeitrag aus der Beteiligung an dem Handelsriesen stieg auf 292 (105) Millionen Euro. Auch das Engagement bei Celesio, dem Rohstoffhändler ELG und der Büromöbel-Lieferanten Takkt zahlte sich stärker aus.

An die rund 650 Gesellschafter aus dem Kreis der Haniel-Familie will der Mischkonzern wie im Vorjahr eine Dividende von 60 Millionen Euro ausschütten.

An Celesio und Metro qill Haniel festhalten. Grundsätzlich sei zwar bei keiner Beteiligung etwas ausgeschlossen, sagte Kluge in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters. Bei Celesio spreche aber auch der gegenwärtig niedrige Kurs gegen eine Trennung. "Bei dem Kurs derzeit ist das nicht unsere Intention, da auf Teufel komm raus zu verkaufen. Warum sollten wir?"

Auch für Metro gebe es derzeit keine solchen Pläne. "Metro hat sich prima entwickelt." Es gebe neben einem Verkauf von Anteilen auch weitere Möglichkeiten. "Wir haben alle Möglichkeiten, mit dem Portfolio der Metro selber zu arbeiten", sagte Kluge. Er verwies auf die Abgabe von Geschäften in Marokko und von Media Markt/Saturn in Frankreich.

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